Hamburger Erzieher/innen schlagen Alarm: Rund 1600 Beschäftigte in den "Elbkinder"-Kindertagesstätten haben auf einer Betriebsversammlung gegen die schlechte personelle Ausstattung in ihren Kitas, die im Landesrahmenvertrag festgeschrieben ist, protestiert. Zwar stellte sich Senator Detlef Scheele (SPD) den wütenden Beschäftigten, hatte aber kaum etwas anzubieten, was die Gemüter hätte besänftigen können. Schon nach 25 Minuten verabschiedete er sich wegen eines Anschlusstermins. Stellvertretend nahm dann Dirk Bange, Leiter der Abteilung Familie und Kindertagesbetreuung in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), die Wortbeiträge entgegen. Am Ende blieben viele Fragen der Beschäftigten offen.

Sozialsenator Scheele

Weicht Hamburg vom Betreuungsanspruch ab, den es sich selbst auf die Fahnen geschrieben hat? In welchem Verhältnis zueinander sollen Bildung und Betreuung stehen? Wer muss etwas dafür tun?

Im Kita-Bereich hat sich in den letzten Jahren etliches bewegt. Die frühkindliche Bildung hat in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung gewonnen. ver.di begrüßt die politische Entscheidung des Senats, wonach Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben. Aber: Eine Kinder- und Jugendpolitik, die nur auf Quantität setzt und dabei die Qualität außen vor lässt, ist kurzsichtig. Die Hamburger Kitas sind verpflichtet, nach den Hamburger Bildungsempfehlungen zu arbeiten. Kinder sollen bessere Bildungschancen haben. Bildung bedeutet, Kindern Anregungen zu geben. Sie brauchen Gelegenheit zum Forschen, Ausprobieren und Entdecken. Je jünger Kinder sind, um so mehr gilt: Bildungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Dazu bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen, etwa eines besseren Betreuungsschlüssels. Der Lösungsvorschlag für die Politik ist, wie auch die Studien von Bertelsmann und Susanne Viernickel, Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit, ergeben haben, die EU-Empfehlungen zum Erzieher-Kind-Schlüssel umzusetzen.

v.l.n.r.: A. Künstler, M. Jachenholz, D. Bange

Auch ver.di fordert: Für Kinder bis 1,5 Jahre: Eine Fachkraft betreut drei Kinder. Für Kinder zwischen 1,5 und drei Jahren: Eine Fachkraft betreut vier Kinder. Für Kinder zwischen drei Jahren und Schuleintritt: Eine Fachkraft betreut acht Kinder. Für Kinder ab Schuleintritt: Eine Fachkraft betreut zehn Kinder.

ver.di fordert zudem zusätzliche Verfügungszeiten, ein Drittel der Arbeitszeit, für Dokumentation, Reflexion, Austausch, Planung und Kommunikation mit Eltern, Schule und weiteren Institutionen, um die Ansprüche der Eltern nach Qualität erfüllen zu können. Mehr als 5 000 Postkarten von Eltern wurden ins Rathaus gebracht, weitere 11 .000 Karten sind direkt an Senator Scheele gegangen. Die Forderung der Eltern lautet: Ich will bessere Bedingungen für mein Kind! Ziel ist es, den Verhandlungen um den Hamburger Landesrahmenvertrag zur Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen zwischen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration und den Hamburger Kita-Trägern, entsprechenden Nachdruck zu verleihen.


Heike Husmann

Heike Husmann: "Ich arbeite seit sieben Jahren in einer Elbkinder-Kita in Eppendorf. In meinem Bereich befinden sich 52 Kinder, die von fünf Erzieher/innen betreut werden. Unter dem Personalmangel leiden die Kinder. Man kann das Kind unter solchen Bedingungen nicht mehr als komplexes Individuum begreifen und erleben. Eine optimale und ganzheitliche Förderung leidet darunter. Da stellt sich doch jede Bürgerin und jeder Bürger aus Hamburg die Frage: Sind uns Kinder doch nicht so wichtig? Ich denke, der Betreuungsschlüssel ist umsetzbar, wenn berücksichtigt wird, dass Kolleg/innen Urlaub haben, Fortbildungen wahrnehmen und Vorbereitungszeit für ihre ganzheitliche Arbeit brauchen. Ich wünsche mir auch, dass Eltern genauer hingucken, kritisch nachfragen, wenn sie sehen, dass eine Erzieherin, ein Erzieher ständig allein ist. Wenn unter Berücksichtigung dieser Aspekte ein neuer Schlüssel berechnet wird, sind wir auf einem guten Weg."


Kai Kayß

Kai Kayß: "Bei uns im Bereich, Altersmischung von zwei bis sechs Jahren, liegt der Betreuungsschlüssel bei Krippenkindern bei 6,5 auf eine/n Erzieher/in. Insgesamt haben wir ab November 64 Kinder im Bereich dazu sechs Erzieher/innen also einen Betreuungsschlüssel von etwa zehn Kindern auf eine Fachkraft, ohne Berücksichtigung des Alters. Es wäre schön, wenn die personelle Situation verbessert würde, sodass Pädagogik gut stattfinden kann. "


Marina Jachenholz

Marina Jachenholz: "Der Erste Bürgermeister Hamburgs möchte die Hansestadt zur kinderfreundlichsten Stadt machen, was auf den ersten Blick auch gelingen kann. Rechtsansprüche auf einen Fünf-Stunden-Kitaplatz für alle Kinder und die Elternbeitragsfreiheit sind sicherlich richtige Schritte. Das ist aber nur die Oberfläche! In den Kitas ist ,Land unter ́, der Arbeitsdruck hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Übervolle Bereiche bzw. Gruppen, damit die sogenannten pädagogischen Flächen auch ja ausgelastet sind, keine Zeiten für Vor- und Nachbereitung, Fortbildungen, Urlaubs- und Krankenvertretungen, eine Doppelbesetzung in Randzeiten, selbst wenn nur ein Kind anwesend ist, zwölfstündige Öffnungszeiten, keine Ferienschließungszeiten, sind schlechte Rahmenbedingungen. Die Anzahl der Teilzeitarbeitsplätze liegt bei ca. 50 Prozent - mehr Hände und flexibler Einsatz sind hierfür die Hauptgründe. Dazu kommt ein hoher pädagogischer Anspruch, z.B. die Bildungsempfehlungen. Studien belegen, dass die Bedingungen in Hamburg für Kinder und die Mitarbeitenden richtig schlecht sind. In Hamburg wurde das Kitanetzwerk-Hamburg gegründet, ein Verbund von Gewerkschaften, Kita-Beschäftigten und Trägern, um für eine Qualitätsverbesserung zu kämpfen.

Am 30.10.14 werden wir mit einer Demonstration unseren Forderungen Nachdruck verleihen - wir versprechen einen heißen Herbst."


Weitere Informationen:

www.kitanetzwerk-hamburg.de