einwanderung_arbeit_01.jpg
Nadiia Kopiika aus der Ukraine und Malakeh Jazmati aus SyrienFotos: Krauthoefer/imago (li.); Alessandra Schellnegger/SZ Photo

"Zu sehen, was alles politisch möglich ist, sagt Claire Ruminy, hat sie gefreut und geärgert zugleich. Die Sozialarbeiterin arbeitet schon lange im Fluchtbereich, meist mit Asylbewerbern. Mit Ausbruch des Ukrainekrieges letztes Jahr war sie mehrere Monate für ukrainische Geflüchtete tätig – erst am Infopoint am Münchener Hauptbahnhof und danach in den eingerichteten Ankunftszentren in den Messehallen. "Es ist deutlich geworden, wie sehr viel anders wir mit Menschen umgehen können, die aus welchen Gründen auch immer ihr Zuhause verlassen müssen", sagt Claire Ruminy. "Das wünsche ich mir auch für andere Geflüchtete."

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 14. Februar 2022 haben Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge schnell und unbürokratisch Zuflucht in Ländern der EU gefunden. Möglich gemacht hatte das der Rat der EU am 4. März 2022 mit der Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie. Eine historische Entscheidung – das gab es vorher noch nie. Ukrainische Geflüchtete mussten und müssen dadurch in Deutschland und allen anderen EU-Ländern kein normales Asylverfahren durchlaufen, wie es für Nicht-EU-Bürger im Asylrecht vorgesehen ist. Sie erhalten in allen EU-Ländern ohne individuelles Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis. Ende September 2023 beschloss der Europäische Rat, den Status, der zunächst gültig für ein Jahr war, auf die maximal mögliche Dauer von drei Jahren bis 4. März 2025 zu verlängern.

Mit der unkomplizierten Aufenthaltserlaubnis gibt es für ukrainische Geflüchtete, was es für andere Nicht-EU-Flüchtlinge wie aus Syrien oder Irak nicht gibt: Zugang zu Arbeit und Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten, Anerkennung von Abschlüssen. Ukrainer*innen müssen in kein Asylbewerberheim, sie können Wohnungen mieten wie EU-Bürger. Und sie haben – durch den Beschluss der Bund-Länder-Konferenz vom 7. April 2022 – Anspruch auf Sozialleistungen, eine Krankenversicherung, BAföG und Kindergeld und erhalten Angebote zur Integration in den Arbeitsmarkt wie Beratungen und Deutschkurse. In Deutschland erhalten sie seit dem 1. Juni 2022 eine Grundsicherung und damit die gleichen Leistungen wie Bürgergeld-Empfänger*innen.

Es steht im Grundrecht

Durch die Medien ging – neben viel Lob an dem Umgang mit den ukrainischen Geflüchteten – auch viel Kritik an der Ungleichbehandlung. "Flüchtlinge erster und zweiter Klasse" war oft zu hören und zu lesen. Immer wieder forderten Flüchtlingsorganisationen, NGOs und Politiker*innen eine Gleichbehandlung flüchtender Menschen in Europa. Auch Claire Ruminy, die Sozialarbeiterin, will das: "Wir konnten erleben, dass es möglich ist, dass Deutschland damit nicht vor die Hunde geht, wenn wir die Menschen würdig behandeln, die zu uns kommen, weil sie ihr Zuhause verlassen mussten." Damit ist das ver.di-Mitglied ganz bei ihrer Gewerkschaft.

Auch ver.di möchte die Ungleichbehandlung beenden. "ver.di fordert eine gleiche Behandlung aller flüchtender Personen um eine weitere Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung (Grundgesetz Art. 3 Abs. 3) zu unterbinden", heißt es im Antrag der Landesbezirkskonferenz Berlin-Brandenburg, den die Delegierten des ver.di-Bundeskongresses im September mit großer Mehrheit annahmen. "Vorbild hierfür soll der Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine in der Kriegssituation im Frühjahr 2022 sein, welcher trotz Nicht-EU-Zugehörigkeit der Ukrainer*innen das vereinfachte Verfahren ermöglicht."

Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes sagt, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Die unterschiedlichen Verfahren zum Erhalt einer Asylbescheinigung seien dahingehend eine Diskriminierung und müssten schnellstens geändert werden, da jedem Asylsuchenden Sicherheit und Schutz gewährleistet werden sollte, so steht es in der Begründung des Antrags der Landesbezirkskonferenz.

Es geht um Gleichbehandlung

"Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!" – mit diesem Antrag brachte auch die Bundesmigrationskonferenz einen Beitrag zur Beendigung von Ungleichbehandlung in den ver.di-Bundeskongress ein. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) müsse abgeschafft werden, heißt es im Antrag. "Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem einbezogen werden." Mit der Annahme auch dieses Antrags bestärkt ver.di, sich auf allen politischen Ebenen "für das gleiche Recht auf Transferleistungen für alle in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen, ohne diskriminierende Unterschiede" einzusetzen.

Die Forderung ist nicht neu. Schon seit 2015 fordert ver.di das. Neu aber sind die Erfahrungen der letzten zwei Jahre im Umgang mit den ukrainischen Geflüchteten. "Diese Erfahrungen gilt es, jetzt zu nutzen", sagt Romin Khan aus dem Referat Migrationspolitik bei ver.di. "Alle Geflüchteten müssen gleichbehandelt und unterstützt werden." In der Begründung des Antrags wird auf die "beispiellose Entscheidung vom EU-Rat vom 4. März 2022" verwiesen. Und auf den Beschluss der Bund-Länder-Konferenz, die geflüchteten Menschen aus der Ukraine über zunächst Hartz IV und nun das Bürgergeld zu versorgen. Diese Entscheidung sei grundsätzlich zu begrüßen, heißt es bei ver.di.

Dennoch: Die finanzielle Unterstützung durch das AsylbLG ist niedriger als in der regulären Sozialhilfe und garantiert kein menschenwürdiges Leben, zu dem auch eine ausreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zählt. Dies sei auch verfassungsrechtlich höchst umstritten. In einem wegweisenden Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz 2012 stellten die Verfassungsrichter*innen fest, dass der Anspruch auf das aus der Menschenwürde abgeleitete Existenzminimum deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zusteht. Ein besonders relevantes Fazit aus dem Urteil lautet: "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren".

"Die Genfer Flüchtlingskonvention als Grundlage unserer Schutzregelungen unterscheidet nicht zwischen uns scheinbar kulturell näherstehenden oder angeblich ferneren Schutzsuchenden", so Romin Khan. Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke brachte das nicht zuletzt in einem Beitrag zu den Landtagswahlen 2022 in Nordrhein-Westfalen deutlich zum Ausdruck: "Wir wollen, dass niemand im Stich gelassen wird und sagen: Leave no one behind! (...) Unsere Solidarität ist unteilbar. Es gibt keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse."