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Dr. Yvonne Lott leitet das Referat für Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-StiftungFoto: Ulrich Baatz

ver.di publik – Yvonne, die Schulen waren geschlossen, Kitas haben nur Notbetreuung angeboten, hinzu kamen die Pflege von Angehörigen, der Haushalt und das Arbeiten im Homeoffice. In der Corona-Pandemie sind die Herausforderungen für Familien deutlich gewachsen. Ist die Pandemie damit möglicherweise eine Treiberin der Gleichstellung?

Yvonne Lott – Gerade Männer haben am Anfang der Pandemie im April 2020 mehr Sorgearbeit übernommen. Das zeigen unsere Daten und auch internationale Studien. Doch nur selten sind sie dabeigeblieben. Untersuchungen ergeben hingegen, dass Frauen schon vor der Pandemie den Löwenanteil der Sorgearbeit übernommen haben, und das hat sich auch während der Krise fortgesetzt. Die Sorgearbeit ist mehr geworden aufgrund von Kita- und Schulschließungen und der Betreuung von Kindern, die nun zu Hause erfolgen musste. Nur wenige Paare haben ihre Arbeitsteilung komplett geändert, vor allem nicht dauerhaft. Eine besondere Belastung besteht außerdem für Alleinerziehende, und das sind weit überwiegend Frauen. Diese stehen sowieso immer unter Druck, haben vor der Pandemie auch schon unter der Doppelbelastung durch Job und Familie sehr gelitten.

Kann man daraus bereits eine mögliche Entwicklung ablesen?

Was es an Langzeitfolgen bringen wird, bleibt abzusehen. Wo ich ein bisschen Bauchschmerzen habe, ist die zunehmende Verkürzung der Arbeitszeit bei den Frauen zugunsten der Sorgearbeit. Männer waren häufiger in Kurzarbeit als Frauen, die kommen automatisch zurück in ihre Vollzeitjobs. Da gibt es nicht dieses Stigma, was Teilzeit häufig hat – ich reduziere wegen der Kinder. Das kommt im Job nicht gut an und das finden Vorgesetzte häufig nicht gut. Es herrscht das Vorurteil, dass Mitarbeitenden in Teilzeit die Arbeit nicht wichtig ist und sie weniger leisten. Oft ist allerdings das Gegenteil der Fall, wenn Teilzeitkräfte eigentlich das Arbeitspensum einer Vollzeitstelle stemmen.

Da müssen wir, glaube ich, sehr kritisch hingucken und eventuell gegensteuern. Denn wir wissen, dass Teilzeit häufig einen negativen Einfluss auf berufliche Verläufe hat.

"Solange dieses Bild einer idealen Arbeitskraft noch fortbesteht, werden es alle Beschäftigten schwer haben, die davon abweichen. Frauen ebenso wie Männer."

Wie kommt es eigentlich, dass Frauen, selbst bei gleicher Wochenarbeitszeit, immer noch deutlich mehr Zeit für Sorgearbeit aufwenden?

Frauen werden einfach typischerweise mit sozialen, erzieherischen, mit dem Sorgen assoziiert. Von Männern wird verlangt, dass sie sich um ihre Familien kümmern, indem sie finanziell für sie sorgen, das Geld nach Haus bringen. Das sind Geschlechterbilder und Stereotypen, die immer noch in unserer Gesellschaft vorherrschen und noch immer reproduziert werden – in der Werbung oder in Kinderbüchern. Auch Vorgesetzte haben diese Bilder häufig im Kopf.

Frauen wird aufgrund dieser Zuschreibungen unterstellt, dass sie geringere Arbeitsleistungen erbringen, selbst wenn sie faktisch genauso sind wie die von ihren männlichen Kollegen. Das ist sehr schwierig, dagegen anzugehen, weil es so omnipräsent ist. Es wird Männern und Frauen also nahegelegt, sich dementsprechend zu verhalten, und sie tun es, um sich rollenkonform zu verhalten.

Wie müsste denn die Arbeit in den Betrieben organisiert sein, damit die Familienarbeit gerechter verteilt werden kann?

Eine große Hürde bei der Inanspruchnahme von Teilzeit ist tatsächlich die Betriebskultur. In den meisten Betrieben herrscht noch die Idee vor, dass Beschäftigte in Vollzeit arbeiten, Überstunden leisten und stets erreichbar für die Vorgesetzten sein müssen. Solange dieses Bild einer idealen Arbeitskraft noch fortbesteht, werden es alle Beschäftigten schwer haben, die davon abweichen. Frauen ebenso wie Männer.

Es fehlen also entsprechende Rahmenbedingungen?

Ja, strukturell fehlen gute Vertretungsregelungen, es fehlt Personal. Da kann man den Beschäftigten viel anbieten, was sie alles Großartiges mit ihrer vermeintlich flexiblen Arbeitszeit machen können. Aber wenn es dann keine guten Vertretungsregelungen gibt und Kolleg*innen die Arbeit auffangen müssen oder man am nächsten Tag mehr zu tun hat, dann überlegen es sich die Beschäftigten dreimal, ob sie wirklich ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Diese strukturellen Hürden müssen so gestaltet werden, dass Beschäftigte ihre gesetzlichen oder betrieblichen Ansprüche auf flexibles Arbeiten gut nutzen können.

Welche Maßnahmen würden akut, aber auch langfristig helfen, der extrem hohen Belastung für Frauen, insbesondere Mütter entgegenzuwirken?

Im Falle einer nächsten Corona-Welle wäre wichtig, dass Lohnersatzleistungen sichergestellt werden und in einem ausreichenden Maße bezahlt werden. Das Problem ist, dass sich das Kurzarbeitergeld nach dem Nettogehalt richtet, Frauen aber aufgrund der Lohnsteuerklasse V ein geringeres Netto und entsprechend ein geringeres Kurzarbeitergeld haben als die Männer.

Es wird daher gefordert, das Ehegattensplitting gänzlich abzuschaffen oder zu reformieren, in dem Steuerklasse V abgeschafft wird, das Frauen häufig finanziell sehr viel schlechter stellt. Es hat sich auch in der Pandemie nochmal mehr gezeigt, dass wir eine Schieflage in vielen Partnerschaften bei der Arbeitsteilung von Kinderbetreuung und Hausarbeit haben.

Wie kann man die Väter besser einbinden?

Die Arbeitswelt muss ernst nehmen, dass Beschäftigte Verpflichtungen und Interessen neben dem Job haben, zum Beispiel Familie oder ein Ehrenamt. Wir brauchen stärkere Maßnahmen, die die partnerschaftliche Arbeitsteilung unterstützen, also vor allem auch Anreize für Männer setzen, sich noch mehr bei der Kinderbetreuung zu engagieren. Wir haben positive Erfahrungen mit den zwei Partnermonaten gemacht, die bei dem Elterngeld eingeführt wurde. Der Ausbau dieser Partnerschaftsmonate von zwei auf vier und langfristig auf sechs Monate, das wäre auch eine Maßnahme, um die Männer stärker mit einzubinden.

Tätigkeiten, die überwiegend Frauen ausüben, sind meist schlechter bezahlt. Muss sich nicht auch diese Ungerechtigkeit ändern?

Das Klatschen vom Balkon für die Pflegekräfte hat nicht zu einer finanziellen Aufwertung dieser Berufe geführt. Genau das wäre aber ein großer wichtiger Baustein, dass die Beschäftigten insbesondere in Dienstleistungsberufen entsprechend ihrer hohen Arbeitsbelastung bezahlt werden.

In der Pandemie wurden in anderen Berufsfeldern auf einmal Arbeitsformen wie Homeoffice oder hybride Arbeit schnell möglich gemacht, für beide Geschlechter. Ist das Fluch oder Segen in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Homeoffice bzw. hybride Arbeit, wo teils im Betrieb und teils an anderen Orten gearbeitet wird, sind gute Instrumente für die Vereinbarkeit – wenn denn die Rahmenbedingungen im Betrieb stimmen. Da viele Unternehmen auch nach der Pandemie weiter Homeoffice bzw. hybride Arbeit anbieten werden, geht es jetzt darum: Was braucht es, damit Beschäftigte tatsächlich von diesen Arbeitsformen profitieren? Die Einstellung und das Verhalten der Führungskräfte sind da ebenso entscheidend wie eine unterstützende Arbeitsorganisation.

Interview: Rita Schuhmacher

Weiterführende Publikationen

Lott, Yvonne/Ahlers, Elke (2021): Flexibilisierung der Arbeitszeit: Warum das bestehende Arbeitszeitgesetz und eine gesetzliche Arbeitszeiterfassung wichtig sind, WSI-Report 68, Düsseldorf.

Yvonne, Lott/Ahlers, Elke/Wenckebach, Johanna/Aline Zucco (2021): Ein Recht auf mobile Arbeit, warum wir es brauchen, was es regeln muss. Policy Brief, 55, Düsseldorf.