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Im österreichischen Parlament protestieren SPÖ-Abgeordnete gegen die Einstellung der Wiener ZeitungFoto: Schlager/APA/picture alliance/dpa

In einem Video-Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard schlägt Thomas Seifert, inzwischen Ex-Chefredakteur der Wiener Zeitung, eine Bresche für hochwertigen und hintergründigen Journalismus, für Qualitätsmedien, die abseits des Mainstreams den Dingen und Ereignissen im Lokalen wie in der Welt auf den Grund gehen und sie erklären. Seifert hält dabei die letzte gedruckte Ausgabe seiner Zeitung, der bislang ältesten Tageszeitung der Welt, in den Händen. Am 8. August 1703 ging die Wiener Zeitung zum ersten Mal in Druck. Am 30. Juni 2023, fast auf den Tag genau 320 Jahre später, ist sie ein letztes Mal auf Papier erschienen. Seit dem 1. Juli 2023 gibt es die Wiener Zeitung nur noch online.

Gedruckt wird sie nicht mehr, weil die Pflichtinserate weggefallen sind. Bei der Wiener Zeitung handelt es sich nämlich im eigentlichen Sinne um ein Amtsblatt, rund 150 Jahre nach ihrer Gründung war sie 1857 vom Staat übernommen worden. Und bisher schlugen sogenannte Pflichtinserate in Form von Unternehmensnachrichten zuletzt jährlich mit 18 Millionen Euro auf der Einnahmenseite des Verlags zu Buche. Gemäß einer EU-Richtlinie dürfen solche Inserate nun jedoch digital erscheinen, was den Unternehmen viel Geld spart. Und ohne diese Haupteinnahmequelle hielt die amtierende Regierung in Österreich die Wiener Zeitung als Printprodukt nicht mehr für wirtschaftlich.

Dabei bestand im Dezember 2022, als das Ende der täglichen Wiener Zeitung schon mehr oder weniger beschlossen gewesen ist, noch Hoffnung. Immer mehr Unterstützer*innen taten sich zusammen, darunter Gewerkschaften, Journalistenverbände, Universitäten, Wissenschaftler*innen, Schauspieler*innen, Politiker*in- nen, und forderten unter #unverzichtbarseit1703 den Erhalt der Tageszeitung. Bereits im November hatten zudem alle Oberhäupter der österreichischen Religionsgemeinschaften, von der Katholischen Kirche über islamische Verbände bis hin zu den Buddhisten, an die Regierung appelliert, die Entscheidung über das Ende des Blattes als Tageszeitung rückgängig zu machen.

Redaktion mehr als halbiert

Genutzt hat es nichts. "116.840 Tage, 3.839 Monate, 320 Jahre, 12 Präsidenten, 10 Kaiser, 2 Republiken, 1 Zeitung", hieß es auf der letzten Titelseite der staatlichen, aber redaktionell unabhängigen Publikation am 30. Juni 2023. Wurden zuletzt nur noch täglich 8.000 Exemplare gedruckt, erschien die letzte Ausgabe in einer Auflage von 50.000 Exemplaren, die wie warme Semmeln über die Tresen der Trafiks (ein Trafik ist in Österreich ein Zeitungskiosk) weggingen. Am Ende des Tages war die Wiener Zeitung ausverkauft.

Doch dieser Erfolg kam zu spät. Neben der nunmehr ausschließlichen Online-Präsenz der Wiener Zeitung ist dennoch eine monatliche Print-Ausgabe geplant. Wie die genau aussehen wird, mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten und in welchem Umfang, ist noch unklar. Fakt ist hingegen, dass mit der Umstellung auf online only Verträge von insgesamt 63 Beschäftigten gekündigt wurden. Allein die Redaktion wurde um 35 Stellen auf 20 Personen geschrumpft, also mehr als halbiert. Thomas Seifert, der zusammen mit Judith Belfkih die Redaktion zuletzt übergangsweise geleitet hatte, wirft der Regierung vor, es versäumt zu haben, einen Käufer für die Zeitung zu finden.

Er und seine Kollegin haben die Redaktion inzwischen verlassen. Drei Belegschaftsvertreter hingegen wurden freigestellt. Die zuständige Gewerkschaft GPA zeigte sich über die massiven Entlassungen empört und kündigte laut dem Standard an, speziell gegen die Kündigung der Belegschaftsvertreter, die "jetzt massiv unter Druck gesetzt werden", mit rechtlichen Mitteln vorzugehen. Darüber hinaus droht auch dem Online-Auftritt, kaum am Start, schon Ungemach. Von "unzulässiger Beihilfenfinanzierung" ist die Rede, weil der staatliche Auftrag zu allgemein formuliert sei. Vorerst aber produzieren die verbliebenen Redakteur*innen Content, auch für die neuen Social-Media-Kanäle.

Eine Zeitungs-Ära ende mit der Einstellung der Druckausgabe der Wiener Zeitung, sagt Christoph Schmitz, der im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Bereich Medien ist. Die Einstellung der gedruckten Wiener Zeitung sei ein Verlust für die österreichische Zeitungslandschaft und -vielfalt. Vor allem aber eben auch ein Arbeitsende für mehr als die Hälfte der Redakteurinnen und Redakteure. "Das ist kein gutes Omen für die neugestaltete Online-Ausgabe der Wiener Zeitung, die sich nun mit einem wesentlich kleineren Team und damit auch weniger Journalismus im deutschsprachigen Onlinejournalismus wird behaupten müssen. Nach 320 Jahren Wiener Zeitung sind das schwierige Startbedingungen in eine neue rein digitale Zukunft", so Schmitz.

Mit der Einstellung der Wiener Zeitung sinkt die Zahl der Tageszeitungen in Österreich auf 13. Älteste Tageszeitung dort ist nun Die Presse, die erstmals 1848 erschien. Die älteste noch erscheinende Tageszeitung weltweit ist seit dem 1 Juli allerdings die Hildesheimer Allgemeine Zeitung. Ihre erste Ausgabe wurde am 24. Juni 1705 gedruckt, mehr als ein Jahr später als die nun beerdigte Wiener Zeitung.