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André Kretschmar, ver.di-Gewerkschaftsekretär in Hamburg, hat schon einige Betriebsräte mitgegründetFoto: ver.di Hamburg

Vorsicht, Vertrauen, Gemeinschaft – wer einen Betriebsrat gründen will, sollte diese Prinzipien beherzigen. Zwar ist die Gründung eines Betriebsrates ab einer Zahl von fünf wahlberechtigten Beschäftigten bekanntermaßen ein im Betriebsverfassungsgesetz verbrieftes Recht. In der Callcenter-Branche, einem klassischen Niedriglohnsektor, gibt es aber bisher nur wenige Betriebsräte – auch, weil es keinen Branchentarifvertrag gibt. Wäre es so, hätte ver.di ein Zugpferd.

Zudem: Die Fluktuation in der Branche ist hoch, umso schwieriger also, Engagierte und Gleichgesinnte zu finden und zu mobilisieren. Tanja Püttjer-Brandes und Diana Ahrens arbeiten beide in einem Hamburger Callcenter. Sie haben sich nicht abhalten lassen, dort einen Betriebsrat (BR) zu gründen. "Ich hatte das schon eine ganze Weile geplant, weil bei uns zwar viel gut läuft, viel aber eben auch nicht", sagt Tanja Püttner-Brandes. Angst vor Jobverlust, vor Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder Ärger mit den Vorgesetzten – diese Gefühle hat sie beiseitegeschoben und nach Gleichgesinnten gesucht. "Wir wollten Ungerechtigkeiten entgegenwirken, mehr Recht für uns Arbeitnehmer*innen, weg vom Nasenfaktor," sagt Diana Ahrens, die im Backoffice-Team, Bereich Datenschutz, arbeitet. Sie fand die BR-Idee sofort gut, auch wenn ein Betriebsrat für sie komplettes Neuland war.

Zuerst wollten die Callcenter-Mitarbeiter*innen die Betriebsratsgründung allein durchziehen. Nach Recherchen im Internet und vielen Gesprächen war ihnen das aber zu gefährlich, sie hätten schon beim Aufruf zu einer ersten Wahlversammlung gekündigt werden können. Also suchten sie sich Unterstützung bei ver.di.

"Das Motiv für die Gründung eines Betriebsrats ist wichtig. Bitte keine Rachefeldzüge, keine Alleingänge! Ein Mix aus Leuten ist ideal, aus allen Bereichen, aus jeder Abteilung, nicht nur die Klassenkämpfer, sondern auch die Zurückhaltenden. Frauen sind oft mutiger und engagierter als Männer, das ist meine Erfahrung. Und wir sind natürlich für sie da."
André Kretschmar, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Hamburg

Initiator*innen wie Tanja und Diana sind besonders gefährdet, sagt André Kretschmar, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Hamburg – auch wenn sie heutzutage durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz etwas besser geschützt seien. Seine Tipps: "Das Motiv für die Gründung eines Betriebsrats ist wichtig. Bitte keine Rachefeldzüge, keine Alleingänge! Ein Mix aus Leuten ist ideal, aus allen Bereichen, aus jeder Abteilung, nicht nur die Klassenkämpfer, sondern auch die Zurückhaltenden. Frauen sind oft mutiger und engagierter als Männer, das ist meine Erfahrung. Und wir sind natürlich für sie da." ver.di berät juristisch, erklärt, was als Betriebsrat alles zu tun ist, und hilft bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl.

Für die Frauen aus dem Callcenter begann nach dem Gespräch die schwierige Phase und das auch noch kurze Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie: An ihrem Arbeitsplatz im Callcenter gab es nur wenige Beschäftigte, die Mitglied bei ver.di waren. "Immer die Angst im Nacken, dass unsere Geschäftsführung etwas über unsere Pläne erfährt", erinnert sich Tanja Püttjer-Brandes. Sie versuchten, ver.di-Mitglieder zu gewinnen und über ihr Vorhaben zu informieren. "Bei den Beschäftigten war die Mehrheit froh, dass das endlich jemand in die Hand nimmt, damit mehr Struktur in die Firma kommt und nicht mehr alles mit uns gemacht werden kann," erzählt sie weiter.

Der Kontakt zu ver.di Hamburg habe sich für die Engagierten als Volltreffer herausgestellt, sagen die beiden Frauen heute. André Kretschmar übernahm ihre Beratung, empfahl Treffen außerhalb von Firma und Arbeitszeit. "Vor der Gründung unseres Betriebsrats waren wir oft bei André. Ohne dass für ver.di klar war, ob es bei uns mit der Gründung eines BR klappen würde, hatten wir viele Treffen, auf denen uns viel geholfen wurde. Die gesamte Planung fand mit André statt, alle Tipps kamen von ihm," beschreibt Tanja die Anfangsphase.

Mitstreiter*innen finden, hieß damals das Motto, solche, denen man vertraut. Und das klappte mit viel Geduld, einem langen Atem und guten Nerven. "Es gab tatsächlich vereinzelt Kollegen, die nicht erfreut waren von unserem Engagement, aber die absolute Mehrheit war erfreut bis begeistert", sagt Tanja. Und die Arbeitgeberseite? "In einem Satz zusammengefasst: So was brauchen wir nicht! war deren Haltung zu Beginn. Natürlich gab es Versuche von Führungskräften, das in ihrem Sinne zu lenken", erinnert sich Diana. Heute ist sie Mitglied des Betriebsrats.

Die größte Hürde

Wie überall, so war auch im Fall des Hamburger Callcenters die erste Wahlversammlung die größte Hürde, sagt André Kretschmar. Über 50 Prozent der Anwesenden müssen den Wahlvorstand wählen. "Wir von ver.di laden ein, übernehmen die Versammlungsleitung, machen die Erstkommunikation mit der Arbeitgeberseite. Für die war in diesem Fall das Ganze auch neu, aber wir haben sie diplomatisch und gesprächsbereit erlebt. Eine Betriebsratsgründung ist ja kein Hexenwerk", sagt André Kretschmar.

Wenn diese erste Hürde genommen und dann auch der erste Wahlvorstand gewählt sei, hätten die Engagierten und ihre Gewerkschaft meistens gewonnen. Die Arbeitgeberseite koche dann runter, ist Kretschmars Erfahrung aus vielen Betriebsratsgründungen. So kam es auch im Hamburger Callcenter.

Der Betriebsrat ist nach allen Regeln mit Wahlvorstand und Wahl korrekt zustande gekommen und das trotz der Corona-Pandemie, während der keine Betriebsversammlungen in Präsenz abgehalten werden konnten. Das und dass es dort heute überhaupt einen Betriebsrat gibt, der seine Arbeit im Sinne der Beschäftigten leistet, macht Tanja und Diana stolz.

"Besonders stolz bin ich erstmal, dass der Betriebsrat noch immer da ist. Wir hatten am 13.3.2020 vor dem ersten Lockdown unsere konstituierende Sitzung. Das waren erschwerte Bedingungen, wir wussten nicht, was wir jetzt eigentlich machen dürfen und müssen als Betriebsräte, und wir konnten keine Seminare besuchen, um uns zu schulen. Da hat André irre viel mit Infos geholfen. Stolz bin ich auch darauf, dass uns unsere Geschäftsführung nun zuhören muss und auch einiges beherzigt," zieht Tanja eine erste Zwischenbilanz. Und Diana macht es konkret: "Wir konnten bezüglich der Überwachung schon Eingrenzungen für unsere Kolleginnen und Kollegen erwirken. Dass es unseren Betriebsrat gibt, ist nur der ver.di zu verdanken."