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April 2024: Protest von belarussischen Exil-Gewerkschafter*innen vorm Brandenburger Tor in BerlinFoto: Christian Jungeblodt

Belarus steht wegen der fortwährenden Verletzung grundlegender Menschenrechte im Rampenlicht, insbesondere auch durch die Einschränkung der Vereinigungsfreiheit von Beschäftigten. Dies hat dem Land einen Platz unter den zehn schlimmsten Ländern für Arbeitnehmer*innen eingebracht und viele Gewerkschafter*innen ins Exil gezwungen.

Allein – nachdem Alexander Yaroshuk, Präsident des belarussischen Congress of Democratic Trade Unions, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im ­Februar 2022 den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und Belarus gefordert hatte – wurden über 30 Gewerkschafter*innen inhaftiert. Viele von ihnen sitzen noch immer in Gefängnissen und Strafkolonien ein, auf Grundlage konstruierter Anschuldigungen wegen Hochverrats und Verleumdung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

„Ich blieb standhaft”

Leanid Sudalenka, Menschenrechtsverteidiger und Gewerkschaftsjurist, hat als politischer Gefangener die harten Bedingungen der Haft erlebt: „Ich wurde von Angehörigen der OMON [Spezialeinheit der Miliz] in Sturmmasken als besonders gefährlicher Täter festgenommen. Vor dem Hauseingang, auf dem Weg zur ­Arbeit, mit dem Gesicht in den Staub gedrückt. Zuerst wurde ich in eine Zelle für vorübergehenden Gewahrsam gebracht, wo ich dann für zwei Monate vergessen wurde. Danach schlug man mir verschiedene Szenarien vor. Sie regten eine vernünftige Zusammenarbeit im Gegenzug für meine Freiheit an, für eine Videoaufnahme mit Anschuldigungen gegen meine Kolleg*innen von der Menschenrechtsarbeit. Ich blieb standhaft.”

Jeder Anschein von Opposition werde als Extremismus, ja sogar als Terrorismus gebrandmarkt, erklärt Lizaveta Merlak, Vorsitzende der Vereinigung Salidarnast. Erst vor zwei Monaten, im März, hat das Zentrale Bezirksgericht in Minsk sowohl die Organisation als auch sämtliche ­Materialien und Logos als „extremistische Materialien" eingestuft – eine langjährige Praxis der belarussischen Polizei und der Sicherheitsbehörden.

Lizaveta selbst ist nicht nur eine belarussische Gewerkschafterin und politisch Vertriebene, sondern wird vom Regime wie viele andere als Extremistin diffamiert. „44 unserer Genossinnen und Genossen sitzen deshalb in Gefängnissen und Strafkolonien, zu bis zu 15 Jahren Haft verurteilt. Unter ihnen sind Pädagog*innen, Ärzte, Studierende sowie Bergleute und Ingenieure. Frauen wie Männer. Junge und Alte.”

Unabhängige Gewerkschaften werden von der autoritär geführten ehemaligen Sowjetrepublik als Bedrohung wahrgenommen. In Belarus, wo der Staat der Hauptarbeitgeber ist, basiert das System bewusst auf der Verletzung der Arbeitnehmerrechte. Instrumente wie Präsidialdekrete, staatlich kontrollierte Ministerien und staatliche Gewerkschaften zementieren diese Struktur. Die meisten Arbeitsverträge sind lediglich auf ein Jahr befristet, wodurch die Arbeitnehmer*innen stark von der Regierung abhängig werden und kaum Möglichkeiten haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren und zu schützen.

Der Auftrag von Salidarnast geht über die Befreiung der Genoss*innen hinaus, sagt Lizaveta: „Wir verbreiten Informationen, sammeln Spenden, unterstützen die Familien unserer Genossinnen und Genossen, fördern die Vernetzung von Gewerkschaftsaktivisten und stellen Bildungsmaterialien zur Verfügung.”

Mariya Taradezkaya, eine weitere belarussische Gewerkschafterin im Exil, berichtet über bedeutende Fortschritte im letzten Jahr. Mit italienischen Gewerkschaftsverbänden, Vertretern des italienischen Senats und Arbeitgebern konnten sie über die Situation in Belarus beraten. Auch darüber, wie Italien eine Resolution durchsetzen könnte, die sich an die Empfehlungen der Internationalen Arbeitskonferenz hält, um den Druck auf die belarussische Regierung zu erhöhen, damit sie die Vereinigungsfreiheit wiederherstellt. Die Resolution wird nun von der italienischen Regierung und den Gewerkschaften unterstützt.

Der lange Arm des Regimes

„Libereco, eine Menschenrechtsorganisation, hat entschieden dazu beigetragen, unsere politischen Gefangenen mit sympathisierenden Parlamentariern im Ausland in Kontakt zu bringen, was wichtig ist, um das internationale Bewusstsein für ihre Lage zu schärfen”, sagt Mariya.

Dies sei angesichts der bedrückenden Lage der Pressefreiheit in Belarus dringend erforderlich. Die harte Hand des Regimes hat jede abweichende Stimme im Land zum Schweigen gebracht. Folglich kommen die einzigen freien Berichte über die Situation in Belarus aus dem Ausland. Belarussische Journalist*innen, sogar die im Exil, zensieren sich oft selbst, um sich und ihre Familien in der Heimat nicht zu gefährden.

Leider sei auch von der Jugend kaum Widerstand zu erwarten. Die Regierung hat Gesetze erlassen, die junge Menschen davon abhalten sollen, Chancen im Ausland zu suchen, wie etwa das Verbot von Werbung für ausländische Universitäten. Wer eine kostenlose Aus­bildung erhält, geht damit bestimmte Verpflichtungen gegenüber dem Staat ein. „Das Regime schafft eine sozioökonomische Falle, um junge Menschen in Belarus zu halten”, sagt Mariya.

Salidarnasts unermüdliche Arbeit ist dennoch auch einer Zukunft nach Lukaschenko gewidmet. Trotz der ungewissen Aussichten, wie Maksim Pazniakou, Vorstandsvorsitzender von Salidarnast erklärt, besteht die Befürchtung, dass das Lukaschenko-Regime durch eine unkontrollierte Form des Neoliberalismus abgelöst wird. „Als Gewerkschaften liegt unser Hauptaugenmerk auf dem Schutz der Arbeitnehmerrechte und der Verhinderung einer überstürzten Privatisierung, welche sich als schädlich für die gesamte Gesellschaft erweisen könnte.”