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Proteste hat es von Anfang an gegeben gegen Hartz IV – bis heute halten sie anFoto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa

Weg mit Hartz-IV: Die Parole ist jetzt Regierungsprogramm. Doch aus welchen Gründen haben SPD und Grüne ihr eigenes Kind schließlich verstoßen? Welche Leitprinzipien stehen hinter dem Bürgergeld, das nächstes Jahr die Grundsicherung ablösen soll? Leider steht eine diesbezügliche Diskussion noch immer aus. Und die Folgen lassen sich bereits an dem Gesetzentwurf ablesen, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, Ende Juli vorgestellt hat: In seiner jetzigen Form weist das Bürgergeld zwar positive Schritte auf, bleibt aber auf halber Strecke stecken. Und: Die entscheidenden Geldfragen sind vertagt.

Am umstrittensten war schon immer die Frage der Sanktionen. Aktuell sind die Hartz-IV-Sanktionen ausgesetzt. Aber Abzüge eines Drittels der ohnehin sehr kargen Leistungen als Strafe bei sogenannten "Pflichtverletzungen" lassen sich mit der "Würde des Einzelnen" nur schwer vereinbaren, deren Wiederherstellung das Bürgergeld jetzt verspricht. Doch Koalitionspartner FDP und Oppositionspartei CDU bestehen weiterhin auf Zwangsmaßnahmen, damit das Bürgergeld nicht als bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür kommt. In Heils Entwurf heißt es nun, Sanktionen fallen weg – aber nur in den ersten sechs Monaten des Leistungsbezuges. Nach einem halben Jahr endet die sogenannte "Vertrauenszeit", für Langzeiterwerbslose ist das kein gutes Signal.

Und es fällt schwer, die Abschaffung von Schikanen als Fortschritt zu feiern, die in erster Linie niemals hätten eingeführt werden dürfen. Etwa die Pflicht, sich beim Jobcenter abzumelden, wenn man den Wohnort verlässt. Wie große Worte wie "Augenhöhe" oder "Respekt" in die Praxis umgesetzt werden, woran sich der kommende "Kooperationsplan" von der bisherigen "Eingliederungsvereinbarung" unterscheiden wird, das wollen angefragte Betroffene erst einmal abwarten.

Augenmerk auf Aus- und Weiterbildung

Ein Beschluss allerdings wird allseits begrüßt: die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs. So hieß die gängige Praxis, Hartz-IV-Empfänger*innen in den erstbesten Aushilfsjob hineinzupressen. Mittlerweile hat man verstanden, dass zwei von drei Erwerbslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. In Zeiten von Arbeitskräftemangel wird die Priorität zurecht auf Aus- und Weiterbildung gesetzt.

In einer ersten Bewertung erklärt der ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss, die Reform käme "denen zugute, die neu in den Bezug von SGB-II-Leistungen kommen und nur kurzfristig darin bleiben." Für die ersten beiden Jahre ist tatsächlich einiges zu begrüßen. Bürgergeld-Empfänger*innen werden zunächst nicht mehr ihre ganzen Ersparnisse aufbrauchen müssen. Vorhandenes Vermögen soll erst ab einer Grenze von 60.000 Euro angerechnet werden, bei jeder weiteren Person im Haushalt ab 30.000 Euro. Für zwei Jahre werden auch die Wohnkosten anerkannt, wenn die Wohnung größer und teurer ist, als das als "angemessen" eingestufte Niveau. Das dürfte beim Abbau von Abstiegsängsten helfen. Bloß, warum nur zwei Jahre? Ist die Karenzzeit überschritten, dann schrumpft das Schonvermögen, und der Schutz der Wohnstätte unterliegt wieder Angemessenheitskriterien.

Ein Zweiklassensystem

So wie es aussieht, wird mit dem Bürgergeld ein Zweiklassensystem eingeführt. Auf der einen Seite stehen die Personen, die eine Überbrückung brauchen, um schnell in ein Arbeitsverhältnis zurückzukehren. Für sie entfällt das Hartz-IV-Stigma. Auf der anderen Seite, so der ver.di-Erwerbslosenausschuss weiter, sind diejenigen, "die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können." Für sie werden "die geplanten Veränderungen keine Veränderungen bringen". Entgegen populistischer Hetze sind die üblichen Verdächtigen der Sozialpolitik keine Menschen, "die das System ausnutzen", sondern allermeistens Pflegende, Alleinerziehende, psychisch oder physisch Kranke, die umgekehrt viel stärker auf Unterstützung angewiesen sind.

Offen bleibt auch die Kernfrage der Regelsätze. Von einem Ausstieg aus der Armut kann mit aktuellen 449 Euro im Monat – insbesondere in Inflationszeiten – nicht die Rede sein. Sowohl ver.di als auch der Paritätische fordern eine sofortige Anhebung um mindestens 200 Euro. Vertreter von SPD und Grünen reden lediglich von 40 bis 50 Euro – und selbst davon will Finanzminister Lindner, FDP, nichts wissen. Stattdessen will seine Partei den Zuverdienst für Bürgergeld-Empfänger ausweiten – auch ein strittiges Thema –, was von einer externen Kommission ausgearbeitet werden soll.

Endgültig wird das Bürgergeld erst mit der parlamentarischen Debatte im Herbst Gestalt annehmen, zumal der Bundesrat, also auch die Union, sein grünes Licht geben muss. Überoptimistisch geben sich die Erwerbsloseninitiativen nicht.