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Illustration: Kat Menschik

Tschingis Aitmatow: Djamila

Am Ende bleibt ihm nur ein verzweifelter Schrei. Der 15-jährige Said hat eine Liebe verloren, von der er bis dahin nichts zu wissen glaubte: "Erst jetzt, als ich auf der Erde lag, begriff ich mit einem Male, daß ich Djamila geliebt hatte." So muss er Abschied nehmen von einer Frau, die fortgeht mit Danijar – einem Mann, der auch ihm näher stand als jeder andere. Anscheinend ist es eine anthropologische Konstante: Oft empfinden Liebende jene als außergewöhnlich, von denen sie am meisten verletzt werden. Die Faszination beruht gerade darauf, dass die Liebe nicht erwidert wird. Auf der Suche nach Resonanz projizieren manche ihr Bedürfnis auf jemanden, der es nicht erfüllen kann; als gäbe es eine richtige Liebe im falschen Menschen. Ein Schriftsteller, der diese Eigentümlichkeit in große Literatur verwandelt hat, ist der kirgisische Autor Tschingis Aitmatow (1928 – 2008). Seine Novelle Djamila war in der DDR jahrelang Schulstoff, was leider vielen jungen Leuten den Text madig machte. Nicht aber Kat Menschik. Die Berliner Künstlerin las Aitmatows 1960 erstmals auf Deutsch erschienenes Debüt als Heranwachsende im Unterricht und war schon damals begeistert von der poetischen Kraft der "schönsten Liebesgeschichte der Welt", wie der französische Dichter Louis Aragon dieses Buch einmal nannte. Nun hat Menschik es neu herausgebracht, mit ganzseitigen Illustrationen in ihrer Reihe Lieblingsbücher bei Galiani Berlin.

In wundersam sommerlich gedeckten Gelb- und Blautönen verbildlicht sie die atmosphärisch dicht und sprachlich ungezügelt erzählte Handlung, die zu so unterschiedlichen Lesarten einlädt. Die junge Djamila ist Saids Schwägerin. Ihr Mann kämpft im Zweiten Weltkrieg, weit weg von der kirgisischen Heimat, in der wir einen heißen Sommer lang die Familien bei der Ernte begleiten. Harte Arbeit trifft auf große Gefühle, als Djamila sich dem anfangs noch verspotteten Danijar nähert, aus fasziniert-sehnsuchtsvoller Distanz beobachtet von Said, der die beiden zum Schluss ziehen lässt. Geht es hier um Freiheit? Um Verlust? Um die Feier des Lebens? Oder um die Tragik der Liebe? Die Antwort lautet: Es geht um alles. Kat Menschiks Bilder sind nah an den Figuren dran und zeigen jene Schönheit der Ambivalenz, die das Lesen dieses Textes bis heute zu einer im besten Sinne erschütternden Erfahrung macht. Christian Baron

Galiani, a.D. Russischen von Gisela Drohla, Illustriert von Kat Menschik, 112 S., 20 €

Wir verlosen zwei Exemplare. Kennwort "Djamila", Postkarte an ver.di pubik, Verlosung, 10112 Berlin

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Ah Hock, ein einfacher Mann aus einem malaysischen Fischerdorf, blickt zurück: Auf seine Träume von Reichtum, Sicherheit und den Wunsch nach sozialem Aufstieg. Schon als Kind schuftet er wie ein Erwachsener und steigt später zum Vorarbeiter einer Fischfarm auf. Doch dann zerstört eine Sturmflut seine bescheidene Farm, und Ah Hock wird wegen Mordes angeklagt. Anhand des Schicksals dieses jungen Mannes entwirft der malaysische Autor eine spannende soziologische Studie. Sie zeigt, wie brutal die Arbeitsbedingungen in Südostasien sind, wie sehr Ausbeutung, Menschenhandel und Profitgier den Fischmarkt bestimmen. Und: wie fatal sich Gewinnstreben und Globalisierung auswirken, vor allem auf einfache Menschen vom Land. Denn der Druck von Firmen, Supermarktketten und Restaurants wird immer größer, es muss immer schneller und billiger produziert werden. So wird aus diesem Porträt eines Außenseiters ein literarischer, authentischer Live-Bericht aus der Arbeiterschicht Malaysias. Die Geschichte ist so konstruiert, dass sie einen Sog und Mitgefühl erzeugt – doch die Hauptfigur scheint nicht zu retten. Günter Keil

Verlag Luchterhand, Ü: Pociao und Roberto de Hollanda, 416 S., 24 €

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Tania Blixen: Babettes Gastmahl

Gern hält man sie in der Hand, diese literarische Perle. Die bibliophile Aufmachung mit blauer Fadenbindung und einer Kapitelnummerierung mit Messer und Gabel feiert die Veröffentlichung von Babettes Gastmahl aus gutem Grund. Es ist die erste deutsche Übersetzung von Blixens dänischer statt der ursprünglich englischen Fassung dieser Erzählung, die auch durch die oscarprämierte Verfilmung von 1987 berühmt ist. Vom Brot der Künstler handelt sie, ihrem Schrei nach Anerkennung. Aber auch von Nächstenliebe und was sie zu wecken vermag. Und von der Kraft, mit der sich die Kunst ihren Weg bis in die letzten unwirtlichen Winkel der Welt und in die Gemüter ihrer verkargten Seelen zu bahnen versteht. All das hat die Schriftstellerin und Lebenskünstlerin Tania Blixen in fesselnd tiefgründiger, poetischer Sprache und Figurenzeichnung verdichtet: Wie die geflohene französische Köchin und Kommunardin Babette sich nach der Flucht einem protestantisch-kargen Lebensstil ergibt, bis ihre große Stunde schlägt, sie nach Jahren noch einmal ihre hohe Kunst des Kochens mit einem sündhaft teuren Gastmahl für ein – wenn auch unwissendes – Publikum ausleben kann. Dass es ihr alles abverlangt, was sie zu geben hat, ist ihr, der Künstlerin, eine Erlösung. J. Mansch

Manesse Verlag, Aus dem Dänischen übersetzt und kommentiert von Ulrich Sonnenberg, Nachwort von Erik Fosnes Hansen, 115 S., 20 €