Ausgabe 01/2024
Musik
Amsterdam Klezmer Band: Bomba Pop
Sechs Holländer und ein ukrainischer Sänger ziehen ihr Publikum mit musikantischer Spiellaune in den Bann. Mitte der 1990er Jahre ist die Amsterdam Klezmer Band als Straßen-Combo gestartet. Ihren Wurzeln ist die AKB seither treu geblieben, aber längst erreicht sie mit ihrem wild-vitalen Mix aus Klezmer, osteuropäischer Musik und Balkan-Grooves eine stetig wachsende weltweite Fangemeinde. Und bei Konzerten überzeugen die Holländer durch eine Urwüchsigkeit und Wildheit, wie sie so nur von einer Akustik-Band zu erwarten ist. Sie sind kein Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil, der pulsierend vorwärtstreibende Groove ist lebensbejahend und ausgesprochen partytauglich - allerdings ohne dabei einfältig daherzukommen. Das mit vier Bläsern plus Rhythmusgruppe besetzte Septett vereint in seinem Schtetl-Sound osteuropäische Tradition mit zeitgenössischer Internationalität. Da blitzen Elemente von Hiphop, südosteuropäischer und türkischer Melodik sowie dominikanischem Merengue und kolumbianischer Cumbia auf. Ein mitreißendes Statement für kulturelle Vielfalt. Respekt und Toleranz und gegen Ausgrenzung und Antisemitismus. Peter Rixen
CD, Vetnasj/Edel
Brigade Futur III: Ein bisschen Zeit haben wir ja noch
Der Jazz, man hat es fast vergessen, war mal durchaus eine revolutionäre Musik – damals. Weil Harmonien zerstört und Melodien neu erfunden wurden. Heute muss man aber auf die musikalische Ebene schon noch was draufpacken, so wie die Brigade Futur III. Das Quartett aus Berlin spielt einen altehrwürdigen Big-Band-Sound in der Tradition von Duke Ellington oder Count Basie, der zwar mit HipHop- und Techno-Elementen modernisiert wird, aber seine gesellschaftliche Brisanz endgültig erst auf der textlichen Ebene gewinnt. Sie samplen die Umweltschutz-Ikone Hermann Scheer, brechen eine Lanze für Demokratie und Europa, beziehen sich auf Hanns Dieter Hüsch, kommentieren KI und Klimawandel oder beschäftigen sich mit dem Phänomen Hikikomori, japanischen Jugendlichen, die ihr Zimmer nicht mehr verlassen wollen. Ein gewagtes Konstrukt, das aber erstaunlich gut funktioniert, weil die Vier von der Brigade und die sie unterstützende Leipziger Spielvereinigung Sued hervorragende Jazz-Musiker sind, die einen daran erinnern, wie aufregend Jazz sein kann – mit und ohne Text. Thomas Winkler
CD, WhyPlayJazz
Christin Nichols: Rette sich, wer kann
Am Ende dann doch noch versöhnlichere Aussichten. „Gib mir deine Hand, ich bring dich raus hier“, verspricht Christin Nichols im letzten Song, „raus aus dieser Nacht, vertrau‘ mir.“ Wird Zeit, dass wieder Tag wird, denn zuvor hat die Berlinerin, die auch noch als Schauspielerin ihr Geld verdient, auf ihrem zweiten Solo-Album Rette sich, wer kann einen Parforceritt durch den aktuellen Zustand der Gesellschaft hingelegt. Bodyshaming, Konsum- oder Jugendwahn, Frust im Regionalexpress und digitale Überforderung, die AfD, Richard David Precht und andere alte weiße Männer: Das alles und noch viel mehr steckt hier drin. Doch während Nichols früher als eine Hälfte des Electro-Punk-Duos Prada Meinhoff solche Themen mit provokativem Slogan-Geboller diskursreif schoss, verschränkt sie nun das Private ganz mühelos mit dem Politischen und einer feministischen Perspektive, während sie noch den ein oder anderen Mitsing-Refrain aus dem Ärmel schüttelt: „Alle haben Angst, keiner weiß, wie’s geht“, singt Christin Nichols, aber sie weiß wenigstens, wie man politisches Bewusstsein in einen Poprock-Hit gießt. Thomas Winkler
CD, My Own Party/Membran