17_digit-analog_01.jpg
Illustration: Eléonore Roedel

Ich bin ein Hacki. Nein, das ist nicht die genderneutrale Form eines Hackers. Ich steh nicht auf Computercodes, sondern auf „Gemischtes Hack“ – den Podcast von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt. Und bist du ein Fan, dann bist du ein ­„Hacki“. Ich höre den Podcast erst seit ein paar Monaten, dafür aber so gut wie täglich. Gemischtes Hack zum Frühstück, auf dem Weg zur Arbeit und zurück, Gemischtes Hack zum Einschlafen. Neulich, in Folge 160 vom November 2021 – ich höre mittlerweile auch alteSendungen, damit ich genug Stoff habe – sprechen die beiden doch tatsächlich über das Thema, das mich gerade umtreibt. Dass alles so digitalisiert und entmenschlicht ist, ­beschweren sie sich. Internet und Smartphone kostenlos sein müssten, „weil du ohne ja nicht mehr partizipieren kannst“. Und dass es nicht nur alte und arme Menschen sind, die durch Digitalisierung ausgeschlossen werden. Sondern auch Menschen, die sich nicht dem Digitalzwang hingeben wollen.

Unter Verschluss

Fährt man mit Bus und Bahn, kann man schnell meinen, die Menschen seien mit ihren Smartphones verwachsen. Alles ab 12 – oft noch viel jünger – tippt, klickt und wischt. Ich nehme mich da nicht aus. Aber tatsächlich gibt es auch unter diesen Leute – junge wie ältere –, die keine Lust haben, sich die 153ste App aufs Handy zu laden, nur weil das schmale Päckchen vom Zusteller nicht durch den Briefkastenschlitz geschoben, sondern in eine voll automatisierte Packstation geliefert wurde, deren Schließfächer sich ausschließlich per Code und App öffnen lassen. Das mit der Packstation ist meiner 20-jährigen Tochter,auch Hacki, passiert. Sie war mega genervt von der DHL-Station und der „beschissenen App“, die sie nicht wollte. Aber sie wollte ihr Päckchen – und hat es dank ­Smartphone und durchschnittlichem digitalen Wissen nach dreimaligem Hin und Her auch geschafft, es aus dem Schließfach zu bekommen.

Wie würde wohl meine 70-jährige ­Mutter vor der Packstation stehen? Wie Ochs vorm Berg, würde sie sagen. Aber meine Mutter lässt es gar nicht so weit kommen. Sie verweigert sich. Online-Shopping? Kann sie nicht, macht sie nicht. Also werden auch keine Pakete geliefert. Online-Tickets für Konzert oder Theater? Nix da. Online-Banking? Schon gar nicht. Überweisungen macht ihr Lebenspartner, Kontoauszüge druckt sie wie in der Steinzeit in der Filiale aus. Und ihr Erspartes lässt sie lieber auf dem Sparkassenkonto zu 0,5 Prozent Zinsen versauern, als dass sie sich um ein Online-Tagesgeldkonto mit 4 Prozent Zinsen bei einer anderen Bank kümmern würde. „Mutti, da ist jährlich ‘ne kleine Urlaubsreise für nüscht tun drin“, sag ich. „Alles viel zu kompliziert“, sagt sie.

Meine Mutter aber hat immerhin Internet und Smartphone, auch wenn ihr das nötige Wissen fehlt, es für mehr als Telefonie und WhatsApp zu nutzen. Viele ältere oder ärmere Menschen, oftmals dank steigender Altersarmut beides zusammen, aber nicht. Und dann sind da Menschen mit körperlichen oder geistigen Barrieren. Und Menschen, die einfach kein Smartphone haben wollen. Ja, auch die gibt es. Und nein, das sind nicht nur Alte oder Hinterm-Mond-Lebende oder Paranoide. Jedenfalls nicht die, die ich kenne. Das sind einfach oft Menschen, die mehr Zeit haben möchten und weniger vom Leben abgelenkt sein wollen.

Neue Form der Ausgrenzung

Aber es ist heute fast unmöglich, ohne Internet, Smartphone und dazugehörige Apps am Leben teilzunehmen. Deutschland-Ticket für den Zug, Bording-Pass für den Flug, Mietwagen, Carsharing, Leihfahrräder, Lieferdienste – die Liste ist lang und wird länger. Verwaltungen setzen immer mehr auf digital, manche private Unternehmen bieten ihre Dienstleistungen nur noch per App an. In Restaurants braucht es immer häufiger ein Smartphone, da statt einer Speisekarte oft nur noch ein QR-Code mit Link zur selbigen auf dem Tisch klebt. Selbst Arzttermine lassen sich oft nur noch online machen.

Fakt ist aber: Jeder zehnte Deutsche besitzt gar kein Handy, bei den über 65-Jährigen sind es mehr als die Hälfte, die kein Smartphone nutzen, sagt eine aktuelle Erhebung des Branchenverbands Bitkom. Sie alle, plus diejenigen mit Smartphone aber ohne Wissen (wie meine Mutter), sind ­somit von einem großen Teil des öffentlichen Lebens ausgeschlossen.

Mit dem zunehmenden Digitalzwang entsteht eine neue Form der Ausgrenzung, sagt Digitalcourage. Der Verein, der sich für Grundrechte und Datenschutz einsetzt, forderte deshalb zum 74. Geburtstag der Verfassung ein neues Grundrecht – das „Grundrecht auf analoges Leben“. Menschen müssten davor geschützt werden, aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt und benachteiligt zu werden, „weil sie kein Smartphone nutzen oder nicht für jeden Quatsch eine zwielichtige App installieren wollen“. Und: „Das Recht auf ein analoges Leben ohne strukturelle Nachteile gehört zu einer lebenswerten Welt im digitalen Zeitalter dazu.“

So sieht das auch meine Gewerkschaft. Auf ihrem Bundeskongress im September, wo alle vier Jahre die politischen Leitlinien für die nächsten vier Jahre festgelegt ­werden, stimmten rund 1.000 Delegierte zwischen 18 und 81 Jahren darüber ab, dass sich ver.di mit allen politischen Mitteln dafür einsetzen soll, im Bereich der öffentlichen und privaten Dienstleistungen „Ein Recht auf Analog“ zu etablieren:„Es gilt sicherzustellen, dass auch älteren Menschen, Personen mit Einschränkungen oder ohne Zugang zum Internet ein uneingeschränkter Zugang zu diesen Dienstleistungen auch in der Zukunft möglich ist.“

44 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sehen das laut D21-Digital-Index auch so und sprechen sich zwingend für analoge Alternativen neben digitalen Angeboten aus.Analog ist also ein Zukunftsthema, auch wenn das erstmal paradox klingen mag. Reale Interaktionen mit Menschen sind für uns soziale Wesen lebenswichtig, ja überlebenswichtig. Und nur wenn wir auch analoge Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben weiter ermöglichen, also quasi ein „Gemischtes Hack“, ist eine demokratische Gesellschaft möglich.

Dünger aus dem Klo

Zukunft kann vieles sein, und selbst scheinbar Vergangenes gehört dort hinein, wie auf dieser Seite nachzulesen ist. Was Zukunft auf jeden Fall braucht und schon ziemlich alt ist: unsere Erde, bewohnbar, mit Luft zum Atmen und Wasser zum Trinken. Deshalb geht’s auf diesen Schwerpunktseiten auch um den ökologischen Umbau. Unsere Autorin Annette Jensen erzählt unter anderem, wie sich mit Kot die Welt retten lässt, und wie auch mit Pippi – in der Toilette gesondert abgeleitet – wertvoller Dünger für die Landwirtschaft gewonnen werden kann. Im Interview auf Seite 20 erzählt uns eine Forscherin wie auch in einer digitalisierten Zukunft Menschliches erhalten bleiben kann. Und damit meint sie keine Ausscheidungen, sondern das Soziale im Digitalen.

Fanny Schmolke