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Der Export von Waffen über den Hamburger Hafen steigtFotos: Georg Wendt/dpa, Bernd Weissbrod/picture alliance/dpa [M]

Im Sommer 2014 hielt der damalige Hamburger Bundestagsabgeordnete und ehemalige Biowaffeninspekteur der Vereinten Nationen, Jan van Aken (Die Linke), in Kurdistan eine Panzerabwehrrakete vom Typ Milan in der Hand. Kurdische Kämpfer berichteten ihm, sie hätten die Waffe von der damaligen Al-Nusra-Front, einem ehemaligen Al Quaida-Ableger, erbeutet.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das todbringende Geschoss schon ein langes Leben hinter sich. "Die Milan-Rakete entstammte einer Waffenlieferung aus deutsch-französischer Produktion aus dem Jahr 1978 an das Assad-Regime", sagt Jan van Aken, der sich seit vielen Jahren gegen Waffenexporte engagiert. Die Al-Nusra-Front befeuerte mit den Milan-Waffen den syrischen Bürgerkrieg, der seit mittlerweile zehn Jahren unglaublich viel Leid produziert und einen Großteil der Bevölkerung aus dem Land getrieben hat. Auch heute noch ermorden dort täglich Menschen andere Menschen. Zwar hatte der Export der 4.400 Milan-Raketen 1978 durchaus für Diskussionen im Bundestag gesorgt. Geliefert wurden die Waffen trotzdem.

Dafür, dass solche Fälle in Zukunft nicht mehr vorkommen, setzen sich auch Monika Koops und Holger Griebner ein. Die beiden ver.di-Mitglieder bilden mit gut 40 weiteren aktiven Mitstreiter*innen die "Volksinitiative gegen Rüstungsexporte", die seit März Unterschriften für einen zivilen Hafen Hamburg sammelt. Denn die Hansestadt mit dem größten deutschen Seehafen ist eine wichtige Drehscheibe, wenn es um Waffenlieferungen in alle Regionen der Welt geht.

"Wir sind in großer Sorge um den Weltfrieden", sagt die Umweltingenieurin Monika Koops, die sich seit 2016 im Arbeitskreis Frieden des ver.di-Landesbezirks Hamburg engagiert. "Der Westen führt eine Konfrontationspolitik gegen China und Russland", ergänzt sie. "Warum sonst, wenn nicht um China die Geschlossenheit der NATO in Sachen Taiwan

"Durchschnittlich gehen jeden Tag vom Hamburger Hafen aus drei Container mit Munition auf den Weg"
Holger Griebner, Hamburger Volksinitiative gegen Rüstungsexporte

Sturmgewehre, Panzer und Raketen

or Augen zu führen, kreuzt die deutsche Fregatte Bayern seit ein paar Wochen vor Chinas Küste? Was hat die deutsche Marine vor Chinas Küste zu suchen?"

Mit ihrem Volksentscheid wollen Monika Koops und ihre Mitstreiter*innen erreichen, dass der Hamburger Hafen ausschließlich zivilen Zwecken dient und der Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hafen verboten ist. Ein Ziel, das in Hamburg eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Schließlich ist die Vermittlung des Friedens in die Welt so etwas wie die Grundlage der Stadtgesellschaft. "Die Freie und Hansestadt Hamburg hat als Welthafenstadt eine ihr durch Geschichte und Lage zugewiesene, besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volke zu erfüllen", heißt es in der Präambel der Hamburgischen Verfassung gleich zu Beginn. Und weiter: "Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein." Prominenter als so, wie es die Autor*innen der Hamburgischen Verfassung 1952 mit den Erlebnissen des Zweiten Weltkrieges vor Augen schrieben, kann man ein Ziel kaum verankern.

Jede Kugel trifft

Im echten Leben sieht das anders aus. Da werden über die Hansestadt zweifelhafte Panzerlieferungen an Israel oder olivgrüne LKW nach Algerien verschifft. "Durchschnittlich gehen jeden Tag vom Hamburger Hafen aus drei Container mit Munition auf den Weg", sagt Holger Griebner. Dazu kommen Waffen, Panzer, Raketenwerfer und Kriegsschiffe. Sie landen im kolumbianischen Bürgerkrieg, gelangen über Umwege wie zum Beispiel Saudi-Arabien in den Krieg im Jemen, befeuern den innertürkischen Krieg gegen die Kurden oder füttern die Gewehre in Libyen und Mexiko.

Gut 1.000 Container Munition werden in einem einzigen Jahr allein über den Hamburger Hafen in die Welt verschickt. Dazu reihenweise Kleinwaffen, die "Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts", wie die Volksinitiative in ihrem Petitionsaufruf schreibt. Der Export von Kleinwaffen steige dramatisch an, sagt die Initiative. Sind 2017 Pistolen und Sturmgewehre im Wert von 500.000 Euro verschifft worden, lag der Waffenwert 2018 schon bei fünf Millionen Euro und 2019 bei mehr als 13 Millionen Euro, mit weiter steigender Tendenz.

"Jede Kugel findet ihr Ziel", sagt der ehemalige Betriebsrat und heutige Rentner Holger Griebner, der sich schon seit den 1970ern friedenspolitisch engagiert. In den Achtzigern des letzten Jahrhunderts erlebte der Friedensaktivist den Höhepunkt der Friedensbewegung. Im damaligen Westdeutschland gingen nach dem Krefelder Appell hunderttausende Menschen auf die Straße, um für den Abzug der US-amerikanischen Mittelstreckenraketen zu demonstrieren. Ende der Achtziger zogen die US-Amerikaner ihre Raketen ab.

"Den Erfolg von damals würde ich heute gern wiederholen", sagt Holger Griebner. "Dass sich die Friedens- und nicht die Kriegspolitik durchsetzt, scheint mir heute dringender denn je." Nach dem Zusammenbruch des Ostens habe der Westen einen völkerrechtswidrigen Krieg nach dem anderen geführt, sagt Griebner weiter. Den zweiten Irak-Krieg, den Krieg gegen Jugoslawien und natürlich den Afghanistan-Krieg. "Heute haben wir eine Situation, die mich stark an die politische Situation vor dem Ersten Weltkrieg erinnert: Jeder gegen jeden, und die NATO sucht sich mit Russland und China wieder die alten Feindbilder."

Also sammelt Holger Griebner Unterschriften für die Volksinitiative. Dutzende Male war er zusammen mit den anderen Mitstreiter*innen der Volksinitiative in den vergangenen Monaten auf Hamburgs Straßen unterwegs, hat hunderte Gespräche mit Hamburger*innen geführt. Der hartnäckige Einsatz hat sich gelohnt: Mehr als 14.000 Unterschriften haben sie jetzt schon gesammelt – darunter natürlich auch die von Jan van Aken. Das sollte für die erste Stufe des Volksbegehrens reichen.

Gewerkschaftliche Unterstützung

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Am 15. Dezember werden sie die Unterschriften abgeben. Werden genug Unterschriften anerkannt, müssen sie im nächsten Schritt 70.000 Unterschriften sammeln – allerdings in dem engen zeitlichen Korsett von drei Wochen. "Das wird nicht einfach werden", sagt Monika Koops. "Da setzen wir natürlich auch auf unsere Unterstützer-Organisationen wie ver.di, den DGB oder den Zukunftsrat Hamburg und hoffen, dass sie sich mit ihren Organisationen kräftig am Unterschriftensammeln beteiligen."

Erst kürzlich hatte ver.di ihre bundesweite friedenspolitische Konferenz in Hamburg organisiert und damit der Initiative Rückenwind für die erste Stufe des Volksbegehrens gegeben. Die Hamburger Friedenskonferenz hatte ver.di auf ihrem Bundeskongress 2019 beschlossen.

"Hamburg wäre auf jeden Fall eine super Marke so wie Costa Rica, das keine Armee hat", sagt Holger Griebner auf die Frage, wie Hamburg aussähe, wenn es in naher Zukunft rüstungsfrei wäre "Und wir würden im nächsten Schritt mit den Kolleg*innen in den gut 90 Rüstungsunternehmen im Hamburger Umkreis darüber nachdenken, wie auch sie rüstungsfrei werden. Das wäre doch großartig."

Sollte es die Initiative bis zum Volksentscheid schaffen, wird Hamburg voraussichtlich parallel zur nächsten Europawahl im Frühjahr 2024 darüber abstimmen, ob es der Initiative folgen und seine Zukunft rüstungsfrei sein soll.

Mitmachen:

Bis zum 10. Dezember Unterschriftenliste downloaden und bundesweit Unterschriften sammeln: ziviler-hafen.de