PUBLIK: Wirst du zur Wahl wieder antreten?

Berthold Bose: Für die neue Landesbezirksleitung werde ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Landesleiter kandidieren. Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber sie ist notwendig und aus meiner Sicht konsequent, da diese Position viel Kraft und Energie verlangt.

Ist das Feld gut bestellt oder wird es schwierig werden in naher Zukunft für ver.di Hamburg?

Die Herausforderungen für ver.di hören nicht mit der Wahl der Landesbezirksleitung auf. Einige Themen haben wir gut bearbeiten können und ich darf sagen, dass wir als Team erfolgreich waren. Unser Haus ist finanziell solide aufgestellt und wir haben alle Anlagen, um wieder ein positives Mitgliederwachstum zu erreichen. Aber Themen aus dem tariflichen Bereich müssen immer wieder verteidigt oder angepasst werden, insbesondere im Zusammenhang mit der aktuell hohen Inflationsrate und den enormen Energiekosten. Das Gleiche gilt für die sozialen Fragen unserer Mitglieder und unser Eintreten für unsere Demokratie und gegen rechte Hetze und Rassismus.

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Berthold BoseFoto: HHLA/Nele Martensen

Auf was bist du mit Blick auf deine Arbeit für ver.di Hamburg stolz, was hättest du lieber anders gehabt oder gemacht?

Ich will mich auf drei Themen beschränken: Die Keimzelle zur Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro lag in Hamburg, weil wir das Thema immer wieder strapaziert haben. Hamburgs Erster Bürgermeister hat ihn als städtischen Mindestlohn eingeführt und mit gemeinsamem Druck haben wir ihn auf die Bundesebene gehoben. Sachgrundlose Befristungen zu streichen, haben wir seit Jahren in Hamburg gefordert. Dass das in der städtischen Verwaltung umgesetzt wurde, ist unser Verdienst und darauf bin ich auch stolz. Vor über acht Jahren galt es, den Landesbezirk gemeinsam auf die Herausforderungen der Zukunft auszurichten. Ich denke, das ist uns allen gut gelungen.

Welche langfristigen Herausforderungen siehst du auf ver.di Hamburg und auf Gewerkschaften insgesamt zukommen?

Wir müssen immer und ständig im Blick haben, neue Mitglieder zu gewinnen und unsere Mitglieder zu halten. Das ist eine enorm wichtige politische Aufgabe, denn damit entscheidet sich unsere Durchsetzungskraft. Zudem ist es existentiell, dass wir die Tarifbindung in den Branchen erhöhen. Tarifflucht von Arbeitgeber*innen entzieht der Wirtschaft und dem Sozialstaat wichtige Einnahmen und beschneidet die Ansprüche der Beschäftigten auf gute Arbeit und Lohn. Das gilt es zu ändern – zum Beispiel in einem ersten Schritt mit einem Tariftreuegesetz in der öffentlichen Vergabe von Aufträgen oder auch durch eine Reform der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Das letzte ist entscheidend in einer sich ständig immer kleinteiliger zergliedernden Betriebslandschaft – zum Beispiel im Einzelhandel.

Wenn wir auf ver.di schauen, ist es wichtig, sich inklusiver aufzustellen. Bei einer wachsenden Zahl an Beschäftigten mit Migrationshintergrund müssen wir uns auch in unseren Gremien und Vorständen entsprechend zusammensetzen. Das ist ein Prozess in ver.di und wir sind schon auf dem Weg.

Was braucht es, diese Herausforderungen zu meistern?

Wir haben unsere Fachbereiche fusioniert und uns mitgliedernäher aufgestellt. Dieser Umbau in ver.di war kraftraubend, aber notwendig. Diese neue Formation hat das Potenzial, uns kraftvoller in Tarifrunden einzubringen und auch in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen stärker als bisher zu agieren. Die Herausforderung ist, bei allen Mitgliedern nach der Pandemie und bei einer hohen Zahl an Beschäftigten in Homeoffice-Arbeit die Lust auf unsere Mitmachgewerkschaft wieder zu wecken. Hier braucht es neue Ansätze der Kommunikation und Motivation. Wir müssen lernen, die Distanz zu überbrücken und die Beschäftigten wieder an uns zu binden. Wir müssen also digitaler werden und zugleich persönlich erfahrbar bleiben.

Wo wirst du dich in Zukunft einbringen, wo wirst du Schwerpunkte setzen?

Ich werde auch nach der Wahl im Februar 2023 dem Landesbezirk Hamburg für seine vielfältigen Aufgaben zur Verfügung stehen. Das wird sicher projekthafter sein als bisher. Eine Schwerpunktsetzung erfolgt in Absprache mit der neuen Landesleitung.

Als Landesbezirksleiter kennst du zwangsläufig viele Menschen in der Organisation und in der Stadt – wen wirst du vermissen und auf wen kannst du herzlich gern verzichten?

Am meisten werde ich mein Team vermissen, das mit mir gemeinsam die Höhen und Tiefen in den letzten acht Jahren durchgemacht hat. In der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gibt es viele Menschen, mit denen ich sicher weiterhin in gutem Kontakt bleibe. So oder so ist jede Begegnung gut oder lehrreich gewesen, sodass ich auf nichts verzichten will.

Was macht Berthold Bose in Zukunft privat mit seiner Zeit, von der er dann mehr haben wird?

Es ist gut, weniger unterwegs und in den Randzeiten des Tages aktiv sein zu müssen. Anstelle dessen Sport zu treiben oder sich ein soziales Engagement zu suchen, ist ein angenehmer Gedanke. Mal sehen, was ich davon umsetzen kann.