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Foto: Photoshot/picture alliance

Fatoumata Diawara: London Ko

Demnächst will die Bundeswehr ihre UN-Kräfte aus Mali abziehen – und wenn man den Videoclip zu "Nsera" sieht, könnte man das Gefühl bekommen, dass das tatsächlich eine gute Idee ist. Denn in dem Film zum Song von Fatoumata Diawara ist die Heimat des Popstars ein buntes, friedliches Land, in dem Kindersoldaten Helm und Maschinengewehr in den Fluss werfen. Doch das ist vorerst noch eine Utopie, sagt Diawara: "Afrika kann sehr farbenfroh sein, aber die Realität ist oft dunkel."

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Sie muss es wissen. Geboren 1982 in der Elfenbeinküste als Tochter von Geflüchteten aus Mali, musste sie als 19-Jährige vor ihrer Familie fliehen, die sie zwangsverheiraten wollte. Seitdem hat sie als Schauspielerin und Musikerin eine erstaunliche Karriere gemacht, spielte Hauptrollen in Musicals, sang mit Paul McCartney, Dee Dee Bridgewater und Gorillaz-Chef Damon Albarn – und füllt Hallen in Europa. 2013 versammelte sie 40 Kolleg*innen als "United Voices of Mali", um für Frieden in ihrer Heimat zu werben. "Bis heute ist das Lied jeden Tag zu hören, es ist fast so etwas wie eine Nationalhymne geworden", sagt Diawara stolz im Telefoninterview aus Mailand, wo sie lebt, wenn sie nicht gerade in Bamako ist. "Seitdem weiß ich, dass man mit Musik etwas erreichen kann."

Diawara verhandelt in den Texten ihres dritten Albums "London Ko" auch für afrikanische Frauen drängende Fragen wie Abtreibung oder Klitoris- Beschneidung. Dabei klingen ihre Songs mit den ansteckenden Melodien und den tanzbaren Rhythmen nicht so, wie man sich Protest-Songs gemeinhin vorstellt. Diawara schlägt in ihrem Sound ganz bewusst eine Brücke zwischen den Traditionen und der Moderne. Sie verbindet Wassoulou, die Musik aus der Grenzregion zwischen Elfenbeinküste, Mali und Guinea, mit elektronischen Einflüssen, und zeigt ihren globalen Anspruch mit Gästen aus Nigeria (die Sängerin Yemi Alade), Kuba (der Pianist Roberto Fonseca) oder Frankreich (-M- alias Mathieu Chedid).

Auch Damon Albarn ist wieder dabei, er singt mit Diawara im Duett und hat Teile des Albums produziert. "Er ist mehr als ein Freund, er ist ein Bruder", sagt sie über den Briten. "Er hat zu mir gesagt: Du bist die Brücke, die Mali mit dem Rest der Welt verbindet." Dieser Rest der Welt kann auf "London Ko" nun hören, wie ein modernes Mali, ein selbstbewusstes Afrika klingt, das hoffentlich bald keine UN-Truppe mehr braucht.

Thomas Winkler

CD, 3ème bureau/Wagram Stories

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Engin: Nacht

In der schönen Stadt Mannheim leben Einwohner aus 167 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, und es gibt eine Pop-Akademie. Genau der richtige Ort also, um die erste deutsche Indie-Pop-Band mit Migrationshintergrund zu gründen. Engin heißt das Trio um Sänger und Songschreiber Engin Devekiran, der es schon mit einem seiner ersten Songs ins deutsche Kultur-TV-Magazin schaffte: In "Halb" beschreibt er das sprachlose Verhältnis zu seinem türkischen Vater und das Aufwachsen zwischen zwei Welten: "Woher weißt du, was du bist, wenn du nicht kennst, was du vermisst?" Nun erscheint das Debütalbum, bei dem dieses Leben zwischen den Kulturen und die daraus entstehenden inneren Konflikte in deutsch-türkischen Texten niemals offensichtlich und platt verhandelt werden, sondern ganz selbstverständlich als Hintergrundfolie, durch die butterweiche, mit eingängigen Melodien ausgestattete Lieder schimmern. Das Ergebnis ist intelligenter Gitarrenpop, der mehr erzählt über die Realitäten in diesem Land als mancher Leitartikel, aber vor allem dabei nicht mit dem integrationspolitischen Zeigefinger wedeln muss.

Thomas Winkler

CD, Engin/Believe

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Matthieu Saglio: Voices

Stimmen sind etwas Einzigartiges – wegen ihrer Timbres und ihrer jeweiligen Stimmlage. Nicht zuletzt können sie sprachliche Inhalte transportieren. Der Franzose Matthieu Saglio, der als Cellist ein Instrument spielt, dessen Klang der menschlichen Stimme besonders nahe kommt, hat Sängerinnen und Sänger um sich geschart, um ein faszinierendes Musikerlebnis zu erschaffen. Neben den instrumentalen Stimmen von Cello, Violine, Piano und vielfältiger Percussion stellt Saglio in einem weltumspannenden Repertoire aus süd- und westafrikanischen, lateinamerikanischen, mediterranen und zentralasiatischen Klängen sieben ausgezeichnete Stimmen vor. Mit dabei: die afro-peruanische Sängerin Susana Baca, die katalanische Flamenco-Sängerin Anna Colom, der aserbaidschanische Stimmakrobat Alim Qasimov und Matthieu Saglios Bruder Camille. Das Besondere an Voices: Jedes der zwölf Stücke hat seinen ganz eigenen Charakter, Rhythmus und Sound und sorgen so für ein beeindruckend abwechslungsreiches Hörerlebnis, wie es einem nicht alle Tage vergönnt ist. Peter Rixen

CD, ACT