Ausgabe 02/2024
Ständig über die eigenen Grenzen
Unter dem Motto „Es donnert in den Kitas“ werden bundesweit Mahnwachen organisiert, um auf die prekäre Situation im Sozial- und Erziehungsdienst aufmerksam zu machen. In Leipzig beteiligt sich Kollege David Roumiantsev an der Organisation. Er macht berufsbegleitend eine Ausbildung zum Erzieher und arbeitet seit 3,5 Jahren in einer Leipziger Kita. David hat klare Vorstellungen, was passieren muss, um die Missstände in den Kindertagesstätten zu überwinden. Seine Erfahrungen und die Schwachstellen im Betreuungssystem hat er aufgeschrieben:
„Das Wohl der Kinder ist bedroht und damit auch die Grundlage aller weiteren Bildungs- und Entwicklungsprozesse. Erst kürzlich habe ich mit drei anderen Kolleg*innen sechs Kita-Gruppen betreuen müssen. So ist es unmöglich, individuell und situativ auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Von frühkindlicher Bildung kann keine Rede sein! Der Personalmangel verhindert die unzähligen mittelbaren pädagogischen Aufgaben: Dokumentation, Planung, Vor- und Nachbereitungszeit, Teambesprechungen, Anleitungsgespräche der Azubis, Elterngespräche und Fallberatungen werden systematisch vernachlässigt, da sie die Kapazitäten sprengen.
Ich bin nicht länger bereit, dabei zuzuschauen, wie wir Kindern in institutionell geförderter Kindeswohlgefährdung einen guten Start ins Leben verbauen. Im Vergleich erkranken am häufigsten pädagogische Fachkräfte an depressiven und Burnout-Erkrankungen. Wer sich entscheidet, in einer Kita zu arbeiten, muss in Kauf nehmen, täglich über die eigenen physischen und psychischen Belastungsgrenzen hinauszugehen. Die Freizeit nach Feierabend und am Wochenende reicht oft nicht aus, um sich genügend zu erholen.
Doch das Schlimmste ist, dass die Freude an den Kindern verloren geht. Oft sind Kolleg*innen erleichtert, wenn Kinder zuhause bleiben. Ich frage mich, was für ein Selbst- und Weltbild Kinder entwickeln sollen, wenn alle Erwachsenen um sie herum immer gestresst sind.
Deshalb fordere ich alle pädagogischen Fachkräfte auf, zuhause zu bleiben, wenn ihr erschöpft oder krank seid. Es muss ein Ende haben, dass wir auf Kosten unserer Gesundheit und Lebensfreude den Mangel ausgleichen, den die Politik zu verantworten hat.
Ich fordere die Eltern auf, die Notlage in den Kitas ihren Arbeitgeber*innen zu melden, wenn mal wieder Kitas ihre Öffnungszeiten verkürzen und die Kinder selbst betreut werden müssen.
Ich fordere den sächsischen Kultusminister Piwarz auf, Verantwortung für die über 300.000 Kinder in Sachsens Kitas zu übernehmen. Personalmangel in frühkindlichen Bildungseinrichtungen bedeutet nicht nur verpasste Chancen, sondern wirkt sich negativ auf die Entwicklung aller Kinder aus. Ich fordere eine Anpassung an die wissenschaftlich empfohlenen Personalschlüssel in Kitas.
Werdet aktiv! Schließt euch unserem Protest an! Geht mit euren Angehörigen, Freunden, Kollegen ins Gespräch und tragt die verheerende Lage in den Kitas unter die Menschen.“