Zu den Veränderungen, die der Krieg in mein Leben gebracht hat, gehört auch meine Rückkehr an die Universität als Lehrkraft. Zum ersten Mal hatte ich vor fünf Jahren einen Lehrauftrag, im letzten Jahr wurde ich erneut Dozentin, allerdings sehr unerwartet. „Tyzhden“, das ukrainische Medienunternehmen, für das ich arbeite, kooperiert seit langem mit der Journalistenschule der Ukrainischen Katholischen Universität, einer privaten Hochschule im Westen der Ukraine. Vor vier Jahren hat mein ehemaliger Redakteur, Dmytro Krapyvenko, dort einen Printmedien-Kurs ins Leben gerufen und zu unterrichten begonnen. Doch am 24. Februar 2022 ging er wie viele ukrainische Männer zur Armee. Im letzten Frühjahr, als klar wurde, dass dieser Krieg noch lange dauern würde, bot er mir an, seinen Kurs zu übernehmen. Ich sagte zu. Die Geschichte von Dmytro ist nicht ungewöhnlich. An jeder ukrainischen Universität gibt es Dozenten, die vom Vorlesungssaal in einen Schützengraben gegangen sind. Da Universitätsprofessoren, Studenten, Postgraduierte und Forscher per Gesetz vom Militärdienst befreit sind, sind diese Entscheidungen absolut freiwillige.

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Olha VorozhbytFoto: privat

Die Folgen des russisch-ukrainischen ­Krieges für das ukrainische Bildungs­wesen werden sich erst in 5 bis 10 Jahren in vollem Umfang bemerkbar machen, doch schon jetzt können wir festhalten: Bis heute wurden 44 Hochschuleinrichtungen umgesiedelt, was bedeutet, dass Universitäten aus den Frontgebieten oder den besetzten Gebieten in sicherere Regionen umgezogen sind. Diese Hochschulen sind mit immensen Schwierig­keiten konfrontiert – mit erheblichen ­Kürzungen der Finanzmittel, der Suche nach Lehrräumen und Wohnungen für das Hochschulpersonal.

Zu Beginn der russischen Invasion wurden zudem sehr viele, vermutlich die Mehrheit der ukrainischen Lehrkräfte und Forscher zu Binnenvertriebenen und zu Flüchtlingen. Wenn eine Universität Partner im Ausland hatte, versuchten ­diese, ihre ukrainischen Kollegen mit ­vorübergehenden Stipendien zu unterstützen, so wie Anastasija Riabtschuk, außerordentliche Professorin für Soziologie an der Nationalen Universität „Kyjiw-Mohyla-Akademie“. Anastasija zieht ihre Tochter allein auf, was für sie eine doppelte Belastung darstellt.

Von der Kaserne aus ins Online-Seminar

Die anhaltenden Kriegsnachrichten aus der Ukraine, die Anpassung ihrer Tochter an die neue Schule und das neue Umfeld sowie die Geschichten von Studentinnen und Studenten, die in der Ukraine ­geblieben sind, manchmal sogar in den besetzten Gebieten, oder die sich in der Armee befinden, aber weiterhin an den Seminaren teilnehmen, haben einen erheblichen Einfluss auf die emotionale Verfassung der Professorin: „Unter ­meinen Studenten gibt es nur wenige von ihnen, aber ihre Geschichten sind sehr beeindruckend – eine Studentin nahm im ersten Kriegsjahr online an einem Seminar aus ­einem Filtrationslager in der Nähe von Mariupol teil, ein Student, der in den ­Territorialen Verteidigungskräften in Mykolajiw dient, – von seiner Kaserne aus.“

Viele ukrainische Akademiker und Stu-dierende, die in den ersten Monaten des Krieges wie Anastasija ins Ausland gingen, sind dort geblieben. Langfristig wird die Ukraine also darüber nachdenken müssen, wie sie diese Menschen zur Rückkehr bewegen kann. Die deutsche Regierung hat vor kurzem die Eröffnung von Exzellenzzentren in Kyjiw, Lwiw und Charkiw unterstützt. Die Zentren werden von deutscher Seite finanziert und von führenden deutschen und ukrainischen Wissenschaftlern geleitet. Es ist eine gute Investition, um ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihre Heimat zurückzubringen und die Nachkriegsukraine wieder aufzubauen.

Olha Vorozhbyt ist stellvertretende Chef- Redakteurin des ukrainischen Nachrich- tenmagazins Ukrajinskyi Tyschden. Seit der Ausgabe 03_2022 schreibt sie regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeits- welt in der Ukraine.