Benni Ruß hat in seinem Leben eine ganze Menge für seine Überzeugungen getan: Schon als Schüler in Tokyo, wo er einige Jahre lebt, organisiert er eine Friedens­aktion gegen den Irakkrieg 2003. Während seines Geographiestudiums an der Technischen Universität München (TUM) engagiert er sich gegen die Erhöhung der Studiengebühren, beim Protest gegen den G7-Gipfel in Elmau betritt er 2014 als Sprecher die öffentliche Bühne.

Er nimmt an antifaschistischen Protesten gegen Pegida teil, diskutiert mit kurdischen Jugendlichen, protestiert gegen die Reform des Polizeiaufgabengesetzes der Bayerischen Staatsregierung, das der Polizei zur Gefahrenabwehr mehr Rechte einräumt. Als er bei einem Protest vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ­eine bedruckte Overheadfolie über die Augen zieht, um sich vor Pfefferspray zu schützen, fängt er sich eine Anzeige ein und klagt sich anschließend durch die ­Instanzen. Inzwischen, erzählt er, liegt seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Benni Ruß: „Eine gewisse ­Anspannung ist immer dabei.“Sophia Lukasch

Zäher und waghalsiger

Der Kampf, den er ausficht, ist mühsam. Mal, erzählt er, wurde er von einem Polizisten zu Boden gerissen, mal hat man seine Wohnung durchsucht und Computer beschlagnahmt. „Ich habe genug ­Erfahrungen mit Repression gemacht, aber man verändert nichts, wenn man sich Repression beugt“, sagt er. „Ist man von der Richtigkeit der Sache überzeugt und hat die nötigen Voraussetzungen dafür, ist es wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen.“ Zwar ist er mit Sicherheit zäher und waghalsiger als andere Menschen. „Eine gewisse Anspannung ist aber immer dabei. Ich agiere ja gegen Kräfte, die ­tendenziell stärker sind als ich selbst.“

Klar ist: Benni Ruß, Master in Urbanistik, ist ein durch und durch politischer Mensch. Natürlich ist er links. Aber verstößt er darum gegen die Verfassung? Und wenn das der Fall sein sollte: Wäre das wirklich Grund genug, ihm die bescheidene Stelle eines wissenschaft­lichen Mitarbeiters im Bereich Geografie vorzuenthalten?

Genau das nämlich hat die TU München getan. Benni erhob dagegen Klage, am 9. Februar ist Prozessauftakt vorm Münchner Arbeitsgericht. Für Benni wird es dabei auch generell darum gehen, im öffent­lichen Dienst in Bayern arbeiten zu dürfen. „Ich kämpfe zwar für größere, gesellschaftliche Verbesserungen, aber trotz allem auch immer für mich.“

Die TU äußert sich auf Anfrage nicht zu dem Fall, der entsprechende Schriftverkehr, in dem sich die Hochschule auf ­Recherchen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz beruft, liegt der Redaktion vor. Vorgeworfen werden dem Bewerber Benni unter anderem seine ­Mitgliedschaften im Studierendenverband der Linkspartei (von 2012 bis 2014) und in der Rechtshilfeorganisation „Rote ­Hilfe“ (aktuell). Es geht um Artikel, die er auf der Plattform klassegegenklasse.org geschrieben hat, um seinen Aufruf zu ­zivilem Ungehorsam beim G7-Gipfel und um einen vermeintlichen Angriff auf einen Polizisten im Zuge einer Demonstration.

Die TU München fordert in einem ersten Brief eine Stellungnahme von Benni ein, die allerdings, wie es in einem späteren Schreiben heißt, die Zweifel an seiner Verfassungstreue nicht ausräumt, sondern verstärkt. Aus seinen Aussagen lasse sich ableiten, dass er einen Systemwechsel anstrebe und auf eine sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsordnung abziele, so die Hochschule.

Däubler-Gmelin: Vorwürfe entkräftet

Benni wiederum wirft der Universität vor, sich Positionen des Verfassungsschutzes zu eigen zu machen und „Aussagen aus dem Kontext zu reißen, um mich als gewalttätigen Umstürzler darzustellen. Der Versuch, mich zu diffamieren, ist hanebüchen.“ Er vermutet: „Dadurch, dass ich mich in den letzten 14 Jahren häufig wider­setzt habe, reagieren die Institutionen und Behörden sehr empfindlich auf mich, die Reaktion der TUM ist ein Beispiel dafür.“

Für Herta Däubler-Gmelin ist der Fall klar: Begründete Zweifel an Bennis Verfassungstreue bestünden nicht, die TUM sei verpflichtet, ihn einzustellen. „Die Vorwürfe lassen sich nicht bestätigen und sind zu großen Teilen entkräftet“, so Däubler-Gmelin. „Die Behauptung, Benni Ruß habe aktiv an irgendwelchen Aktionen gegen Polizeibeamte teilgenommen, ist einfach falsch.“

Dass Däubler-Gmelin die Verteidigung von Benni übernimmt, kommt nicht von ungefähr: Die ehemalige Bundesjustiz­ministerin ist seit über sechzig Jahren ver.di-Mitglied und befasst sich schon seit einem halben Jahrhundert mit dem Thema Berufsverbot. Für sie bestätigt der Fall Ruß einen alten „Linksdrall“: „Seit den Siebzigerjahren ist es Tradition, nach rechts die Augen zu verschließen und nach links so zu tun, als sei da eine große Gefahr“, sagt sie. „Dass man Berufs­verbote auf jemanden im Wissenschaftsbereich anwendet, muss sehr empören. Die Tatsache, dass es solche Einzelfälle gibt, frustriert einen. Sowas geht nicht in einem Rechtsstaat!“

„Ist man von der Richtigkeit der Sache überzeugt und hat die nötigen Voraussetzungen dafür, ist es wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen.“ Benni Ruß, Geograf mit Schwerpunkt Urbanistik

Ähnlich sieht das die Betriebsgruppe der TUM, die den Fall in ihrer Zeitung ­öffentlich gemacht hat: „Es geht um ­Meinungsfreiheit und Diskussion. Gerade in einer wissenschaftlichen Einrichtung muss man über den Kapitalismus diskutieren und darüber, welche Probleme er hervorbringt“, so Renate Bayer.

Claudia Weber von ver.di München sagt: „Ein Berufsverbot stellt eine massive Einschränkung der Berufsausübung dar.“ Darum gewährt ver.di Mitgliedern wie Benni kostenlosen Rechtschutz in ­Angelegenheiten, die das Arbeitsleben betreffen. „Gleichzeitig sehen wir uns als politische Organisation, die sich für die Demokratie und die Verbesserung der ­gesellschaftlichen Verhältnisse stark macht. Dazu gehört auch, dass wir uns aktiv für die Freiheit der wissenschaft­lichen Meinungsäußerung einsetzen.“ Das Engagement von ver.di beschränkt sich darum nicht nur auf Rechtshilfe. Um Benni zu unterstützen, hat die Gewerkschaft im November außerdem eine Diskussionsveranstaltung organisiert, Titel: „Wie frei ist Bayerns Wissenschaft?“

Exil in Luxemburg

Statt an der Uni zu forschen und zu lehren, ist Benni inzwischen als Geoinformatiker in einem Museum in Luxemburg angestellt, wo er archäologische Funde digitalisiert. Er mag Deutschland vorläufig den Rücken gekehrt haben, seine politische Haltung allerdings ist unverändert. „Ich denke, dass unsere Gesellschaft zutiefst ungerecht ist“, sagt er. Geprägt hat ihn da auch die eigene Geschichte. Wie es ist, in prekären Verhältnissen zu leben, weiß der gebürtige Oberpfälzer seit seiner Kindheit. Die Familie seines Vaters stammt aus Schlesien, die seiner Mutter hat ungarische und italienische Wurzeln. „Ich habe als Kind Armut kennengelernt und erlebt, was Hunger bedeutet.“

Im Rückblick zweifelt allerdings auch er manchmal daran, ob man mit Offenheit und Ehrlichkeit wirklich weit kommt. ­„Früher dachte ich: Ich lebe in einer demokratischen Gesellschaft, in der man seine Meinung offen, mit bürgerlichem Namen, vertreten kann. Das war ein bisschen naiv.“ Heute weiß er: „Man gibt sich dadurch auch Angriffen preis.“

Und doch: „Ich fühle mich sehr wohl damit, aufrecht durchs Leben zu gehen und kann mir nicht vorwerfen, mich wegzuducken. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein Erfolg.“