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Strom aus – was wir jetzt sparen nützt nicht nur uns alleinFoto: Lev Dolgachov/Zoonar/picture alliance

ver.di publik: Die Inflationsrate steigt und steigt. Lebensmittel und Benzin sind schon seit Monaten deutlich teurer. Womit müssen wir Verbraucher*innen in nächster Zeit noch rechnen?

MICHAELA SCHRÖDER: Die schlechte Nachricht ist: Es wird alles noch teurer. Wir stecken in einer großen Preiskrise. Weil die Energie- und Heizkosten so stark steigen, steigen auch die Preise für sehr viele andere Produkte. Dazu kommen teilweise Unterbrechungen von Lieferketten. Vom Auto über Waschmittel bis zu Baustoffen wird wahrscheinlich alles teurer. Auch die Lebensmittelpreise werden vermutlich weiter steigen, weil auch dort eine Abhängigkeit von Energiekosten bei der Produktion besteht. Eine Entlastung für die Verbraucher*innen ist leider nicht absehbar.

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Verbraucherschützerin Michaela SchröderFoto: Gert Baumbach/vzbv

Gehen die Entlastungspakete der Bundesregierung weit genug?

Nein. Man muss nur mal schauen, um wen es hier geht: In unsere Verbraucherzentralen kommen viele Menschen zur Beratung. Einige von Ihnen bekommen Transfergelder oder – das ist ein viel größerer Teil – sie arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sie haben zwar einen Job oder sogar mehrere, aber trotzdem reicht das Geld nicht. Zum einen haben diese Menschen Angst vor den steigenden Heiz- und Energiekosten, zum anderen machen ihnen die Lebensmittelpreise zu schaffen, deren Steigerung sie jetzt schon spüren. Haushalte mit geringem Einkommen mussten bereits vor der Krise knapp kalkulieren und haben es insgesamt schwer, Geld zurückzulegen. Jetzt können sie das erst recht nicht. Wir haben Fälle, da können die Berater*innen in den Verbraucherzentralen nichts mehr raten, weil es einfach nichts mehr zu sparen gibt. Und diese Menschen gehen arbeiten! Sie haben einen Job und können trotzdem nichts beiseitelegen. Das ist dramatisch und auch für unsere Berater*innen schlimm, weil sie hier nicht wirklich helfen können.

Es muss also nachgebessert werden?

Ja. Wir glauben insbesondere mit Blick auf den Herbst, dass die Politik weitere Entlastungsmaßnahmen auf den Weg bringen muss. Für uns ist wichtig, dass die Leute in den unteren Einkommensgruppen zielgerichtet entlastet werden. Wir setzen uns dafür ein, dass man die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte abschafft, damit diese Produkte günstiger werden und auch Menschen mit wenig Geld mehr Möglichkeiten haben, sich gesund zu ernähren. Das ist grundsätzlich wichtig, weil wir ja nicht nur in der Preiskrise stecken, sondern auch in der Klimakrise. Auch aus Klimaschutzgründen und aus Gründen der Ernährungssicherung ist es wichtig, dass wir mehr landwirtschaftliche Fläche für pflanzliche Kalorien schaffen als nur für tierische. Der zweite Punkt ist, und den haben wir leider bisher in den Entlastungspaketen nicht, dass die ernährungsbezogenen Regelsätze in der Grundsicherung und beim Arbeitslosengeld II angehoben werden. Sodass explizit die Transfergeldempfänger*innen mehr Geld zur Verfügung haben, um mehr für die Ernährung ausgeben zu können.

Was ist mit dem Heizkostenzuschuss?

Der ist mit 300 Euro aktuell definitiv zu gering. Wenn wir die Preisentwicklungen im Energiebereich sehen, wird der Zuschuss nicht reichen. Wir setzen uns für 1.000 Euro ein. Und ein letzter Punkt, den wir in den Entlastungspaketen vermissen und für den wir uns stark machen: ein Moratorium für die Energiesperren. Es darf nicht sein, dass Leuten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, Strom und Gas abgestellt wird. Das muss ausgesetzt werden. Da muss es Abzahlungs- und Ratenpläne geben. Wir brauchen auf vielen Ebenen Entlastungen. Es ist zu kurz gedacht, wenn man nur auf Energie- oder Lebensmittelpreise guckt. Die Politik muss sich anschauen, welche weiteren Auswirkungen die Verbraucherpreiskrise hat und wo Maßnahmen zur Entlastung notwendig sind. Und gleichzeitig muss die ökologisch-soziale Transformation weiter erfolgen, damit wir in Deutschland und Europa unabhängiger werden von fossilen Energien. Das muss Hand in Hand gehen.

Wie viel Mehrkosten für Heizung kommen auf uns zu?

Das ist seriös nicht zu sagen. Es gibt unterschiedliche Arten zu Heizen, auch das individuelle Heizverhalten ist unterschiedlich, und wir können schwer absehen, wie sich die Preise entwickeln. Aber wichtig ist jetzt: Jeder sollte versuchen Geld zurückzulegen und Energie zu sparen. Wir alle müssen sparen – nicht nur die privaten Haushalte, auch die Industrie und die öffentliche Hand. Das Sparen ist jetzt eine solidarische Leistung. Das sollte jeder machen – damit er weniger verbraucht und weniger bezahlen muss. Aber auch weil wir in dieser Krise sind und uns unabhängiger machen müssen von den fossilen Energien und das ein Beitrag dazu ist.

Haben Sie Energiespartipps für unsere Leser*innen?

Wir haben dazu eine Checkliste herausgegeben. Das sind viele kleine Maßnahmen – sei es die Temperatur beim Kühlschrank um zwei Grad runterzustellen, weniger Warmwasser zu verbrauchen, die Hände vorwiegend mit kaltem Wasser zu waschen und so weiter. Es macht Sinn, diese Checkliste durchzugehen. Jeder wird irgendetwas finden, wo er noch sparen kann. Das hört sich im ersten Moment klein an, aber wenn das alle machen, hat das eine Wirkung auf das große Ganze. Bei der öffentlichen Hand und in der Industrie ist das nichts anderes, auch sie müssen schauen, wo sie Energie sparen können. Natürlich müssen manche Betriebsanlagen die ganze Zeit laufen, aber ob zum Beispiel überall die Reklame in den Schaufenstern die ganze Nacht an sein muss, stelle ich mal in Frage. Das sind alles kleine Räder, aber gerade die sind wichtig fürs Gesamtergebnis.

Die Verbraucherzentralen bieten auch Energieberatungen an.

Ja, unsere Berater*innen kommen eigentlich nach Hause und prüfen, wo es Einsparpotenzial gibt. Sie beraten bei der Umstellung der Energieversorgung, beim Ausfüllen der Fördermittelanträge und mehr. Die Beratungen sind zurzeit leider ausgebucht. Aufgrund der Krise ist die Nachfrage groß. Wir fangen das durch Online-Beratungen und -Vorträge auf, da kann man sich einfach anmelden. Und zu all diesen Themen beraten die Verbraucherzentralen in den Bundesländern auch am Telefon und in den Beratungsstellen.

Wird absehbar vielleicht auch irgendetwas günstiger?

Leider ist uns nichts bekannt, was in dieser aktuellen Krise, dieser Preismisere, auf einmal günstiger werden sollte. Das Steigen der Energiepreise ging schon vor dem Krieg gegen die Ukraine im letzten Herbst los. Wir haben schon im Dezember von "Energiepreisen des Grauens" gesprochen, die im Nachhinein gesehen noch harmlos waren. Jetzt muss politisch gegengesteuert werden, reguliert werden. Dann wird sich auch ein Großteil der anderen Preise regulieren.

Sie fordern auch, dass das Bundeskartellamt die Preissteigerungen stärker überprüft, um künstliches Hochtreiben zu verhindern.

Hersteller von Lebensmitteln begründen die Preissteigerungen mit dem Krieg gegen die Ukraine, die Preise für Energie, Rohstoffe und Düngemittel würden steigen. Aber nicht alle Preissteigerungen basieren auf höheren Herstellungskosten, nicht jede Preissteigerung hat mit dem Krieg zu tun und ist deswegen gerechtfertigt. Es gibt Vermutungen, dass das hier und da als Ausrede genutzt wird, um die eigenen Gewinne zu verbessern. Es gibt Spekulationen an der Börse – vor allem mit Energierohstoffen, aber eben auch mit Lebensmitteln wie Weizen und Pflanzenölen – und damit teilweise ein Ausnutzen. Das muss dringend untersucht werden, und da muss das Bundeskartellamt tätig werden. Wir wollen, dass es für bestimmte Produkte langfristige Preisentwicklungsuntersuchungen gibt. Das wird bisher nur sporadisch gemacht, aber es gibt keine systematischen Untersuchungen. Gewinne aus der Krise sind nicht nur moralisch ein Problem.

Interview: Fanny Schmolke

Checkliste zum Sparen:

verbraucherzentrale.de/wissen/energie/ strom-sparen/strom-sparen-im-haushalt-einfache-tipps-10734