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Die moderne Stechuhr funktioniert digitalFoto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa

Ein dienstliches Telefonat in der Freizeit? Mal kurz am Wochenende ein paar E-Mails beantworten? Überstunden, die nicht ausgeglichen werden? Das soll es nach dem am 14. Mai 2019 ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eigentlich nicht mehr geben. In seiner Entscheidung zu einer Klage der spanischen Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) hat das Gericht entschieden: Die EU-Staaten müssen Arbeitgeber verpflichten, jede Arbeitsstunde ihrer Beschäftigten genau und verlässlich zu erfassen (Rechtssache C-55/18).

Für Millionen Beschäftigte ist das ein ermutigendes Signal: Gut, wenn endlich die realen Arbeitszeiten erfasst werden. Denn ohne ein Zeiterfassungssystem, das die tägliche Arbeitszeit der Beschäftigten misst, können weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden noch Ruhezeiten und die Zahl der Überstunden verlässlich ermittelt werden. Für die Einhaltung des Arbeitszeitschutzes ist das aber unverzichtbar. Wenn die Arbeitszeit nicht erhoben wird, ist es für Beschäftigte sehr schwierig, ihre Rechte durchzusetzen.

In vielen Berufen kommen Beschäftigte früher und gehen später, um bei der viel zu dünnen Personaldecke ihre Arbeit überhaupt bewältigen zu können. Auch aus einigen Minuten können am Ende der Woche schnell zwei bisher nicht erfasste Überstunden, und eben Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz werden. Überstunden werden in vielen Betrieben weder bezahlt noch in Freizeit vergütet. Die realen Arbeitszeiten sind heute bereits höher als die tariflich vereinbarten. Die massiven Forderungen der Arbeitgeberseite und der Wirtschaftslobby nach weiterer Arbeitszeitverlängerung, Verkürzung von Ruhezeiten und ungehemmter Flexibilisierung gefährdet unser aller Gesundheit erheblich.

Die wichtigsten FAQs

1. Wie wird die Arbeitszeiterfassung in Deutschland geregelt?

Um Beschäftigte zu schützen und Arbeitgebern bundesweit grundsätzlich einheitliche Regelungen vorzugeben, wurde 1994 das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) erlassen. Es gilt für Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und regelt Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten, Ruhepausen und vieles mehr. Einige Branchen und Jobs sind von diesen Regelungen ausgenommen, so zum Beispiel Chefärzte, Schiffsbesatzungen oder der öffentliche kirchliche Dienst; ausgenommen sind auch leitende Angestellte und Geschäftsführer.

Im Arbeitsgesetz ist heute auch schon die Arbeitszeiterfassung geregelt. In § ⁠16 "Aushang und Arbeitszeitnachweise" heißt es: "Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des §3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß §7 Abs. 7 eingewilligt haben."

2. Was ist das sogenannte Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem Urteil von Mai 2019 Arbeitgeber verpflichtet, die volle Arbeitszeit ihrer Beschäftigten ab der nullten Stunde systematisch zu erfassen. Das Urteil soll für mehr Arbeitsschutz sorgen und ausufernde Arbeitszeiten eindämmen. Der EuGH legt letztverbindlich EU-Recht aus und hat entschieden, dass sich die Pflicht zur Zeiterfassung aus der Europäischen Grundrechtecharta und dem Grundrecht der Arbeitnehmer*innen (Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen inklusive des ausdrücklichen Rechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten) als wichtigem sozialpolitischen Grundsatz ergibt.

Dem Urteil vorausgegangen war eine Klage der spanischen Gewerkschaft CCOO gegen die Deutsche Bank SAE wegen des Fehlens eines betriebsinternen Systems zur Erfassung der von den Beschäftigten dieses Unternehmens geleisteten täglichen Arbeitszeit. Ohne derartige Erfassungssysteme könnte die Einhaltung der Zeiten nicht überprüft werden. In Deutschland besteht nach dem Arbeitszeitgesetz nur die Pflicht, die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit zu erfassen. Gewerkschaften betonen bereits seit Längerem, dass diese Aufzeichnung nur möglich sei, wenn auch die Arbeitszeit unterhalb von acht Stunden registriert würde.

3. Ab wann gilt das Urteil in Deutschland?

Bisher hat die Bundesregierung das deutsche Arbeitszeitgesetz noch nicht entsprechend geändert. Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag jedoch festgelegt, sich dem Thema der Arbeitszeiterfassung anzunehmen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollte die anstehende Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober und die parallele Erhöhung der Minijob-Obergrenze von 450 auf 520 Euro dazu nutzen, auch die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit für diese Jobs deutlich schärfer zu regeln. Dazu hatte er am 1. Februar 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für elf Branchen eine Pflicht zur digitalen Erfassung aller Arbeitszeiten anordnete.

Kurz bevor der Gesetzentwurf für ein Gesetz mit dem Namen "Zweites Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung" im Bundeskabinett beschlossen werden sollte, hatte Heil sämtliche Passagen zur Arbeitszeiterfassung aus dem Entwurf genommen. Die strengere Arbeitszeiterfassung ist damit erst einmal erneut vom Tisch. Die FDP hatte sich mit der Argumentation, die genaue Erfassung wäre "in der Praxis nicht umzusetzen", gegen die Neuregelung gestellt. Es bleibt daher nach wie vor erforderlich, auch in Deutschland die Verpflichtung der Arbeitgeber zu einer verlässlichen, objektiven und zugänglichen Zeiterfassung gesetzlich zu regeln.

4. Wie sicher sind die persönlichen Daten bei der digitalen Zeiterfassung?

Mit der Einführung der digitalen Zeiterfassung rückt die Frage nach der Sicherheit der Daten von Mitarbeiter*innen in Betrieben noch stärker in den Fokus. Bei jeder Arbeitszeiterfassung erhebt der Arbeitgeber personenbezogene Daten seiner Beschäftigten und muss entsprechend die Datenschutzregeln der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) beachten. Der Arbeitgeber darf und muss grundsätzlich die Arbeitszeit aufzeichnen und entsprechende Daten verarbeiten. Denn die Aufzeichnung der Arbeitszeit ist für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich und der Arbeitgeber verpflichtet, ein System vorzuhalten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tatsächliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Entscheidend für die Vereinbarkeit von Datenschutz und Arbeitszeiterfassung ist die Einhaltung der Grundsätze aus Artikel 5 DSGVO.

Diese besagen unter anderem, dass die Daten nur für eindeutige und legitime Zwecke erhoben und nicht für andere Zwecke verarbeitet werden dürfen. Außerdem dürfen nur so viele Daten erhoben und verarbeitet werden, wie für den Zweck nötig. Alle personenbezogenen Daten müssen nach Zweckentfall und Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen gelöscht werden. Sollte es Unsicherheiten in Bezug auf Arbeitszeiterfassung und Datenschutz geben, ist es immer sinnvoll, sich an den Datenschutzbeauftragten des Betriebs oder aber auch an den Betriebs- oder Personalrat zu wenden. Dieser sollte Auskunft darüber geben können, wer und wo Zugriff zu den eingegebenen Daten hat und ob eine rechtliche Grundlage dafür existiert.