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Ihr Jahrhundert – Frauen erzählen Geschichte

„Ich werde versuchen, bis zum Ende zu arbeiten.“ Als die deutschsprachige Nermin Abadan-Unat diesen Satz sagt, ist sie 101. Heute ist die 1920 geborene Österreicherin mit türkischen Wurzeln 104 Jahre alt. In Uli Gaulkes Portraitfilm ist sie eine von fünf Frauen, die alle die 100er-Marke überschritten haben. Jede von ihnen hat der Welt ihren Stempel aufgedrückt.

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Nermin etwa sehen wir beim Festakt zum 60-jährigen Jubliläum des Anwerbeabkommens Deutschlands mit der Türkei vor zwei Jahren. Sie wird mit einem Sonderpreis geehrt als die ­Erste, die zum Thema Arbeitsmigration nach Deutschland geforscht hat. Sie sollte ­Steno lernen, aber: „Ich wollte keine bedeutungslose Arbeit haben; wenig Bezahlung und keinen Wert. Ich wollte absolut nach oben!“ Sie ging 1936 mit 15 allein in die ­Türkei, wo die Schule kostenlos war. Glühend spricht sie über Atatürk, der die Frauen vom Kopftuch befreite und ihnen Rechte gab, die aktuell weitgehend wieder abgeschafft sind. Heute ­repräsentiert Prof. Dr. Nermin Abadan-Unat – vor der Kamera immer mit Lippen­stift – nichts weniger als die Frauenbewegung der Türkei.

Uli Gaulke wollte Weltgeschichte einmal nicht aus männlicher, sondern aus weiblicher Sicht erzählen. So fand er seine Protagonistinnen, weil jede von ihnen mit ihrem ­Engagement Konventionen gesprengt hat. So auch Ilse Helbich, die ihr erstes Buch mit 80 schrieb. Sie befreite sich zunächst selbst vom eingebläuten Antisemitismus, später dann aus ihrer Ehe.

Es sind spannende Lebenswege, die sich hier in Gesprächen und historischen Filmausschnitten offenbaren. Auch der Weg der Jüdin Tamar Eshel (sie ­wurde 102), Mitglied der Knesset und ehemals Vorsitzende im Komitee für Frauenrechte in der UNO. Sie lebte mit ihrer Familie in Palästina, wurde 1943 Geheimagentin, dann Bildungsministerin, zuständig für die Ausbildung aller Christen, Juden und Araber in Jerusalem. Haydée ­Arteaga Rojas aus ­Kuba ist 105 Jahre alt geworden. Als Kind vorrevolutionärer Zeit räumte ihr der Rassismus kaum Chancen ein. Doch sie konnte lesen und rezitieren; sie erfand die Kulturgespräche für Kinder von Arbeitern und Arbeitslosen.

Schließlich treffen wir die 98-jährige Yogalehrerin Nanammal Amma. Täglich übt sie ­ihre Asanas und war deshalb noch nie krank. Für ihre Verdienste um die Gesellschaft wurde auch sie ausgezeichnet und erzählt, sie habe immer vom Fliegen geträumt: „Dank Yoga reise ich heute in die ganze Welt“, sagt sie, die sechs Kinder allein durch­gebracht und 600 Yogalehrerinnen ausgebildet hat. Ihre jungen Schülerinnen hängen gebannt an ihren Lippen, wenn sie erzählt, genau wie die Zuschauer*in dieses inspirierenden Films, der einen Tag vor dem internationalen Frauentag in die Kinos kommt. Jenny Mansch

D 2024. R: Uli Gaulke. Kamera: Axel Schneppat, Uli Gaulke. Kinostart 7.3.24

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Die Herrlichkeit des Lebens

Als einen abgrundtiefen Pessimisten lernt man Franz Kafka in seinen Erzählungen kennen. An seinem konfliktreichen Leben verzweifelte der Literat auch. Aber nicht diesem Kapitel widmet sich die Adaption des gleichnamigen Bestsellers, sondern vielmehr einer späten, erfüllten Liebe. 1923 reist der Schriftsteller an die Ostsee, um sich von einem chronischen Lungenleiden zu erholen. Dort lernt er die Tänzerin Dora Diamant kennen. Wie sich der introvertierte Intellektuelle und die bodenständige Frau näherkommen, schildert der leise, subtile Film mit sparsamen Dialogen und Blicken von großer Zärtlichkeit. Erstmals hält, wie durch ein Wunder, das Glück bei Kafka Einzug, so dass er die Kraft aufbringt, mit der geliebten Freundin an seiner Seite der Hölle seines Prager Elternhauses zu entkommen. In seiner neuen Berliner Bleibe sieht sich das Paar mit großer Armut konfrontiert, zudem verschlimmert sich der Gesundheitszustand des mit dem Leben Versöhnten dramatisch. So mag es paradox erscheinen, dass er nun in sein Tagebuch schreibt, wenn man sie beim richtigen Namen rufe, zeige sich die „Herrlichkeit des Lebens“. Ernst gemeint war es wohl aber doch. Wer weiß, was er noch geschrieben hätte, wenn er nicht kurz darauf gestorben wäre. Kirsten Liese

D 2024. R: Georg Maas & Judith Kaufmann, D: Sabin Tambrea, Henriette Confurius, Manuel Rubey, 98 Min., KinoStart: 14.3.24

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MDR/Hoferichter&Jacobs

Wir waren in der AfD – Aussteiger berichten

Sie alle waren begeistert eingetreten in die AfD. Die Protagonisten dieser aufschlussreichen Dokumentation hatten dafür unterschiedliche Gründe. Der wirtschaftsliberale Ansatz, der zu fördernde Stolz auf Deutschland, die Offenheit der jungen Partei für jeden, der reinwollte, der Ärger über die EU. Einige von ihnen haben Migrationshintergrund. Doch bald merken sie, dass die Partei zunehmend rechts radikalisiert wird; sie stemmen sich bis zum Bundesparteitag 2017 und 2020 gegen diese Entwicklung, doch dann hatte auch der letzte von ihnen verstanden, dass die AfD an die Extremen verloren ist. Sie gingen, und das hatte Folgen für sie: „Man wünschte mir Krebs, drohte mich und meine Familienmitglieder zu vergewaltigen, ich bekam hunderte von Morddrohungen“, erzählt Franziska Schreiber. Wie in einer Sekte sei man nach Austritt wie ein Aussätziger behandelt worden, sagt ein anderer. Das nahe Umfeld der Aussteiger hingegen begrüßte ihren Schritt, erfährt man. Sehr persönlich reflektieren die Ex-AfDler ihre Zeit in der Partei, die sich auch durch den Opportunismus ­einer Alice Weidel von einer moderaten jungen Partei zu einer Altpartei ganz rechts außen etabliert hat. Einzig der geschasste Jörg Meuthen stilisiert sich erneut als Opfer in dieser ansonsten erkenntnisreichen und wichtigen Dokumentation. Jenny Mansch

R: Jan Lorenzen. ARD Mediathek, bis 18.1.2025