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Erzieher*innen in Bielefeld hielten am 2. November 2023 ihre Mahnwache im Rathaus der Stadt ab, passend zur RatssitzungFoto: Veit Mette

Dass eine Decke nicht länger wird, wenn man kräftig daran zieht, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Kindertagesstätten in Deutschland zeigen: Vorhandene Einrichtungen werden zwar ausgebaut, zusätzliche neu errichtet, um dringend benötigte weitere Betreuungsplätze für Kinder zu schaffen, doch an allen Enden fehlt es an Erzieher*innen. Der Fachkräftemangel wird immer spürbarer. Und deshalb finden sich Beschäftigte aus den Kitas und ihre Unterstützer*innen seit dem 19. Oktober überall im Land an jedem Donnerstag vor Ministerien, Staatskanzleien und Senatsverwaltungen zu Mahnwachen ein.

"Bei uns kommen viele Probleme zusammen: zu wenig Fachkräfte, fehlende Betreuungsplätze für Kinder, Kolleg*innen, die wegen der ständigen Überlastung kündigen oder ins Umland abwandern", sagt Stefanie Lehmann, Sozialpädagogin, Mitglied im ver.di-Bundesfachgruppenvorstand Erziehung, Bildung und soziale Arbeit sowie seit Jahren im Vorstand des Personalrates des Bremer Kita-Eigenbetriebs tätig. 78 Kindertagesstätten betreibt der kommunale Träger – von Einrichtungen für die Kleinsten mit 20 zu betreuenden Kindern bis hin zu Horten, in die aktuell 1.144 Schüler*innen nach dem Unterricht kommen.

Durchschnittlich werden in jeder der Einrichtungen in der Hansestadt 100 bis 120 Kinder von insgesamt etwa 1.600 pädagogischen Kräften betreut. "Leider ist im Laufe der Jahre nicht allein der Betreuungsschlüssel immer schlechter geworden, sondern auch die Qualifikationsanforderungen haben sich geändert", sagt die Personalrätin, die in der Vergangenheit in einer Integrationsgruppe gearbeitet hat.

Auch Quereinsteiger überlastet

Auch in diesem schwierigen Bereich mit höherem Betreuungsbedarf haben sich die Personalschlüssel deutlich verschlechtert: Waren früher zwei Fachkräfte plus ein*e Praktikant*in für 15 Kinder und Jugendliche mit Integrationsbedarf verantwortlich, ist heute oft nur eine qualifizierte Person für eine Gruppe von zwanzig zuständig. In den Kitas werden den ausgebildeten Erzieher*innen inzwischen oft sozialpädagogische Assistenzkräfte zur Seite gestellt, mittlerweile arbeiten auch Heilpädagog*innen oder Therapeut*innen dort als Quereinsteiger.

Überlastet sind alle. "Die Zahl der Gefährdungsanzeigen wegen der schlechten Betreuungssituation steigt", sagt Stefanie Lehmann. "Damit wollen die Kolleg*innen signalisieren, dass grundlegende Veränderungen dringend nötig sind."

Doch in der Bremer Bürgerschaft und in der Landesregierung sei das noch nicht vollständig angekommen. Es würden zwar immer mehr neue Kitas gebaut, doch nicht gleichermaßen Personal dafür ausgebildet. Stattdessen sollen weitere "Quereinsteiger" gewonnen werden, etwa Menschen, die gerne mit Kindern arbeiten. "Wenn ich so etwas höre, stellen sich meine Nackenhaare auf", sagt die erfahrene Pädagogin. Derzeit würden in den kommunalen Kitas in Bremen knapp 200 Auszubildende den Erzieher*innenberuf erlernen. Für den stetig wachsenden Bedarf reiche das keinesfalls.

Deshalb stehen Stefanie Lehmann und etliche ihrer Kolleg*innen auch von freien Trägern jeden Donnerstagnachmittag vor dem Bremer Rathaus. "Wir halten unsere Mahnwache am Eingang des Rathauses ab, wo die Politiker*innen ein- und ausgehen, wir aber auch mit Bürger*innen ins Gespräch kommen."

Sie setzen auf die Signalwirkung, die von der Aktion ausgeht. Letzten Endes müssten die Bundesländer Druck auf den Bund ausüben, damit mehr Geld in die bessere Personalausstattung der Kitas fließt. Dazu wäre es auch sinnvoll, ein bundeseinheitliches Kita-Gesetz zu beschließen, meint sie.

Schlechtester Personalschlüssel in Sachsen

Wie in dieser Kita in Bremen sieht es landauf, landab aus. "Schlechte Personalschlüssel und Fachkräftemangel wirken sich immer stärker aus", erklärt Elke Alsago. Sie ist die Leiterin der ver.di-Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit. Mit der Schaffung neuer Kitaplätze würden Beschäftigte aus anderen Einrichtungen abgezogen. "Damit wird die Personaldecke in allen Kitas immer dünner, und der Personalmangel wächst stetig."

Mit dramatischen Folgen: Erziehung, Bildung und Betreuung können nicht mehr verlässlich gewährleistet werden. Immer mehr Erzieher*innen erkranken an Burnout, oft wegen des überbordenden Stresses, und etliche hängen schließlich ihre Arbeit ganz an den Nagel. "Das ganze System muss dringend nachhaltig stabilisiert werden", sagt Elke Alsago.

Das findet auch Till Walter, der in Leipzig als Horterzieher in einer städtischen Einrichtung arbeitet und in der ver.di-Landesfachgruppe Sozial- und Erziehungsdienste aktiv ist. Immer noch halte sich hartnäckig das Gerücht, dass es in den ostdeutschen Bundesländern kaum Probleme im Kitabereich gebe, stellt er fest. "Das ist aber wirklich nur ein Gerücht. Wir haben zwar sehr viele Einrichtungen in Sachsen, aber den schlechtesten Personalschlüssel überhaupt!"

Den Hort, in dem er arbeitet, besuchen rund 250 Kinder, die von elf Fachkräften betreut werden. Ansonsten gibt es noch eine Leitungskraft. Zumindest seien in Sachsen tatsächlich ausschließlich qualifizierte Erzieher*innen und keine Quereinsteiger in den Einrichtungen tätig. Für bessere Personalschlüssel setzen sich auch Till Walter und viele seiner Kolleg*innen in Leipzig nun jeden Donnerstag bei den Mahnwachen ein. 80 Leute waren sie gleich beim ersten Mal am 19. Oktober vor dem Rathaus, darunter auch Erzieher*innen, die bei der Diakonie arbeiten, sowie einige Eltern. "Wir wollen gemeinsam Gesicht zeigen für mehr Personal in den Kitas", sagt der Erzieher.

Das fordert ver.di

Im Aufruf zu den bundesweiten Mahnwachen für gute Kitas hat ver.di eine Reihe von Forderungen veröffentlicht:

Der Abbau von Qualitätsstandards muss gestoppt werden, denn immer größere Gruppen, betreut von immer mehr unqualifiziertem Personal, stellen ein Risiko für das Wohl der Kinder und ihre Bildungschancen dar. Auch durch den ungünstigen Personalmix wachse die Belastung der Fachkräfte.

Der Bund und die Bundesländer sollen gemeinsam einen Kita-Gipfel veranstalten und die Probleme ernsthaft angehen. Dazu gehört, das Kita-System zu stabilisieren und anschließend nach und nach auszubauen.

Die Bundesregierung muss sich endlich an der Finanzierung und fachlichen Weiterentwicklung der Kitas beteiligen. Schließlich profitiert gerade der Bund am meisten davon, dass die Eltern Steuern auf ihre Arbeitseinkommen zahlen. Im Gegenzug benötigen sie dann aber auch verlässliche Betreuungsangebote für ihre Kinder.

Ein Stufenplan zum Aufbau des nötigen Fachpersonals muss entwickelt und umgesetzt werden. Nur so funktioniert auch der Ausbau der Kitas. Beides muss miteinander synchronisiert werden. Dazu sollen Bund und Länder gemeinsam planen, wie der quantitative und qualitative Bedarf gedeckt werden kann. Dabei sind die Ansprüche der Eltern zu berücksichtigen, denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nur mit einem guten Kita-System gewährleistet werden. gg