13_Bibliothek_Leserin_Buecher.jpg
Bibliothek in Berlin – ausnahmsweise planmäßig geöffnetFoto: Falestin Washaha

In Wolfsburg sind seit letztem Sommer vier Stadtteilbüchereien dicht. Wenig später musste die Stadt auch in der Zentralbibliothek und in den Lernzentren der Schulen die Öffnungszeiten kürzen. Der Grund: „Nie dagewesener Personalmangel“. In vielen Städten landauf landab sieht es ähnlich aus. „Personalmangel: Bibliothek in Barleben geschlossen“, ­titelte die Volksstimme im vergangenen Oktober. „Mitarbeiter fehlen: Bibliothek in Dessau-Roßlau schließt“, meldete der MDR im November. Und auch in Berlin haben die Zweigstellen in Spandau und Neukölln zur selben Zeit ihre Öffnungszeiten eingeschränkt. Stellt sich die Frage: Was läuft schief in den öffentlichen Büchereien?

„In Berlin können wir viele offene Stellen nicht besetzen“, sagt Dominic Wilhelms von der Bibliothek in Berlin-Mitte. Die Stellen würden zwei, drei Mal ausgeschrieben – und liefen meistens ins Leere. Das gelte auch für Ausbildungsplätze. Die Folge: „Wir schieben einen riesigen Haufen unbesetzter Stellen vor uns her.“

Fachangestellte? Fehlanzeige

Der Leiterin der Stadtbibliothek in ­Marzahn-Hellersdorf, Benita Hanke, hat dasselbe Problem. „Wir haben aktuell zehn unbesetzte Stellen.“ Ausgebildete Bibliotheksfachangestellte seien schon gar nicht zu finden, aber auch sonst trudelten keine Bewerbungen ein. Das gelte übrigens für alle Berufsgruppen, fügt Dominic Wilhelms hinzu. So sei zum ­Beispiel in Berlin-Lichtenberg die Stelle für die IT-Leitung zweimal ausgeschrieben gewesen, ohne Erfolg. „Irgendwann wurde aufgegeben.“ Die Zweigstelle müsse jetzt ohne IT-Leitung auskommen.

Wird jemand krank, bricht mitunter der komplette Betrieb zusammen. Einige ­Bibliotheken in Marzahn-Hellersdorf müssen immer häufiger außerplanmäßig schließen. In Berlin-Mitte werde den ­Öffnungszeiten oberste Priorität eingeräumt, sagt Dominic Wilhelms. Deshalb müssten die Beschäftigten jetzt viel mehr Zeit im Publikumsdienst sitzen. Die andere Arbeit bleibe liegen. „Da wird auf Verschleiß gefahren.“ Er selbst zum Beispiel ist für die IT an sieben Standorten und in vier Büchereibussen zuständig. Die Bibliotheken warteten händeringend, dass er neue Dienstrechner einrichtet, das WLAN wieder zum Laufen bringt und ein Netzwerk aufbaut. „Das rutscht alles in der Prioritätenliste runter.“

Aber warum will kaum noch jemand in öffentlichen Bibliotheken arbeiten? „Der Job ist nicht attraktiv“, sagt Benita Hanke. Zum einen wegen der Bezahlung. Nach dreijähriger Ausbildung steigen Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste mit etwa 2.700 Euro brutto ein. „In Berlin kann davon alleine niemand eine Wohnung zahlen oder gut leben.“ Hinzu kämen die Arbeitszeiten: So seien regelmäßige Spätdienste bis 20 Uhr sowie Samstagsarbeit selbstverständlich. Homeoffice sei im Bibliotheksdienst nicht möglich, ergänzt Wilhelms.

Mit dem Rotstift

Ein weiterer Punkt: „Die soziale Be­lastung ist enorm gestiegen“, sagt ­Wilhlems, der auch Sprecher der ver.di-Arbeitsgruppe Bibliotheken in Berlin-Brandenburg ist. Der Umgangston sei generell ruppiger geworden. Zudem platzten die Einrichtungen oft aus allen Nähten. „Bibliotheken sind der letzte konsumfreie Ort“, gibt er zu bedenken. „Zu uns kommen alle Leute, die sonst nicht wissen, wohin.“

Da vielerorts die Jugendtreffs geschlossen sind, hängen die Kids jetzt oft in ­Einkaufszentren oder Bibliotheken ab. Obdachlose wärmen sich im Winter auf oder suchen im Sommer ein kühles Plätzchen. Und viele Menschen ohne Geld sind heilfroh, kostenlos die Computer nutzen zu können. „Alle sind herzlich willkommen“, stellt der Bibliotheksfachmann klar. Aber Bibliotheken könnten keine Jugendclubs oder Sozialstuben ersetzen.

Da Bibliotheken eine freiwillige Leistung der Kommunen sind, wird in Zeiten knapper Kassen dort häufig zuerst der Rotstift angesetzt. Die Einrichtungen spürten immer noch die Auswirkungen der Haushaltskrise der letzten Jahre, sagt Dominic Wilhelms, sowohl beim Personal als auch bei Sachmitteln sei das Geld knapp. „Jetzt schlittern wir schon wieder in die nächste Krise.“

Jede achte Bibliothek geschlossen

Überall fehlt es an Geld für Bibliotheken. In vielen Regionen gebe es weit und breit überhaupt keine Angebote mehr, kritisiert Holger Sterzenbach, Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission Archive, Bibliotheken, Dokumentationsstellen. Das gilt vor allem für kleine Städte. Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es 2022 rund 8.800 öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken, zehn Jahre zuvor waren es noch 1.350 mehr. Mit anderen Worten: Mehr als jede achte Einrichtung wurde seither geschlossen.

Und wo es noch Bibliotheken gibt, ­haben sie häufig nur ein paar Stunden pro Woche geöffnet. Gerade auf dem Land stünden die Menschen werktags oft vor verschlossen Türen. Oft säßen auch gar keine Fachkräfte mehr an der Ausleihe, sondern nur noch geringfügig beschäftigte Hilfskräfte, sagt Holger ­Sterzenbach. „Das hat nichts mehr damit zu tun, was Bibliotheken im Kern ausmacht.“

„Es könnte so ein toller Job sein, wenn er ordentlich bezahlt wird.“ Dominic Wilhelms, Bibliothek in Berlin-Mitte

Der Gewerkschafter kann nur den Kopf darüber schütteln, dass in so einer Situ­ation ernsthaft über Sonntagsöffnung diskutiert wird. „Das führt völlig an der Realität vorbei.“ Zuletzt scheiterte ver.di mit einer Klage dagegen in Nordrhein-Westfalen vor dem Oberverwaltungs­gericht Münster – und zieht jetzt vors Bundesverwaltungsgericht. Allerdings kann es dauern, bis dort mit einem Urteil zu rechnen ist. Zunächst müsse es in der Debatte darum gehen, die normalen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag zu gewährleisten, fordert Sterzenbach. „Darüber müssen wir dringend sprechen. Wir können nicht zulassen, dass die öffentlichen Bibliotheken am langen Arm verhungern.“ Seiner Meinung nach braucht es Bibliotheksgesetze, die Kommunen dazu verpflichten, für eine gute Finanzierung zu sorgen.

Einige Bibliotheken haben bereits ­sonntags geöffnet, unter anderem in Hamburg und Berlin. Allerdings ohne Fachpersonal. In der Regel ist nur ein Wachdienst vor Ort. „Es gibt keinerlei kompetente Beratung“, kritisiert der ­Bibliotheksexperte. „Bei der Ausleihe und Nutzung sind die Menschen auf sich gestellt.“ Das gehe am Anspruch von ­Bibliotheken komplett vorbei. „Unsere Position ist: Wenn die Häuser geöffnet haben, dann bitte richtig“, betont Holger Sterzenbach. „Doch klar ist: Das kostet Geld. Sonntags fallen tarifliche Zuschläge an.“

Die Tätigkeit ist total vielseitig

Dominic Wilhelms ist zwar heilfroh, dass er sonntags nicht arbeiten muss. „Wir sind ja schon fünf, sechs Tage pro Woche im Einsatz.“ Doch eine Bibliothek ohne Fachpersonal? Der Gedanke gefällt ihm überhaupt nicht. Ob Leseförderung, Klassenführungen, Buchclubs oder Musikangebote: „Wir bieten richtig viel“, sagt Benita Hanke. Fest steht ihrer Meinung nach: An der Arbeit selbst liegt es nicht, dass sich kaum jemand auf die Stellen bewirbt. „Die Tätigkeit ist total vielseitig und attraktiv.“

Das sieht Wilhelms genauso: „Es ist ein wirklich toller Job.“ Die Arbeit sei abwechslungsreich, schwärmt er, man komme mit Menschen ins Gespräch, könne eigene Ideen verwirklichen. Oder besser gesagt: „Es könnte so ein toller Job sein, wenn er ordentlich bezahlt wird.“