Alles ist ein bisschen abgerockt hier. Durch die großen Fenster kriecht die Kälte, wenn man nicht kräftig heizt. Neues Spielzeug, vielleicht sogar ein bisschen digitale Ausstattung fänden die 160 Kids hier bestimmt toll – und ein Pausenraum, der in seinem Sammelsurium nicht gleichzeitig an die 70er, 80er und 90er erinnert, wäre was Schönes für die Großen, die 32 Beschäftigten. Dann könnten die sich tatsächlich mal ein bisschen erholen in der Pause, von dem Dauerstress. Aber Geld gibt es nicht so viel hier, Zeit noch viel weniger.

Willkommen in einer Kita der Elbkinder, dem großen stadtnahen Kita-Träger in Hamburg. Hier in Hamburg Eimsbüttel mit seinen bürgerlichen Altbau-Eigentumswohnungen ist die Welt noch heil, auch wenn Ärzt*innen, Rechtsanwält*innen und Richter*innen aus der Nachbarschaft beim zweiten Kind an den Stadtrand ziehen, um dort im eigenen Haus vielleicht noch glücklicher zu werden. Ein paar Normalverdiener gibt es auch.

Hier betreut Anette Krapp mit ihren 40 Jahren Berufserfahrung deren ein- bis dreijährigen Krippenkinder für 2.500 Euro netto im Monat und einer Rente nach frühestens 45 Berufsjahren, die dann noch ein Tausender weniger ist. Nach Abzug der jetzigen Miete von 850 Euro bliebe ihr dann nicht mal mehr die Hälfte. Heil ist die Welt deswegen nur, weil es meistens immer eine Lösung gibt – für die Eltern und Kinder. Die Erzieher*innen machen das schon.

Anspruch und Wirklichkeit

"Die Eltern sind jetzt häufiger im Homeoffice und nehmen die Kinder manchmal früher mit nach Hause, wenn das Personal bei uns zu knapp ist", sagt Anette. "Das bringt ein bisschen Entlastung." Aber sonst fehle fast immer Zeit, weil zu häufig zu wenig Kolleg*innen da sind, um die Kinder zu betreuen. Die halbe Stunde, um für den Ausflug ein bisschen am Computer zu recherchieren oder die Dienstpläne zu schreiben, müssten sie sich regelrecht erkämpfen. "Deswegen schreiben einige die erforderlichen Berichte und Dokumentationen lieber zuhause. Da haben sie die Ruhe dafür."

Auch für Teambesprechungen bleibe zu wenig Zeit, sagt die erfahrene Erzieherin, genauso für Kolleginnengespräche. Alle seien insgesamt viel gereizter. Und: Es fehlt die Zeit für Pädagogik und damit für die in den Hamburger Bildungsempfehlungen fein niedergeschriebenen Bildungsziele. "Letztes Jahr habe ich mir mit einem Auszubildenden zehn Ausflüge für unsere Gruppe überlegt, einer ist es dann geworden. Der war aber richtig toll", sagt Anette. "Frustrierend ist, wenn du wegen der personellen Engpässe deinen eigenen pädagogischen Maßstäben nicht mehr gerecht werden kannst."

Doch richtig stressig wird es für Anette, wenn sie mit zwölf Krippenkindern allein ist, eines hinfällt und weint, zwei sich streiten und zwei volle Windeln haben. Dann sei der permanente Lärm noch schwieriger zu ertragen. Gestern habe eine sehr gute Kollegin stressbedingt geweint, die sei richtig fertig gewesen, erzählt Anette. Aber weil sie zu schlecht besetzt waren, haben sie die Kollegin dann erst heute früher nach Hause schicken können.

Anette ist keine, die sich beklagt. "Eigentlich ist der Job ganz toll, ich arbeite sehr gerne mit Kindern", sagt sie. Wenn bloß die Bedingungen nicht gefühlt immer schlechter, das Personal immer weniger geworden wäre. "Wenn du 20 Kinder gewickelt hast, hast du Rücken am Abend."

Gut, dass heute Freitag ist. Morgen kann sie sich ausruhen und regenerieren für die kommende Woche, Sonntag was Schönes machen. "In der Woche bin ich abends platt. Da geht gar nichts mehr, nur noch essen und ein bisschen Fernsehen."

Jörn Breiholz