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Ruhe vor dem Andrang im Olympiabad
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Ein Schwimmer zieht seine Bahn
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Im Olympiabad macht sich ein Schwimmer warm
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Der Mann am Beckenrand: Aurel Neimeier, Meister für Bäderbetriebe im Olympiabad
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Dusche außer Betrieb: Dirk Großer, Meister für Bäderbetriebe im Nordbad
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Auch im Nordbad fehlt Personal
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Kinderbecken-Landschaft im Olympiabad – die Wassertemperatur stimmt

Die Herbstsonne ist zwar schon hinter die Häuser gerutscht. Aber ein kleines, sonniges Eckchen gibt es noch im Münchner Nordbad. Dorthin haben zwei Badegäste ihre Liegen geschoben, um in Bikini und Badehose letzte Wärme zu tanken. Im Becken ziehen ein paar Brustschwimmer ihre Bahnen. Ab und zu tritt jemand aus der Saunatür in die große, neoklassizistische Schwimmhalle und tappt die Steintreppen hinunter, ein Handtuch um die Hüften geschlungen.

Es ist hell und friedlich an diesem Nachmittag. Dass die Lampen in der Schwimmhalle aus sind, stört kein bisschen. Manche maulen an der Kasse, weil das Wasser im Becken zwei Grad weniger hat. Aber die Schwimmer schreckt das nicht ab. Problematischer ist da schon die Absenkung der Wassertemperatur im Außenbecken. 34 Grad hat das sonst. Stundenlang lassen sich manche Badegäste darin treiben, auch nachts, in der Strömung, unter Sternenhimmel. Jetzt, in Zeiten von Krieg und Krise, sind es nur noch 30. "Das gefällt den Leuten weniger", sagt Dirk Großer.

Krankmeldungen ohne Ende

15 Uhr. Für ihn ist heute Schichtende. Es stimmt schon: Der Winter steht vor der Tür, von dem alle sagen, er werde kalt, dunkel und schwer. Schwimmbadschließungen drohen. Kalte Duschen. Auch im Sozialen: Minustemperaturen. Aber Großer ist es warm, sogar sehr warm. Er kommt gerade aus der Sauna. Um Energie zu sparen, haben die Stadtwerke in den Münchner Bädern nur vier von zehn Saunaanlagen aufgemacht. Eine davon im Schwabinger Nordbad. Die Saunameister, heißt es bei den Stadtwerken, wurden in andere Bäder verteilt. Eigentlich müsste also mehr als genug Personal da sein. Aber es gibt Krankmeldungen ohne Ende.

Also ist Bademeister Großer eingesprungen. Den ganzen Tag stand er da, Aufgüsse machen. Am Anfang schwitzt man dabei nicht, sagt er. Erst beim dritten Aufguss beginnt das, und dann bleibt es und hört auch nach der Arbeit nicht auf, im Gegenteil: Man schwitzt und schwitzt, die Hitze brennt nach.

Großer wischt sich die Stirn. Seit 1997 arbeitet er im Nordbad. Eigentlich wollte er mal Sport studieren. Er machte den Rettungsschwimmer, half einen Sommer lang im Nordbad aus. Und blieb.

Großer ist einer von insgesamt 220 Beschäftigten in den 18 Münchner Frei-, Hallen- und Kombibädern. 80 Saisonkräfte kommen hinzu. In Schwimmbädern arbeiten Fachangestellte oder Meister für Bäderbetriebe, un- und angelernte Kräfte und Leute mit fachfremder Ausbildung. "Aber Bademeister", sagt Dirk Großer, "gibt es hier nicht." Die Gäste im Schwimmbad sagen trotzdem Bademeister, wenn sie über Männer wie ihn sprechen, die am Beckenrand stehen und alles im Blick haben. "Ein Traumjob für Menschen, die gern Leute beobachten", sagt Großer. "Ich habe viel durch Beobachtung gelernt. Man gewinnt Menschenkenntnis und ein Gespür."

Er sieht auf Anhieb, wer seine Kinder im Griff hat. Stellt fest, dass Eltern ihre Zwölfjährigen für den ganzen Tag im Bad abliefern, obwohl die sich schon nach zwei Stunden kaputt langweilen und anfangen, Randale zu machen. Andere, erzählt er, sind mit ihren kleinen Kindern noch nachts um elf im Schwimmbad, obwohl die doch eigentlich ins Bett gehören. Häufig kommen Mädchen zu ihm, deuten auf einen Kerl und sagen: Der lässt mich nicht in Ruhe. Was Sexualdelikte angeht, gilt das Nordbad als Hotspot. Auf Diskussionen, sagt Großer, lässt er sich in solchen Fällen nicht mehr ein. "Die bringen nichts." Wird ein Mädchen angetatscht, ruft er die Polizei. "Die Leute kommen aus Ländern, in denen sie Frauen nur verschleiert sehen". Wie sollen sie da kapieren, was erlaubt ist und was nicht?

Körperlich findet Großer seinen Job nicht anspruchsvoll. Mental schon. "Aufpassen ist anstrengend", sagt er. Acht Stunden pro Tag ist er im Bad, immer unter Menschen, 28 Grad Lufttemperatur, sieben Tage am Stück. Lärm und Konflikte vor allem am Wochenende, weil da das Bad voll Kinder und junger Leute ist. Und dann ist da noch der ermüdende Leerlauf an den Wochentagen, wenn die Frühschwimmer gegangen sind und der Tag sich wie Kaugummi zieht.

Chlor, Ozon und Salzsäure

Oben, in der Halle, sieht alles so einfach aus. Blaue Kacheln, gechlortes Wasser: Viele denken, das sei es schon, das Schwimmbad.

Aber eine gewaltige Unterwelt aus Rohren und Pumpen und Tanks ist nötig, um den Laden am Laufen zu halten. Mehrmals täglich steigt Großer ins Technikgeschoss ab und prüft, ob alles stimmt. Chlor, Ozon und Salzsäure werden hier gelagert, hochgiftiges Zeug. "Ein Schwimmbad ist eine Hochburg für Gefahrenstoffe", sagt Großer. Riesige Behälter fürs Duschwasser stehen da, andere sind mit Sand gefüllt, der das Wasser reinigt. Kontrolllämpchen signalisieren, dass das Wasser im Kinderplanschbecken in Ordnung ist. Ein paar Fenster gibt es hier auch. Aber aus denen sieht man direkt hinein ins Blau des Beckens, an dem Großer sonst steht und aufpasst.

Ärger empfindet er oft: Über weggeschnipste Zigarettenstummel, liegengelassenen Müll, die ganze Anspruchshaltung. Wenn man für ein paar Euro den ganzen Tag duschen und im Dampfbad rumhängen kann: Dann fehle die Wertschätzung, findet Großer. Tag für Tag muss er sich mit diesem Mangel herumschlagen. Dabei geht es ihm doch eigentlich um etwas ganz anderes: "Dass ich Menschen schütze und vor Gefahren bewache: Deswegen mache ich das." Dreißig Leute hat er schon aus dem Wasser geholt, erzählt er, acht oder neun wiederbelebt. "Eine extreme Stresssituation!"

Untergehende rufen nicht um Hilfe

Auch sein Kollege Aurel Neimeier, ebenfalls Meister für Bäderbetriebe, findet: Die Verantwortung ist enorm. Und: Sie belastet. Dabei erfüllt er sich mit seinem Job durchaus einen Kindertraum: "Schwimmen ist mein Ding", sagt er. Als kleiner Junge war er ständig im Wasser. Er sah den Mann am See, der von Frühling bis Herbst darauf achtete, dass keiner unterging und dachte: "Das muss ein toller Job sein!"

1999 begann er in der Olympiaschwimmhalle als Rettungsschwimmer, 2015 machte er den Meister für Bäderbetriebe. Er mag die Abwechslung, die Vielseitigkeit und "eine gewisse Freiheit" seines Jobs. Die Arbeit im Technikgeschoss. Die Personalplanung, die Verwaltung, das Bestellen von neuen Leuchten in den Umkleiden. Und natürlich steht auch er gern am Becken, geht drum rum, schaut ins Wasser. "Es ist ja schwierig zu erkennen, wenn jemand untergeht. Der ruft nicht um Hilfe. Er rudert nur herum. Und irgendwann ist er unten."

Das Olympiabad ist sein Bad, 1972 entstanden, ein kleines, architektonisches Wunder, das schwebt, als bestünde es aus nichts als Licht, Luft und Wasser. Viele kommen einfach nur, um sich anzuschauen, welches Meisterwerk Architekten zu den Olympischen Sommerspielen 1972 abgeliefert haben. Aber noch immer wird hier hart trainiert. Es treffen sich auch Studierende aus aller Welt, "das ist ein soziales Event", erzählt Neimeier. Manche planschen nur herum, denn wer aus China oder Osteuropa kommt, weiß nicht immer, wie man schwimmt. Am Wochenende sind dann alle zu Gast, Familien, Kinder, Jugendgruppen. Ab und zu: 60 Mann auf einmal. Es gibt Geschubse. Manchmal springt einer vom Turm, obwohl er nicht schwimmen kann, und zählt darauf, dass seine Kumpels ihn rausziehen. "Wir sind stocksauer, wenn sowas vorkommt", sagt Neimeier.

Bis 2007 habe es hier sehr viele schlechte Schwimmer gegeben, erzählt er. Damals war für die Fitnessstudiomitglieder die Nutzung des Schwimmbads inklusive. Es kamen supertrainierte Kerle, die sportlich aussahen, sich aber kaum über Wasser halten konnten. Mit der Übernahme des Bades durch die Münchner Stadtwerke habe sich das geändert. Jetzt plagt ihn und seine Kollegen ein anderes Problem: Es fehlt das Personal, und das schon lange. "Wir sind weniger geworden, die Arbeit ist mehr geworden", sagt Neimeier trocken.

Schichtarbeit schreckt ab

"Mit Personalmangel haben wir seit längerer Zeit zu kämpfen", erklärt auch Franz Schütz, bei ver.di Gewerkschaftssekretär für die Energiewirtschaft. "Die Badeaufsicht hat eine große Verantwortung. Die Belastungen sind hoch. Um bei Übergriffen und Gewalt von Jugendlichen eingreifen zu können, braucht man genügend Leute."

Wie die Münchner Stadtwerke bestätigen, haben sich während Corona viele Saisonkräfte umorientiert – obwohl auch sie nach dem Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe TV-V bezahlt werden. Vor zwei Jahren hat ver.di in München außerdem die Ballungsraumzulage durchgesetzt. 270 Euro brutto mehr haben die Fachangestellten der Bäder jetzt monatlich auf ihrem Konto. Ein riesiger Erfolg für die Gewerkschaft. Aber Schütz bleibt dabei: "Die Bezahlung ist absolut zu niedrig." Die Schichtarbeit schreckt ab. Die Öffnungszei-

ten sind zwar kundenfreundlich – aber hart für die Angestellten. Wurde früher bis 22 Uhr gearbeitet, kommt Neimeier heute erst um 23.20 Uhr raus. "Die Schichtzeiten machen einen ein bisschen fertig", sagt er, "auch die jungen Kollegen sind geschlaucht." Dann die Wärme: Bei Sonnenschein heizt sich die Olympiaschwimmhalle heftig auf. Niemeier behilft sich in solchen Fällen mit einem kleinen Trick: "Wenn es ganz schlimm ist, dusche ich Unterarme und Schenkel ab." Großer wäre geholfen, wenn er mehr Kollegen hätte. Und nicht mehr sieben Tage am Stück arbeiten müsste.

Schütz fordert, Anreize zu schaffen, um Personal zu rekrutieren. Eine Bäderzulage zum Beispiel. Häufig scheitert die Rekrutierung allerdings auch schlicht am Leistungsniveau der Bewerber, wie Neimeier erklärt: "Beim 25 Meter-Streckentauchen tun sich viele schwer."

Um das Personal zu entlasten und die Sicherheit im Bad zu erhöhen, wird man in München künftig auch auf Künstliche Intelligenz setzen. Ein zweijähriges Pilotprojekt "Smartes Schwimmbad" erkundet diese Möglichkeiten bereits im Südbad. Kameras überwachen hier das Becken. Mit der Zeit sollen sie lernen, gefährliche Situationen zuverlässig zu identifizieren. Aber das ist Zukunftsmusik. Jetzt geht erstmal das Jahr in seine nächste Runde. Und die Frage steht im Raum: Wird der Badebetrieb den Dezember, Januar, Februar überstehen?

Die Münchner Stadtwerke haben bislang behutsam auf die Energiekrise reagiert. Im Juli und August konnte man zwar im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie ein Viertel bis zur Hälfte des Verbrauchs einsparen, das lag aber vor allem am warmen Wetter. "Das Einsparpotenzial im Winter ist anders", so die Münchner Stadtwerke. "Denn wenn es kalt wird, ist der Wärmeverlust der Gebäude höher."

Den größten Energiefresser, das Dantebad mit seinem auch im Winter beheizten, dampfenden 50-Meter-Außenbecken, haben die Stadtwerke schon Mitte September geschlossen. Keine geringe Einsparung. Denn das Bad verbraucht zwischen Oktober und März durchschnittlich dreimal so viel Heizenergie wie die Konkurrenz. Der technische Service ist noch dort, draußen werden die üblichen Laubarbeiten durchgeführt. Das übrige Personal wurde auf die anderen Schwimmbäder verteilt. Zu Personaleinsparungen kommt es bisher nicht. Aber wie geht es weiter?

Der Notfallplan

Die Bäderallianz hat sich dazu bereits im Juli geäußert: Sollte Stufe 3 des Gasnotfallplans eintreten, sei ein Beitrag der Bäder zu leisten. Bloß: Welcher? Befragt, ob mit weiteren Schließungen zu rechnen ist, heißt es von Seiten der Münchner Stadtwerke nur: "Die aktuellen Maßnahme gelten vorbehaltlich der weiteren Entwicklung auf dem Energiemarkt." Auch auf die Frage, ob die Ticketpreise steigen werden, kommt eine Antwort, die alles offenlässt: "Das wird die Zukunft zeigen."

Immerhin: Geplant ist nicht, die Temperaturen weiter zu senken. Niedrige Temperaturen, so die Stadtwerke, sollen niemanden davon abhalten, schwimmen zu lernen – auch kleine Kinder nicht, die sich ans Wasser erst gewöhnen. Darum wurde die Temperatur in den Lehr- und Schulschwimmbädern auf 28 Grad festgesetzt. Auch Kinderschwimmkurse sind weiterhin geplant.

Neimeier glaubt: Das Olympiabad ist auf jeden Fall das letzte, das schließt. "Die Wettkämpfe laufen ja weiter. Die Schwimmer müssen trainieren. Und die Uni muss auch weiterhin ihre Sportausbildung anbieten." Für sein Nordbad ist Großer skeptisch: "Wenn es im Winter richtig kalt wird, weiß ich nicht, ob wir aufmachen", sagt er. Gut möglich, dass man an Weihnachten und Neujahr wie immer zumache und einfach ein paar Wochen Pause dranhänge.

Auch dann wäre für ihn eine Menge zu tun. Er kann das Wasser ablassen und die Becken reinigen und den Duschbereich gründlich sauber machen. "Irgendwas kann man in einem Bad immer machen", sagt er und zeigt auf den speckigen Beckenrand: Der Schmutz soll gleich nächste Woche verschwinden. Um seinen Job macht sich Großer keine Sorgen. "Aber wenn das Bad zumacht, tut mir das leid für die Leute, die schwimmen wollen."