Ausgabe 06/2023
Hausgemachter Arbeitskräftemangel
Unsere Gesellschaft wird älter. Jeder Fünfte ist heute über 65 Jahre alt. In den nächsten zehn Jahren gehen sieben Millionen Babyboomer in Rente. Gleichzeitig folgen weniger junge Berufstätige nach.
Schon heute jammern die Arbeitgeberverbände über fehlende Arbeitskräfte. BDI, BDA & Co wollen längere Arbeitszeiten, eine spätere Rente und mehr Einwanderung, um die Arbeitskräftelücke zu schließen. Wir müssen angeblich alle die Ärmel hochkrempeln und den Gürtel enger schnallen, wenn künftig weniger Beschäftigte unseren Wohlstand sichern sollen.
Doch Vorsicht! Die Alterung unserer Gesellschaft ist nicht neu. Schon Konrad Adenauer klagte darüber, dass die Deutschen bald aussterben werden. Trotz einer stark alternden Nachkriegsgesellschaft, geringeren Arbeitszeiten und steigenden Versorgungslasten wuchs aber unser Wohlstand. Wir arbeiten heute ein Drittel weniger als vor 60 Jahren, unser Einkommen stieg aber um das 2,5-Fache. Wie war das möglich? Das Geheimnis heißt Produktivitätsfortschritt. Die arbeitende Bevölkerung wurde leistungsfähiger. So konnten weniger Beschäftigte immer mehr nicht arbeitende Menschen versorgen. Das klappt auch heute.
Wenn Unternehmen und Politik für mehr gute Arbeit sorgen und kräftig in Bildung, Ausbildung und Qualifizierung investieren, dann wächst der Wohlstand auch in einer alternden Gesellschaft.
Zudem gibt es Millionen Menschen, die arbeiten wollen, aber nicht können. Sie sind unterbeschäftigt, erwerbslos oder haben die Arbeitssuche aufgegeben. Dafür verantwortlich sind Unternehmen, die nicht ausbilden, nicht qualifizieren, nur Mini- und Teilzeitjobs anbieten und keine gesunden oder altersgerechten Jobs haben. Sie schufen den Arbeitskräftemangel, den sie heute beklagen. Hinzukommt Politikversagen: Fehlende Kita- und Ganztagsschulplätze, Ehegattensplitting, schlechte Arbeitsmarktpolitik und ein einschränkendes Asyl- und Aufenthaltsrecht hindern viele Frauen, Langzeitarbeitslose und ausländische Arbeitskräfte daran, ihre Arbeitswünsche zu verwirklichen.
Das geht auch anders: Wenn Unternehmen und Politik für mehr gute Arbeit sorgen und kräftig in Bildung, Ausbildung und Qualifizierung investieren, dann wächst der Wohlstand auch in einer alternden Gesellschaft.