Ausgabe 06/2022
Sparen, sparen, sparen
"Zögern Sie nicht zu fragen, falls Sie irgendwas brauchen, gern sagen wir Ihnen, wie Sie darauf verzichten können." An den Witz aus dem ehemaligen Ostblock fühlt man sich dieser Tage angesichts der vielen Spartipps erinnert, die sich in Vorbereitung auf den kalten Inflationswinter überhäufen. Vorbei mit exotischen Kochrezepten und Gadgets im Überfluss, jetzt wird auf Mangelwirtschaft umgestellt. Gepriesen wird etwa das Sammeln von Kräuterblättern, um Leitungswasser Aroma zu verleihen, oder der Geschmack gewürzter Semmelbrösel als Parmesan-Ersatz. Der Tagesablauf wird von der Suche nach dem billigen Zeitpunkt bestimmt. Getankt wird zwischen 20 und 22 Uhr, eingekauft werden Gemüse und Brot am Samstagabend, und sonntags kocht man Pellkartoffeln, die während der Woche gebraten werden. Abends werden die Klamotten mit Seife entfleckt und zum Auslüften aufgehängt. Erst, wenn es nicht mehr anders geht, kommen sie in die Waschmaschine. Die Badewanne ist nur noch zur Deko da, die Nutzung der Dusche anhand eines Duschrechners streng kontingentiert. Überhaupt ist auch der Waschlappen eine brauchbare Erfindung, so Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident der Schwaben. Immer an der Spitze des Fortschritts hat Baden-Württemberg eine 300.000 Euro teure Sparkampagne mit dem überaus cleveren Namen "Cleverländ" gestartet. Da zeigt der grüne Ministerpräsident selbst eindrucksvoll, wie man "für unsere ukrainischen Freunde und für das Klima" den Heizkörper zudreht und einen Deckel auf den Kochtopf setzt. Nicht nur ist es für Menschen, die den Gürtel enger schnallen müssen, ziemlich beleidigend, wenn die Not in eine Tugend verklärt wird. Auch fragt sich, wieso die Politik sich mit kleinen Haushaltstipps beschäftigt, anstatt Übergewinnsteuer, Energiepreis-Deckel und die Anhebung des Mindestlohns zu beschließen. Zugegeben eine rhetorische Frage. Ein üblicher neoliberaler Trick ist doch, die Verantwortung auf Einzelverhalten zu schieben, damit Industrie und Kapital entlastet werden. Übrigens muss man sich das Sparen erst einmal leisten können. Die Cleverländ-Kampagne rät den Bürgern dazu, nur "Geräte mit der besten Effizienzklasse" zu verwenden und in Solaranlagen, neue Fenster und Elektroautos zu investieren. So werden Wirtschaftswachstum und Sparmoral versöhnt. Wer das Geld dafür nicht hat, dem bleiben halt die Pellkartoffeln.