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Andreas Michelbrink, Geschäftsführer der ver.di GPB (Gewerkschaftspolitische Bildung)privat

Politische Bildung ist die Einladung an Menschen, sich demokratisch zu beteiligen. Politische Bildung eröffnet die Möglichkeit, wissenschaftliche und gesellschaftliche Erkenntnisse so zu übersetzen, dass alle Menschen sich kritisch mit Themen unserer Gesellschaft auseinandersetzen und begehbare Wege für die Fragen, wie wir zukünftig leben und arbeiten wollen, diskutieren können. Politische Bildung stärkt und schützt Demokratie.

Die Bundesregierung will nun die Förderungen für Angebote zur politischen Bildung der vielfältigen Bildungsträger um 20 Millionen Euro kürzen. Obwohl im Koalitionsvertrag ein Ausbau der Projektmittel versprochen wurde, weil dort festgestellt wurde, dass die pluralistische, freiheitliche Demokratie unter Druck steht. An diesem Druck hat sich nichts verändert. Im Gegenteil – durch Kriege, Migration, demografischen Wandel und insbesondere durch die sozial-ökologische Transformation sind die Herausforderungen gewachsen. Wenn auch die Bundesregierung feststellt, dass sich Konflikte zuspitzen, dass die Spaltung in der Gesellschaft zunimmt und dass wir eine Verrohung der politischen Kultur erleben, dann sollte politische Bildung gestärkt werden.

In Zeiten von wachsendem Rechtsextremismus und Klimawandel braucht es nicht weniger, sondern mehr Förderung, um Menschen für die gemeinsame Gestaltung von Zukunft zu gewinnen. Es braucht gut informierte Bürger*innen und Gewerkschafter*innen, um für eine gerechte und vielfältige Gesellschaft und für gute Arbeit und gutes Leben zu streiten. Wer bei Bildung spart, setzt falsche Prioritäten und schließt Menschen von politischen Beteiligungsprozessen aus. Dies befördert eine weitere Spaltung des Landes. Politische Bildung ist nicht neutral. Sie bezieht Position für die Grundwerte unserer Gesellschaft, für Gerechtigkeit und für Solidarität. Politische Bildung ist keine Option, sondern eine Verpflichtung, die sich aus unserer Geschichte ableitet und sich auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und unser Grundgesetz bezieht. Es geht dabei um die Befähigung, sich in einer demokratischen Gesellschaft an menschenrechtlichen Werten zu orientieren, sich mit den gesellschaftlichen Realitäten sowie Macht- und Herrschaftsverhältnissen auseinanderzusetzen, das eigene Handeln und die Rolle in der Gesellschaft und Gewerkschaft zu reflektieren und Kritikfähigkeit sowie politische Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Es geht auch darum, sich gegen Feinde der Demokratie zu Wehr zu setzen. Wer Demokratie als reine Legitimation von Herrschaft sieht, in der durch Wahlen Mehrheits- bzw. Machverhältnisse geschaffen werden, der kann auf politische Bildung verzichten. Wer jedoch in Demokratie eine Einladung zur Gestaltung der Gesellschaft sieht, der muss die politische Bildung stärken und ausbauen.

Politische Bildung sollte eine Normalität in einer demokratischen Gesellschaft sein.

Politische Bildung ist ein Dauerauftrag. Es ist nicht hilfreich, permanent neue Programme aufzulegen und aus unterschiedlichen Ministerien Projektmittel aufzubauen, die zu prekären und befristeten Arbeitsbedingungen in diesem Bereich führen. Politische Bildung braucht eine Regelförderung.

Politische Bildung ist kein Reparaturbetrieb. Politische Bildung braucht eine verlässliche Förderung und sollte nicht als Feuerwehr gegen Extremismus missverstanden werden. Es geht nicht um einen defizitären Blick auf den Menschen, sondern darum Menschen zu befähigen, sich demokratisch einzumischen und zu handeln. Es geht darum eine klare Haltung zu entwickeln, die eigenen Interessen zu erkennen und einzubringen, sie solidarisch zu bündeln und einzuüben, wie wir Gesellschaft gestalten wollen.

Politische Bildung sollte eine Normalität in einer demokratischen Gesellschaft sein und über ein Demokratiefördergesetz eine ausreichend finanzierte Regelförderung erhalten, die nicht nur auf Jugendliche und junge Menschen zielt, sondern alle Bürger*innen in den Blick nimmt und sie einlädt, sich am demokratischen Diskurs konstruktiv zu beteiligen und ihre Interessen und Sichtweisen einzubringen. Denn wie es schon Oskar Negt schrieb, ist Demokratie die einzige Staatsform, die gelernt werden muss.