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Illustration: Eléonore Roede

Das betterplace lab ist ein digital-sozialer Think-and-Do-Tank mit dem Ziel, die Digitalisierung sozial zu gestalten und für das Gemeinwohl nutzbar machen. Dazu forscht und experimentiert ein Team aus Bereichen der Wissenschaft, Medien, Trend- und Zukunftsforschung in Projekten zu Themen wie Zukunft der Arbeit, Demokratie und Menschenrechte. Das lab ist entstanden aus der Online-Spendenplattform betterplace.org

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Katja Jäger ­leitet das ­Thementeam „Digitale Demokratie“ im betterplace labFoto: Nils Hasenau

ver.di publik: Das betterplace lab hat als Vision „Menschlichkeit in ­einer digitalen Welt“. Wie ist diese Vision entstanden?

Katja Jäger: Wir wollen einen alterna­tiven Entwurf anbieten, wie wir Digitalisierung gestalten können. Im Diskurs wird stark transportiert, dass Digitalisierung etwas ist, was uns von außen überrollt. Am Beispiel Künstliche Intelligenz sieht man das deutlich – sie wird geradezu personifiziert: „Die KI macht jetzt dies und das.“ Dabei machen immer noch Menschen die Technologie! Wir wollen diese Gestaltungsmacht der Menschen ins Zentrum stellen. Wir dürfen diese Fragen nicht dem Markt überlassen. Es braucht eine starke Zivilgesellschaft als Gegengewicht zu Technologiekonzernen. Denn diese sind in erster Linie darauf aus, uns möglichst lange an den Bildschirm zu fesseln. Die Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert dabei nach der Logik: Viel abschöpfen, wenig zurückgeben. In unserem Entwurf der sozialen Medien stellen wir den demokratischen Diskurs und zwischenmenschliche Beziehungen an die erste Stelle – mehr Menschlichkeit eben.

Ihr erforscht, was das Digitale sozial macht. Was habt ihr bisher herausgefunden?

Die Frage ist vielschichtig. Aber kurz gesagt: Wer macht denn Digitales? Wenn es beispielsweise um die Entwicklung ­eines Tech-Produkts geht wie eine App: Wer sitzt da im Team? Je mehr Dimensionen das Team abdeckt, desto besser das Produkt. Wir müssen auf Diversitäts­kriterien achten, ansonsten werden viele Fragen bei der Produktentwicklung gar nicht gestellt. Und ich glaube, man kann das auch größer denken: Wie gestalten wir unsere digitale Welt? Wie viele Perspektiven binden wir mit ein? Schaffen wir es, Prozesse so zu öffnen, dass mehr Menschen daran teilhaben können, so dass am Ende ein ganzheitlicheres Ergebnis steht?

Welche Ansätze wären für demokratische Teilhabe digital interresant?

Hier lohnt der Blick nach Taiwan, wo ­Digitalministerin Audrey Tang Teilhabe innovativ umsetzt. Durch den Einsatz von Pol.Is, einem KI-gestützten Tool, werden Teilhabe-Prozesse darauf ausgerichtet, dass man zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt. Bei einer Umfrage bei Pol.Is formuliert man aus den Optionen Ja-Nein zum Beispiel ein Ja-Wenn-Dann. Und dann kann man sehen, wie durch diese Formulierungsvorschläge am Ende bessere Ergebnisse für mehr Menschen herauskommen. Dadurch wird ermöglicht, auch andere Kriterien mit reinzunehmen: Unter welchen Umständen bin ich dafür, was ist mir wichtig, was brauche ich, damit ich dafür sein kann? Natürlich dürfen solche Prozesse nicht rein digital stattfinden, digital und analog müssen sich ergänzen. Menschen, die nur analog unterwegs sind, muss man analog einbinden und ermöglichen, dass sie in ihrem Lebensumfeld politisch oder demokratisch wirksam werden können.

Wen wollt, wen könnt ihr mit eurer Arbeit erreichen?

Wir sind vor allem mit den Menschen im Austausch, die sich mit „unseren“ Themen auseinandersetzen – im sozialen ­Sektor, auf der Ebene politischer Entscheidungsträger*innen, in der Wissenschaft und in der Wirtschaft. Wir wollen Impulse und neue Perspektiven geben.

Zum Beispiel?

Desinformation: Das ist ein Phänomen, das wir seit mehreren Jahren sehen. Die neue Perspektive, die das lab darauf wirft: Natürlich müssen wir Desinformation als Problem anerkennen und uns überlegen, wie wir konkret damit umgehen. Jedoch sollten wir uns auch fragen: Wieso ist Desinformation so erfolgreich? Warum kommt das so gut an? Das sagt mir auch etwas über den Zustand der ­Gesellschaft. Ich muss tiefer gucken und fragen, wie wir die Demokratie erneuern statt welche Regulationsdebatten zu führen sind. Die sind auch wichtig. Es braucht aber eine Gleichzeitigkeit in der Debatte.

Wie kann man digitale Demokratie fördern?

Ich glaube, man darf die Digitalisierung weder als Teufel noch als Allheilmittel für Demokratie verkaufen. Man muss anerkennen, dass die Welt digitalisiert ist. Selbst wenn jemand nur Analoges machen möchte, wird sich diese Person in einer digitalen Welt bewegen. Spannend ist, welches Bewusstsein wir für die Konse­quenzen haben – dafür, wer die Daten abgreift, etc. Ich höre noch viel zu oft: „Ich habe doch nichts zu verbergen.“ In der perfekten Welt ist das kein Problem. Das wird es aber, wenn meine politischen ­Botschaften anders ausgespielt werden. Oder im schlimmsten Fall ein autokra­tischer Staat vulnerable Nachrichten mitliest. Auch wenn ich die Konsequenzen nicht unmittelbar spüre, müssen wir Bewusstsein dafür schaffen, dass es problematisch ist, wie diese Geschäfts­modelle aufgebaut sind und mit ihnen Schindluder getrieben werden kann. Es ist problematisch, wenn ich zugeschnittene Realitäten präsentiert bekomme und gar nicht mehr mit anderen Realitäten in Kontakt gehen muss. Irgendwann verliere ich den Bezug dazu, was es noch für Realitäten gibt, weil ich nur in meiner Blase lebe.

Wie können wir da gegensteuern?

Wir müssen stärker ins Miteinander kommen. Und das fängt immer mit mir selbst an. Wo kann ich über meine eigene Bubble hinausgehen und mich ganz bewusst ­einer anderen Perspektive nähern? Wir nennen das „Kollaboration“. Es gibt so viele tolle Akteur*innen, die Expertise ­haben. Also sollten wir uns gemeinschaftlich daran machen, die Puzzlestücke neben­einander zu legen. Dann ergibt es ein Ganzes.

Gibt es bereits solche gemeinsamen Projekte?

Wir haben schon viele Projekte gemacht. Momentan stricken wir an einem Projekt, in dem wir mit verschiedenen Akteurinnen ans Thema Desinformation rangehen. Wir sind überzeugt, den Kampf gegen die Windmühlen können wir nicht ge­winnen, indem wir regulieren, löschen und verbieten. Wir betrachten die unterschiedlichen Ansätze – die Regulations­debatte, die Verbesserung der Nachrichtenkompetenz, die Medienbildung bis hin zum Fact-Checking. Wir wollen alle diese ­Perspektiven und eine Forschungsperspektive zum gesellschaftlichen Zusammenhalt einschließen.

Wir müssen uns fragen, warum Desinformation Konjunktur hat und wie wir mit unterschiedlichen Meinungen umgehen. Muss ich eine andere Meinung ­abwerten, um meine Position stark zu machen? Oder kann ich die argumentativ konterkarieren und darüber hinaus, auch das Emotionale wahrnehmen, das mitschwingt? Es geht bei vielen Fragen überhaupt nicht mehr um Sachfragen. Wenn wir uns den emotionalen Unterbau – und letztlich auch den ideologischen Hintergrund – von vielen Forderungen politischer Natur nicht bewusst machen, kommen wir nicht weiter. Und wenn ich erkenne: Auch ich folge einer Ideologie während ich argumentiere, dann habe ich viel gewonnen.

Das erfordert viel Selbsteinsicht ...

Dieses „die anderen müssen sich ändern“ geht einem leicht über die Lippen. Doch die Frage ist: Wo kann ich mich ändern? Wenn beispielsweise größere Bevölkerungsteile eine rechte Partei wählen, ­haben wir jetzt sehr lange Zeit gesagt: W‚ir reden mit denen nicht. Irgendwann muss ich mir überlegen, ob die Strategie so aufgegangen ist. Es lohnt sich, da

differenzierter heranzugehen. Ich habe mal auf einem Panel gesagt: Jeder hat doch so einen Onkel. Sprich mit dem Onkel. Nimm dir Zeit. Weil das fruchtbarer ist, als sich abzukapseln. Die Frage ist: Wie schaffe ich eine zwischenmensch-liche Qualität, in der ich sachlich einer ganz anderen Meinung sein kann, aber meinem Gegenüber weiterhin als Mensch begegnen kann?

Interview: Fanny Schmolke

Mehr erfahren: betterplace-lab.org