Ausgabe 05/2022
Schwerelos mit Seekuh
Nur noch knapp 600 dieser friedlichen, fast blinden Säugetiere gab es in den 1970er Jahren, die zwischen November und März in die warmen Gefilde der Küste Floridas zum Überwintern kamen. Viele tödliche Zusammenstöße mit Schiffen hatten ihre Art bedrohlich dezimiert. Heute freuen sich das Crystal River National Wildlife Refuge und das strenge Umweltamt U.S. Fish & Wildlife Service über das Ergebnis ihrer Bemühungen – rund 9.000 Manatees kommen nun jährlich.
Hier können sie unbehelligt den seichten Meeresboden abgrasen und sich in aller Ruhe vermehren. Die Wassertemperatur ist ideal. Manatees benötigen mindestens 22 Grad Celsius zum Überleben. Neun festangestellte Mitarbeiter und 120 Freiwillige sorgen für das Wohlergehen der Tiere. Und das trotz rund 250.000 Besuchern jährlich. Denn die tonnenschweren Seekühe haben ihren guten Ruf zu Recht: Freundlich und hauptsächlich am Fressen interessiert, gleiten sie sorgenfrei durch das kristallklare Wasser, das sich aus dem Süßwasser der Sümpfe Floridas und dem Salzwasser aus dem Golf von Mexiko speist.
Nur gucken, nicht anfassen
Mit den Manatees schwimmen darf man hier erst nach einer intensiven Einführung und unter Begleitung von Mitarbeitern wie Ashley und Anthony. Zunächst gibt es die nötigen Informationen in einem Film und dann die wichtigste Regel: "Hände bei sich behalten, den Tieren nicht hinterhertauchen oder hinterherschwimmen, sich ruhig und passiv verhalten. Nur gucken, nicht anfassen."
Danach geht es in zwei Booten aufs Wasser. Alle quetschen sich in Neoprenanzüge und Taucherbrillen mit Schnorchel. Im Wasser Ruhe zu bewahren, ist zunächst leichter gesagt als getan. Eine Schwimmnudel soll helfen und uns ausbalancieren. Seltsamerweise aber senkt sie den Kopf ab und hebt das Hinterteil; es wird geprustet, strampelnde Beine wirbeln das Wasser auf und es wird nach Luft geschnappt. "Einatmen, Ausatmen", ruft Ashley, und das wirkt. Als Ruhe einkehrt, berührt plötzlich ganz sachte etwas den Fuß – unter uns schiebt sich neugierig eine dickliche, sehr große graue Gestalt am Meeresboden längs und lässt sich das Seegras um die Nase streichen – ein Manatee! Ashley deutet auf ein Dreiergespann. Zwei männliche Manatees stellen einer Seekuh nach, das sieht man selten! Die anderen Tiere gleiten fast bewegungslos durch das Wasser. Mitunter kommen sie so nah, dass man ihre Barthaare und die großen Nasenlöcher betrachten kann. Dann wird das Wasser trüb, und weg sind sie wieder.
Seegras und Wassersalat
Einige schwimmen in die Schutzzonen, in die der Mensch nicht darf. Andere Seekühe aber nehmen die Mangroven-Passage zur türkisblauen Quelle; dorthin kann man ihnen unauffällig folgen. Deutlich sichtbar steigen magische silberne Bläschen über den Tieren auf. Wie die Meerjungfrau im Märchen schwärme ich verzückt, doch danach befragt, klärt Jim Valade vom Fish und Wildlife Service lachend über den ständigen Verzehr von Seegras und Wassersalat auf: "Auch Manatees haben mal Blähungen. Aber eben sehr hübsche."
Wer mehr von Floridas Tierwelt erleben will, dem sei noch der Besuch im nur anderthalb Stunden entfernten Tampa empfohlen. Nicht nur gibt es hier die Vielfalt der Wasserwelt Floridas in einem Aquarium zu bestaunen. Auch der Stadtteil Ybor City lohnt sich. Hier laufen fast so viele Hühner frei herum wie Einwohner. Die Besonderheit: Die Tiere genießen hier ganz offiziell Bürgerrechte. Es steht unter strenger Strafe, sie zu jagen, zu verletzen oder anderweitig zu belästigen. Die rechtliche Kuriosität geht auf einen offiziellen Erlass zurück – handelt es sich bei dem überall gackernden Federvieh immerhin um die direkten Nachfahren der mitgebrachten Hühner der ersten Siedler dieser Region. Jenny Mansch
Reiseinfos
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Schwimmen mit Manatees – Explorida Tours
The Florida Aquarium, Tampa
Die Hühner von Tampa:
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