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Foto: Sascha Steinach/imago

Es scheint, als hätte nur der eine berühmte Tropfen gefehlt. In einer Potsdamer Villa findet Ende November 2023 ein geheimes Treffen von Rechtsextremisten, auch aus höchsten Ebenen der AfD, statt. Ein Reportage-Team des Recherche-Netzwerks Correctiv ist vor Ort, schneidet die Gespräche mit und veröffentlicht Mitte Januar 2024 die Deportationspläne, die die Anwesenden in der Villa schmiedeten. Laut diesen sollen Millionen hierzulande Lebende mit Migrationshintergrund, selbst wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, abgeschoben werden können. Tatsächlich spricht die AfD in ihrem Grundsatzprogramm seit Jahren von der sogenannten "Remigration". Doch in welchem Ausmaß sie sich die Zwangsausweisung von Menschen vorstellt, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Seither stimmt die Republik nicht an der Wahlurne, sondern mit den Füßen ab. Mit bundesweiten Demonstrationen im Norden und Süden, im Westen und vor allem auch im Osten, dort, wo die AfD aktuell in den Umfragen vielerorts an der Spitze der Parteienlandschaft steht. Millionen Menschen brechen ihr Schweigen, gehen auf die Straße für eine vielfältige, bunte Gesellschaft. Die meisten Demonstrierenden fordern ein Verbot der AfD. Doch selbst wenn ein Verbotsverfahren angestoßen werden sollte, für die anstehende Europawahl im Juni und die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst dieses Jahres käme es zu spät. Und: Die Anhänger der AfD wären auch nach einem Verbot immer noch da.

Die Streichpartei

Die Demonstrationen und die Forderung nach einem AfD-Verbot sind deshalb nicht verkehrt. Ganz im Gegenteil: Überall bekennen Menschen gerade Farbe, zeigen Gesicht und eröffnen den Raum für die Auseinandersetzung mit denjenigen, die die AfD wählen oder wählen wollen. Sehr vielen AfD-Wähler*innen dürfte nicht bewusst sein, dass sie mit ihrer Wahl nichts gewonnen hätten. Nichts würde für sie besser werden. Einiges eher schlechter. Wie etwa für den Bauern mit AfD-Käppi unlängst auf einer Bauerndemo in Cottbus. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, SPD, empfahl ihm, ins Wahlprogramm der AfD zu blicken. Dort könne er nachlesen, dass seine favorisierte Partei Subventionen generell ablehne, ihm also mit ihr noch mehr gestrichen werden würde als nur der Zuschuss zum Agrardiesel.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im August letzten Jahres eine Studie vorgelegt mit dem Titel: "Das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen". Die Partei steht nämlich für eine extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dazu zählen Steuersenkungen, von denen nur die ohnehin Gutverdienenden und Reichen profitieren würden. Hingegen massiv streichen will die AfD bei Sozialleistungen. 2021 bereits sprach sie sich gegen die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro aus, von dem tatsächlich in den AfD-Hochburgen überdurchschnittlich viele Menschen profitieren.

So auch im Saale-Orla-Kreis im Südosten Thüringens. Dort setzte sich am letzten Januarwochenende in der Stichwahl zum Landrat mit einer knappen Mehrheit der CDU-Kandidat Christian Herrgott gegen den AfD-Mann Uwe Thrum durch und verhinderte so die Übernahme eines zweiten Landratsamts durch die AfD in Thüringen. Nach Angaben des DGB Hessen-Thüringen arbeiten im Saale-Orla-Kreis rund 40 Prozent der Beschäftigten im Mindestlohnsektor, laut Statistik der Landesarbeitsagentur zählte der Kreis 2022 mit knapp 30.000 Euro Jahresbrutto deutschlandweit zu den zehn Landkreisen mit den niedrigsten Einkommen pro Arbeitnehmer*in.

Oftmals sind diese Menschen im Mindestlohnsektor auf zusätzliches Bürgergeld angewiesen. Das will die AfD kürzen und auf sechs Monate begrenzen. Auch die Rechte von Mieter*innen will sie beschränken, obwohl gerade Menschen mit geringen Einkommen Schutz vor steigenden Mieten brauchen. Aber auch hier gibt sich die vermeintliche Partei des kleinen Mannes absolut neoliberal: Der Markt soll's regeln.

Dass diesem Markt akut hunderttausende Fachkräfte fehlen und sich diese nicht im Land befinden, sondern nur durch Zuwanderung zu bekommen sind, darauf hat die AfD keine ernstzunehmende Antwort. Mehr deutsche Kinder von deutschen Müttern und deutschen Vätern und die "Reportation" von ausgewanderten Deutschen sind nichts weiter als rechte Hirngespinste. Die Deportationspläne der AfD hingegen würden Deutschlands Wirtschaft ebenso schwächen und schädigen wie ein "Dexit", dem Ausstieg Deutschlands aus der Europäischen Union, mit dem die AfD-Vorsitzende Alice Weidel aktuell hausieren geht.

Gegen all diese rechten Umtriebe geht jetzt eine Mehrheit auf die Straßen. In einem Aufruf zu den Demonstrationen, die zeigen, welchen Rückhalt unsere Demokratie hat, sagt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke: "Es ist klar geworden, dass die AfD eine klar anti-demokratische Partei ist. Wir müssen die Demokratie verteidigen. Jeder Betrieb ist ein Ort, wo Demokratie gelebt werden muss. Das ist der beste Weg, um den Rechten Einhalt zu gebieten." Sie sind unter uns – wir müssen mit ihnen reden.

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