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Influencer*innen haben das auffällige Product-Placement zum Geschäft gemacht – auf Kosten ihrer FollowerFoto: Westend61/mauritius images

In einer sozialen Marktwirtschaft, in der kapitalistische Grundsätze herrschen, sind die grundlegenden Prinzipien des Verbraucherschutzes von entscheidender Bedeutung, um die Rechte und Interessen der Bürger zu wahren. In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich das EU-Verbraucherrecht erheblich weiterentwickelt, und auch das Jahr 2023 bringt bedeutende Neuerungen mit sich. Diese betreffen den Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken, die immer präsentere digitale Welt und die Macht der Influencer*innen. Aber nicht alle Neuerungen in der Gesetzgebung dienen den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf gleiche Weise.

Die fünf ursprünglichen Grundprinzipien des Verbraucherschutzes legten 1972 den Grundstein für das, was heute ein umfassender und robuster Rahmen für den Verbraucherschutz in ganz Europa ist. Zu diesen Grundsätzen gehören: Das Recht auf Gesundheit und Sicherheit, auf Schutz der wirtschaftlichen Verbraucher-Interessen, das Recht auf Entschädigung, auf Information und Aufklärung sowie das Recht auf Vertretung.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich das EU-Verbraucherrecht auf viele Bereiche ausgeweitet und bietet den Verbraucher*innen heute eine breite Palette von Rechtsinstrumenten und Werkzeugen zum Schutz ihrer Interessen. Im Jahr 2023 können die europäischen Verbraucher*innen unter anderem vom Fluggast- und Pauschalreiserecht Gebrauch machen, sie erhalten Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken und sie haben das Recht auf Rückgabe sowie eine faire Preisgestaltung. Diese Rechte sind in den EU-Rechtsvorschriften verankert, die in allen Mitgliedstaaten gelten, so dass die Verbraucher*innen geschützt sind, wo immer sie in der EU wohnen, reisen oder einkaufen.

Gegen unlauteren Wettbewerb

In den letzten zwei Jahren traten weitere interessante neue Regelungen in Kraft, die sich unmittelbar auf unsere Lebensrealität auswirken – im Positiven wie im Negativen.

Seit 28. Mai 2022 gibt es einige neue Regelungen zum Vertragsrecht. Durch die Änderungen im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) erfolgt die nationale Umsetzung der "Omnibus-Richtlinie", die Anpassungen an der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) vornimmt. Verbraucher*innen sollen unter anderem vor überlangen Vertragsverlängerungen geschützt werden – für Streamingdienste oder Zeitschriften-Abos, aber auch andere Dienstleistungen. Sie ermöglichen es, automatische Vertragsverlängerungen schneller zu kündigen. Zusätzlich wurde ab dem 1. Juli 2022 eine Kündigungsbutton-Pflicht eingeführt, die den Kündigungsprozess vereinfacht. Diese Pflicht wird durch die Anforderung einer Eingangsbestätigung der Kündigung ergänzt, um sicherzustellen, dass die Kündigung erfolgreich übermittelt wurde.

Eine andere neue Regelung soll Verbraucher*innen zudem vor finanziellem Schaden bewahren. Immer wieder kommt es vor, dass Unternehmen ohne Zustimmung telefonisch Kontakt zu möglichen Kund*innen aufnehmen. Energielieferungsverträge, die am Telefon besprochen werden, müssen nun schriftlich bestätigt werden, beispielsweise per Brief, E-Mail oder SMS. Dadurch sind Verbraucher*innen besser geschützt vor unbewussten Vertragsabschlüssen am Telefon.

Trügerische Influencer

Das Gesetz enthält außerdem verschiedene praxisrelevante Neuerungen, insbesondere zum Marketing durch Influencer*innen. Ein neuer Paragraf soll dabei künftig Hinweispflichten regeln. Im heutigen digitalen Zeitalter beeinflussen Influencer*innen in den Sozialen Medien immer stärker die Entscheidungen der Verbraucher, indem sie verschiedene Waren und Dienstleistungen präsentieren und bewerben. Ein Beispiel dafür ist die Influencerin Bianca "Bibi" Claßen, ihr YouTube-Kanal "BibisBeautyPalace" hat über 5,8 Millionen Abonnent*innen, auf Instagram folgen ihr 8 Millionen Menschen. Sie hat keine formale Ausbildung in der Schönheitspflege, aber ihr Einfluss ist unbestreitbar. Es wird geschätzt, dass sie durch Werbung, Sponsoring, Testimonials, Werbeartikel und ihre eigene Kosmetikmarke monatlich Einnahmen von über 100.000 Euro generieren kann. Im Jahr 2015 wurden sie und andere deutsche YouTuber erstmals in größerem Rahmen für heimliche Werbung kritisiert.

Das sogenannte Influencer-Marketing und das auffällige "Product-Placement" zielen hauptsächlich auf Minderjährige ab, die oft noch nicht über die erforderliche Medienkompetenz verfügen, um den werblichen Charakter solcher Videos zu erkennen. Kritiker argumentieren, dass dabei das Vertrauensverhältnis zwischen den prominenten Persönlichkeiten und ihrem jugendlichen Publikum ausgenutzt würde. Ein wachsendes Problem: Viele Social-Media-Influencer legen den kommerziellen Charakter ihrer Beiträge oft nicht offen, was kritische Fragen im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz aufwirft. Und das hat zu Forderungen nach strengeren Vorschriften geführt, um Verbraucher vor potenziell irreführenden Marketingpraktiken zu schützen. Und auch wenn es derzeit kein spezielles Gesetz zur Regelung des Influencer-Marketings gibt, können bestehende Verbraucherschutzgesetze angewandt werden. Die UGP-Richtlinie bietet einen Rahmen für das Vorgehen gegen Praktiken, die gegen die Verbraucherschutzvorschriften verstoßen.

Neu, aber nicht besser

Seit 7. Juni 2023 gilt die Neu- fassung der EU-Verordnung "über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr". Danach entfällt der Entschädigungsanspruch, wenn die Verspätung oder der Ausfall infolge außer-gewöhnlicher Umstände eingetreten ist, die nicht im Einflussbereich des Bahnunternehmens liegen. Der Gesetzgeber hat jedoch klar festgelegt, dass Streiks nicht als außergewöhnliche Umstände gelten.

Mit der neuen Regelung haben die Fahrgäste weiterhin bei Annullierungen oder Verspätungen von Zügen von mehr als 60 Minuten Anspruch auf Wahlmöglichkeiten zwischen Weiterbeförderung oder Erstattung. Bei einer Verspätung von mindestens 60 Minuten am Endziel besteht ein Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 25 Prozent des Fahrpreises. Ab einer Verspätung von mindestens 120 Minuten beträgt die Entschädigung 50 Prozent des Fahrpreises.

Dennoch haben die neuen Richtlinien der Deutschen Bahn viel Spielraum verschafft. Sie kann sich nun häufiger auf "außergewöhnliche Umstände" berufen, bei denen keine Entschädigung mehr erforderlich ist. Dazu gehören beispielsweise extremes Wetter, Zwischenfälle wie Personen auf den Gleisen oder Sabotageakte wie das Entfernen von Oberleitungen. Zudem haben Verbraucher nur noch drei Monate Zeit, ihren Anspruch anzumelden, anstatt wie zuvor ein Jahr.

Verbraucherschutz:

Alles rein

Seit 50 und einem Jahr gibt es das EU-Verbraucherrecht. Legendär ist die Diskussion ums Bier. Nicht in allen europäischen Ländern stecken in dem Gebräu nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser wie hierzulande. Bei uns gilt nämlich seit über 500 Jahren das Reinheitsgebot. Aber seit 1987 muss Deutschland auch Biere aus dem Ausland auf dem Markt und in Gaststätten zulassen, die nicht nach dem deutschen Gebot gebraut werden. Geschadet hat die EU-Richtlinie dem deutschen Bier nicht, obwohl der Teufel mit Chemiebier an die Wand gemalt wurde. Inzwischen schielen wir in anderer Sache nach Schottland, wo es kostenlose Mentruationsartikel für Frauen gibt. Kurzum: Am Ende zählt im Verbraucherschutz die reine Praxis.

Petra Welzel