Ausgabe 04/2022
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Ab 1. Oktober 2022 verdient in Deutschland niemand mehr weniger als 12 Euro die Stunde. Damit setzt die Ampelregierung ein Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag um, Bundestag und Bundesrat haben Anfang Juni zugestimmt. Doch wer kontrolliert, ob tatsächlich der Mindestlohn gezahlt wird? Dafür ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zuständig. Sie ist eine Einheit der Zollverwaltung und hat diese Aufgabe mit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 übernommen.
Doch für flächendeckende, regelmäßige Kontrollen der Betriebe reicht das Personal bei Weitem nicht. "Wir prüfen immer seltener verdachtsunabhängig", erzählt Sylvia Sommer**, die bei einem Hauptzollamt im Südwesten Deutschlands arbeitet. "Dazu kommen wir wegen der hohen Belastung gar nicht mehr." Die Belastung ist hoch, weil die Behörde zum einen allen eingehenden Hinweisen nachgehen muss. Zum anderen aber auch, weil das Personal fehlt.
Denn mit der Kontrolle der Mindestlöhne ist ein umfangreiches Arbeitsgebiet zu den Aufgaben der FKS hinzugekommen. Daher hat der Haushaltsausschuss des Bundestages bereits Stellenbesetzungen zugestimmt. Hinzu kommt der demografische Wandel: Zahlreiche erfahrene Kolleg*innen gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Stefan Adamski, Sprecher des ver.di-Arbeitskreises Bundesfinanzverwaltung, geht davon aus, dass bis 2030 mindestens 20.000 Beschäftigte in der gesamten Bundesfinanzverwaltung extern als Tarifbeschäftigte und Laufbahnbeamt*innen eingestellt werden müssen.
Die Höhe der Personalunterdeckung bei der FKS sei bei den verschiedenen Hauptzollämtern unterschiedlich, aber Personal fehle überall. Im Rahmen der Amtshilfe müssten die besser besetzten Ämter Aufgaben der schwächer besetzten mit übernehmen müssen. "Allein die Fahrtzeit zu Kontrollen in anderen Zollbezirken fehlt für Kontrollen in den eigenen Bezirken", schildert Adamski eine Situation aus dem Alltag der Beschäftigten. Doch ob das Streben nach mehr Personal und damit mehr Kontrollen immer so groß ist? "Wo nicht kontrolliert wird, schreit niemand", sagt Adamski, der selbst im Hauptzollamt Schweinfurt arbeitet.
Alle Hinweise registrieren
Walter Winter** nimmt in einem Hauptzollamt im Süden der Republik Hinweise auf Betriebe entgegen, in denen wohlmöglich nicht alles ganz korrekt abläuft. Er prüft und bewertet sie, leitet sie dann an seine Kolleg*innen im Einsatz weiter. In dem Zollamt gehen pro Jahr rund 3.000 Hinweise ein, mal anonym, mal mit Nennung des Namens. "Da melden sich Beschäftigte oder ehemalige Mitarbeiter*innen, Konkurrenzunternehmen, Nachbarn, aber auch mal ehemalige Partner*innen bis hin zum Ex-Mann oder der Ex-Frau", erzählt Winter. Je konkreter die Infos sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Team der FKS sich den Betrieb mal genauer ansieht.
Bezogen auf den Mindestlohn helfen Lohnabrechnungen, konkrete Gedächtnisprotokolle, Aussagen zum gewährten Urlaub etc.. Aber egal wie wenig konkret eine Meldung ist, sie wird registriert. Und wenn sich in einem Betrieb die Meldungen häufen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass er kontrolliert wird. Außerdem arbeitet die FKS auch mit anderen Ämtern zusammen, etwa den Arbeitsagenturen, dem Jobcenter, Ordnungs- und Gewerbeämtern, der Polizei und den Rentenkassen. Umgekehrt können Hinweise von dort auch Kontrollen der FKS nach sich ziehen.
Kontrollen sind wichtig
Überwiegend werden sie in Bauunternehmen aktiv, in der Gebäudereinigung, bei Speditionen und in der Gastronomie, aber auch bei Friseurbetrieben. Dabei geht es auch um Schwarzarbeit. Bei den unangemeldeten Kontrollen werden unter anderem die Beschäftigten befragt, Lohnabrechnungen werden kontrolliert, ebenso die Dokumentation der Arbeitszeit. "Meist sind die Betriebe kooperationsbereit und sagen, dass sie die Kontrollen wichtig finden", sagt Winters Kollegin Heidi Herbst**. Sie arbeitet in den Teams bei den Prüfungen vor Ort. Geschaut wird nach Auffälligkeiten, etwa ob die Stundenaufzeichnungen auffällig oder ob Lohn und Gewinn nachvollziehbar sind.
"Man bekommt im Laufe der Zeit ein Gespür dafür", sagt Herbst. Und selbst wenn sie sich privat am Imbiss eine Portion Pommes kaufe, schaue sie, ob diese Einnahme auch korrekt verbucht werde oder in der Schublade unter der Theke lande. "Das ist mittlerweile so drin", sagt sie. Allerdings hätten die Teams nicht immer etwas zu beanstanden. In der Regel stoßen sie auf kleinere Verstöße, bei denen Ermahnungen reichen.
Kommt es jedoch zu größeren Unstimmigkeiten, beginnen die Ermittlungen. Und die können sich hinziehen. Dann wird geschaut, was an zusätzlichem Material gebraucht wird und bei welchen Ämtern diese Informationen zu bekommen sind. Wenn nötig werden auch Unternehmen oder die Privatwohnungen der Führungskräfte durchsucht. Das kann auch zu großen Ermittlungsverfahren führen, in denen im Laufe von Monaten zahlreiche Zeug*innen vernommen werden, um kriminelle Strukturen aufzudecken. Diese übernehmen spezielle Bereiche der FKS, am Ende gehen die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft.
Auch die Ermittelnden vor Ort wünschen sich mehr Personal bei der FKS. Doch das ist nicht so einfach zu bekommen, die Fachleute müssen erst einmal ausgebildet und eingearbeitet werden. Aber mit häufigeren Betriebsprüfungen könnten wir auch mehr Abschreckung erreichen, sagt Winter, wären in der Öffentlichkeit präsenter.
"Es muss echte Kontrolle stattfinden", sagt Stefan Adamski. Dafür bräuchten die Kolleginnen und Kollegen aber mehr Zeit. Und dazu müssten auch die Arbeits-Abläufe verbessert werden. Zu viel Zeit werde noch für organisatorische Arbeiten verwendet. Allein die Strukturen innerhalb des Zolls sollten beibehalten werden, fordert der Sprecher des ver.di- Arbeitskreises Bundesfinanzverwaltung. In diesem Sommer besucht er einige der Hauptzollämter mit Wahlkreisabgeordneten, damit sich die Politiker*innen mal ein Bild von der Lage machen. Und vor allem aber damit sie in Zukunft dann die Forderung nach mehr Personal für diese wichtige Arbeit und damit auch für die Mindestlohnkontrollen unterstützen.
** Name von der Redaktion geändert