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Simone Buchholz:Unsterblich sind nur die anderen

Ein herber Kapitän, der 138 Jahre alt ist. Eine attraktive Barkeeperin, die aus verschiedensten Persönlichkeiten besteht. Ein melancholischer Bordmusiker, der Leonard Cohen spielt. Diese Wesen gehören zu der funkelnden Crew, die Simone Buchholz für ihr fiktives Romanschiff erfunden hat. Die Nordatlantik-Fähre gleitet übers Meer, von Dänemark über die Färöer Inseln nach Island und zurück, immer wieder die gleiche Route.

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Zwei junge Frauen, Iva und Malin, fahren als Passagiere zum ersten Mal mit. Zunächst suchen sie an Bord ihre verschwundenen Freunde, mit denen sie noch vor kurzem auf Reisen waren. Tatsächlich finden sie die Männer, die seltsam verwandelt wirken, tiefenentspannt und glücklich. Iva und Malin staunen auch über den verdroschenen Blick des ­Kapitäns, über die raue Aura des Bordmusikers, über die Wandlungs­fähigkeit der Barfrau. Merkwür­dige Dinge passieren: Iva und Malin fühlen sich geflutet von der Wärme und Einsamkeit auf dem Schiff, fast so als ob sich ihr Innerstes mit Meerwasser füllt. Sie spüren keinen Kummer mehr, wie offenbar alle Menschen an Bord. Schritt für Schritt nähern sich Iva und Malin den Crewmitgliedern an, von denen ein ganz spezieller Zauber ausgeht. Befinden sie sich etwa auf einem Geisterschiff? Was ist nur los mit ihnen, mit der Mannschaft, mit ihrem alten Leben, das aus den Fugen und in ungewohnte Gewässer geraten zu sein scheint? Das fragen sich die Frauen permanent, und auch beim Lesen dieser einzigartigen Geschichte tauchen Fragen auf.

Iva und Malin rauchen unzählige Zigaretten, schlucken Pillen gegen Seekrankheit und verschmelzen immer mehr mit der verdammt gutaussehenden, sorgenfreien Crew. Buchholz hat einen bewusstseinserweiternden Roman geschrieben, eine fantastische Geschichte über die Unsterblichkeit, angesiedelt in einer Parallelwelt auf dem Schiff. Die Handlung spielt fast ausschließlich an Bord der Fähre, gelegentlich unterbrochen von poetischen Passagen und einer munteren Truppe von Göttinnen, die in den Plot eingreifen. Bei der Lektüre wird klar, warum die Autorin ihre herausragende Krimireihe nicht fortgesetzt hat: Mit ihrem neuen Werk geht sie offensichtlich über die Grenzen der Belletristik hinaus. Ein trocken und lakonisch erzählter Roman, der mit dem Tod und den Erinnerungen der Protagonist*innen spielt und von der Magie von Buddelschiffen inspiriert wurde. Günter Keil

Roman,Suhrkamp, 264 S., 18 €

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Nicola Davies/Rebecca Cobb: Der Tag, an dem der Krieg kam

Ja, es ist entwürdigend für Europa, wie es vor allem mit geflüchteten kleinen Kindern umgeht und ihnen die Tür vor der Nase zuschlägt. Als die Zoologin und ­Autorin Nicola Davies auf die Geschichte eines geflüchteten Mädchens stieß, das von der Schule abgewiesen wurde, weil es keinen Stuhl für sie gab, hat sie das zu diesem berührenden Text inspiriert. Mit den Illustrationen von Rebecca Cobb ist daraus ein Bilderbuch geworden, das dabei hilft, mit kleinen Kindern über den Krieg zu reden. Es erzählt in wenigen Worten die anrührende Geschichte des kleinen Flüchtlingsmädchens und zeigt in den Bildern ihre Flüchtlingsstationen und ihre Gefühle. Schlimmer als alle Bomben ist für das Kind die Ausgrenzung aus ihrem Sehnsuchtsort, der Schule. Am Ende ist es ein kleiner Junge, der seinem kindlichen Instinkt folgt und einen Weg findet, das Mädchen in die Gemeinschaft aufzunehmen. Dieses Buch zeigt einen Weg aus der Ohnmacht, die gerade

Kindern angesichts von Krieg und ­Zerstörung das Leben schwer macht. Es ist ein wunderbares und tröstendes Weihnachtsgeschenk für Kinder und Erwachsene, und pro verkauftem Exemplar geht ein Euro an Unicef für Kinder in Not. Jenny Mansch

Weissbooks, Ü: Bärbel Brands/Martin Brinkmann, 32 S., illustriert, 18 €

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Root Leeb: gespräche auf dem meeresgrund

Was wissen wir von den Menschen, die im Mittelmeer beim Versuch es zu überqueren ertrinken? Die aus großer Not und Verzweifelung ihr Dorf, ihr Land verlassen haben? Root Leeb, Schriftstellerin und bildende Künstlerin, hat ihnen drei Stimmen gegeben. Zwei Männer und eine Frau treffen sich am Meeresgrund, lernen sich kennen. Erzählen sich, was sie aufs Meer geführt hat. Sie finden gemeinsam heraus, was auf ihrem Kontinent alles schief läuft. Sprechen von

China, das ihnen das Mutterland raubt, vom Klimawandel, der ihre Lebensgrundlagen zerstört, sie ausdörrt. Und es geht auch um die Rollen von Männern und Frauen, die im Meer leichter zu über­winden scheinen. Sie erzählen sich auch, was sie über Wasser gewesen sind, ­Fischer, Rechtsanwalt und Soziologin. Ihr Gespräch schwingt mit dem Wasser, das zu jeder Tageszeit in anderen Blau- und Türkistönen schimmert. Die hat Root Leeb in stimmungsvollen Bildern zwischen den Kapiteln festgehalten, in diesem kleinen Buch über Leben und Tod von Menschen, die täglich einfach das Meer schluckt. Petra Welzel

Oktaven, 147 S, illustriert, 18 €