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Sherko Fatah: Der große Wunsch

Wie konnte das nur passieren? Warum hat seine Tochter einen Glaubenskrieger geheiratet und ist ins Gebiet des Islamischen Staats gezogen? Dabei lebte sie doch in stabilen Verhältnissen in Deutschland. Murad, der Vater von Naima, macht sich Vorwürfe und nimmt sich vor, seine Tochter zu finden, koste es was es wolle. Es ist sein Herkunftsland, in das er reist, wo er von Schleusern Informationen bekommen soll. In einer sehr weichen Sprache porträtiert Sherko Fatah den Vater, der im Kurdengebiet an der türkisch-syrischen Grenze wartet und wandert. Wie in einem Kinofilm wird die karge Landschaft sichtbar, und da Fatah sehr atmosphärisch schreibt, fühlt es sich beim Lesen an, als warte und wandere man mit ihm. Den deutschen Schriftsteller interessiert vor allem die menschliche Perspektive; er bleibt ganz nah bei Murat, der sich während der wochenlangen Wartezeit auch seiner eigenen Vergangenheit und Identität stellt. Eine ebenso erschütternde wie einfühlsame Vater-Tochter-Geschichte vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten, über die Sherko Fatah Fragen nach Schuld und Verantwortung als Vater und nach der Verführbarkeit des Menschen stellt. Sei es durch Ideologien oder Religionen. Günter Keil

Luchterhand, 384 S., 25 €

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Banana Yoshimoto: Ein seltsamer Ort

Eine mysteriöse Schlafkrankheit, eine dunkle Stadtlegende und der Zugang zu einer anderen Welt. Das sind drei tragende Elemente dieses melancholischen Romans, in dem zwei Schwestern im Mittelpunkt stehen. Mimi und Kodachi sind Zwillinge, moderne junge Frauen, die in Tokio zusammenleben, nun aber zurück in ihre Heimat kommen. Denn dort, in der von Bergen und Meer umgebenen kleinen Stadt, ist ihre Mutter einer mysteriösen Schlafkrankheit verfallen. Nachdem Kodachi von einem Besuch bei der Mutter im Krankenhaus nicht zurückkommt, macht sich Mimi auf die Suche nach ihr. Sie holt sich hellseherische Unterstützung in einem sogenannten Regenbogenhaus, gerät in einen Strudel aus Erinnerungen, trifft auf Mischwesen und begegnet einem Totengräber, mit dem sie sich sofort innigst verbunden fühlt. Es passiert also einiges in diesem spirituellen Märchen, das Banana Yoshimoto in ruhiger, klarer Sprache erzählt. Die japanische Schriftstellerin gleitet in die Seelen ihrer Figuren, in die tiefsten Winkel ihres Herzens, und sie zeigt, wie rätselhafte Grenzerfahrungen dabei helfen können, mit Trauer und Schmerz umzugehen. Ein Roman wie ein Retreat.

Günter Keil

Diogenes, Ü: Annelie Ortmanns, 320 S., 25 €