Der Studientitel verweist schon auf das Grundproblem: "Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft" heißt die aktuelle Arbeitsberichterstattung, die der ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit gemeinsam mit dem Referat Arbeits- und Gesundheitsschutz herausgegeben hat. Viel zu selten würden die Ursachen für hohe körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz systematisch im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung erfasst. Ohne die fehle die Basis für einen wirksamen Gesundheitsschutz, betonen die Autor*innen, die sich in ihrer Studie auf Daten des DGB-Index Gute Arbeit 2023 beziehen.

Manfred Wirsch bestätigt den Eindruck. Er ist Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Groß- und Außenhandel und Vorstandsvorsitzender der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und kennt sich in der Branche gut aus. "In rund der Hälfte der Betriebe findet gar keine Gefährdungsbeurteilung statt", sagt er. Aber auch dort, wo die Verfahren stattfinden, würden Fehler gemacht. Nicht zuletzt mangele es oft daran, bei der Gefährdungsbeurteilung aufgedeckte Gesundheitsgefahren abzustellen. "Sinnvoll wäre es, die Mitbestimmungsgremien stärker an den Verfahren zu beteiligen", betont Wirsch.

Wenn Betriebsräte eng mit den zuständigen Berufsgenossenschaften zusammenarbeiteten, könnte der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz besser funktionieren. Auch in der Studie wird betont, dass es wichtig ist, die Beschäftigten nicht nur zu Mängeln zu befragen, sondern sie in die Beseitigung der Missstände einzubeziehen.

Beispiel 1: Stadtwerke Wolfenbüttel

Als vorbildlich kann das Vorgehen der Stadtwerke Wolfenbüttel gelten. Dort ergab eine Beschäftigtenbefragung 2022 nach den Vorgaben des DGB-Index Gute Arbeit zunächst eine große Unzufriedenheit beim Gesundheitsschutz, woraufhin der Betriebsrat gemeinsam mit der Geschäftsleitung die anstehende Gefährdungsbeurteilung mit der Index-Befragung verknüpfte. Ab Herbst 2023 starteten die innerbetriebliche Auswertung und Workshops bei den Stadtwerken Wolfenbüttel. Die Beschäftigten brachten ihre Vorschläge für betriebliche Veränderungen ein. "Insgesamt kamen 42 Maßnahmen zusammen. Von diesen sind 37 inzwischen erledigt, die übrigen in der Bearbeitung oder verschoben", erläutert der Betriebsratsvorsitzende Timo Polk.

Viele Vorschläge aus der Belegschaft seien mittlerweile im Arbeitsalltag umgesetzt. Dazu gehören kleine Veränderungen, wie Schilder an ehemaligen Durchgangbüros mit der Bitte außenherum zu gehen. Dazu gehört aber auch die zusätzliche Stelle einer Abteilungsleitung, um die Meister zu entlasten. Sie hätten vorher zu viel Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben verbracht und konnten sich zu wenig um die Monteure auf den Baustellen kümmern, erläutert Polk.

Für besonders wichtig hält Polk das Vorgehen bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung. "Nach der vorangegangenen Befragung 2017 hatte niemand überprüft, ob die Probleme richtig verstanden wurden und die ergriffenen Maßnahmen gewirkt haben." Nun hätten alle dazugelernt. Die Beschäftigten werden nun weiter regelmäßig per Rundmail an die umgesetzten Maßnahmen erinnert. "Sie können online darüber abstimmen, ob sie sie für geeignet halten oder eher nicht", sagt Polk. Zwar könne die Beteiligung an den Befragungen noch besser werden, findet er, aber der Ansatz größtmöglicher Transparenz bei dem Verfahren sei eine deutliche Verbesserung. Klar sei auch, Beschäftigte können mit einem Problem beim Arbeits- und Gesundheitsschutz jederzeit auf den Betriebsrat zugehen. Ende Juni soll bei einer Betriebsversammlung das bisher Erreichte bewertet und geprüft werden, was noch zu tun sei.

Beispiel 2: Berliner Verkehrsbetriebe

Gefährdungsbeurteilungen gehören auch bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) zu den bewährten Verfahren, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz kontinuierlich zu verbessern. Hier existiert eine Dienstvereinbarung zum Thema. Doch bei dem Großbetrieb mit rund 15.830 Beschäftigten, von denen viele als Fahrer*innen per U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen tagtäglich die Kundschaft durch die Metropole befördern, gibt es im Alltag Probleme, die sich mit Gefährdungsbeurteilungen allein nicht vollständig lösen lassen.

"Der Arbeitgeber tut, was er kann", findet Personalratsmitglied Harry Scholz. Doch die Rahmenbedingungen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) seien in Berlin angesichts vieler Straßenbaustellen, des Gesamtverkehrs und politischer Fehlentscheidungen nicht einfach. "Mit Gefährdungsbeurteilungen lassen sich diese Dinge kaum regeln", sagt Scholz. Busfahrer*innen hätten zudem harte Arbeitsbedingungen, denn sie müssten im Schichtdienst mit unregelmäßigen Arbeitszeiten zurechtkommen, trügen Verantwortung für die Sicherheit der Fahrgäste und hätten auch noch regelmäßig mit dem Thema Gewalt zu tun. Hier sei das Instrument der Gefährdungsbeurteilung sehr hilfreich.

Wichtig sei aber auch die Einigung in der Manteltarifrunde für den ÖPNV gewesen, die nun unter anderem längere Wendezeiten für die BVG-Busfahrer*innen vorsieht. Das bedeutet für diese Berufsgruppe eine echte Entlastung.

innovation-gute-arbeit.verdi.de/ themen