ver.di-Nord hatte 2023 das bislang erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte und hat dabei Tarifgeschichte geschrieben. Viele Tarifrunden waren eine besondere Herausforderung und konnten erst nach langen, ungewöhnlich harten Arbeitskämpfen erfolgreich beendet werden. Im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wurde ein Manteltarifabschluss erreicht, der bundesweite Beachtung findet. Es ist der erste Tarifvertrag im kommunalen Bereich, der faktisch eine 37,5-Stundenwoche durchsetzt und Vorbild für kommende Tarifrunden sein kann.

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Busfahrer*innen-Streik in KielFoto: ver.di

„Jede Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen muss hart erkämpft werden, freiwillig kommt da nichts mehr. Die extremen Preissteigerungen der letzten zwei Jahre mussten in den Tarifrunden aufgefangen werden. Das ist in den Verhandlungen, unterstützt von Streiks, erreicht worden. Wir gehen davon aus, dass die Situationen in allen Branchen so bleiben werden und wir uns auf härtere Auseinandersetzungen einstellen müssen. Auf Beschäftigte, Betroffene und auch unsere Organisation kommen weiter besondere Herausforderungen zu“, analysiert Diana Markiwitz, stell­vertretende Landesbezirksleiterin, die Situation.

Deutlich sichtbar ist: Gewerkschaften sind und bleiben ein Erfolgsmodell, wenn es um die Durchsetzung von Interessen geht. Das zeigt sich an den Ergebnissen der Arbeit bei ver.di im Norden und auch daran, dass das Jahr 2023 für ver.di Nord als bislang erfolgreichstes Jahr der ver.di Geschichte abgeschlossen wurde. Das deutliche Mitgliederplus stärkt ver.di als Organisation.

„In einem Flächenlandesbezirk wie bei uns im Norden, der von der Grenze zu Dänemark bis Polen reicht, unterliegen wir extremen Bedingungen in allen Bezirken und Fachbereichen. Für das, was wir im letzten Jahr mit dem starken Einsatz im Ehrenamt wie im Hauptamt, erreicht haben, gilt allen Kolleg*innen Respekt, Dank und Anerkennung“, so Markiwitz

Verbesserungen durchgesetzt

Busfahrer*innen – Die Durchsetzung der 37,5-Stundenwoche im kommunalen Bereich der Busunternehmen in Schleswig-Holstein ist ein Meilenstein für den ÖPNV. Das war eine Tarifrunde, die Zeichen gesetzt hat und allen Beteiligten einiges abverlangt hat. In einer Tarif­runde, die von zahlreichen Streiks mit einem extrem hohen Organisationsgrad und vielen Standorten geprägt war, hat ver.di einen Kompromiss erzielt, der bundesweit als Meilenstein angesehen werden darf.

Die zentralen Forderungen der Mantel­tarifrunde konzentrierten sich vor allem auf die Schaffung von Entlastungsmöglichkeiten für die Beschäftigten. Am Ende konnte ver.di ihre gewerkschaftliche Macht nutzen und erhebliche Verbesserungen erkämpfen. Dazu gehören weiterhin Erhöhungen der Urlaubsansprüche, Verlängerungen der Ruhezeiten und Verkürzungen der Schichtlänge.

Für angemessene Bezahlung

All4Labels – Mit Streiks an den Standorten Witzhave, Trittau und Gallin wollen die Beschäftigten bei dem Verpackungsmittelhersteller All4Labels einen Haustarifvertrag durchsetzen. Kernforderung ist eine branchenübliche Bezahlung, die über eine Anerkennung der Regelungen aus den Flächentarifverträgen der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie erreicht werden soll.

Am 20. Februar unterbreitete der Arbeit­geber einen ersten Vorschlag, der aber alle Angestellten ausklammert. „Wir sollen unseren Tarifvertrag selbst bezahlen“, macht ein Streikender seinem Ärger Luft, „obwohl eine sofortige Angleichung wirtschaftlich darstellbar ­wäre.“

Durch die Streiks konnten die Verhandlungen für alle Beschäftigten fortgesetzten werden. Ein erster Erfolg!

Endlich durchgesetzt

Helios Leetzen – Nach drei Streiktagen, mehr als zehn Verhandlungsrunden und vielen Sitzungen der Tarifkommission kam es im Oktober 2023 endlich zu einer Einigung. Die Beschäftigten der Helios Klinik in Leezen am Schweriner See erhalten rückwirkend zum 1. Juli 2023 einen Tarifvertrag. Bislang bestand für die Kolleg*innen kein Tarifvertrag, insbesondere therapeutische Tätigkeiten wurden weit unterhalb des Helios-Konzerntarifvertrags (KTV) bezahlt.

Die Streikbewegung konnte die schrittweile Anwendung des Helios-Tarif­vertrags und eine faire Überleitung der Beschäftigten durchsetzen. Zunächst gelten die Regelungen des Konzerntarifvertrags bis Ende 2025, danach steht das Ziel der kompletten Übernahme in den Helios-KTV an.

Arbeitgeber mauern – Beschäftigte streiken

Handel – Am  30. April 2024 wurden die Tarifverhandlungen für den Groß- und Außenhandel im Norden (Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein) nach mehrmonatiger Unterbrechung in Lübeck wieder aufgenommen. Der letzte Verhandlungstermin war der 7. November 2023. Das letzte Angebot der Arbeitgeber in Höhe von 8 Prozent bei einer Laufzeit von 24 Monaten war nicht ausreichend und nicht einigungsfähig, da es für die Beschäftigten herbe Reallohnverluste bedeuten würde.

Die Tarifkommissionen gingen durch intensive Streiks mit starkem Rückenwind in die Verhandlungen. Die seit über einem Jahr andauernde Streikbewegung lief Ende April noch einmal mit einer eine starke Streikwelle durch den Norden. Bereits am Donnerstag, den 25. April kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen und Streikversammlungen vor den IKEA-Häusern in Rostock, Lübeck und Kiel. Am Freitag, den 26. April trafen sich dann 250 Kolleginnen und Kollegen zu einer Streikdemo- und -kundgebung in Lübeck. Die Streiks wurden bis zum 30. April fortgesetzt.

Bei den ersten Verhandlungen nach fast einem halben Jahr gab es dennoch keine Bewegung auf der Arbeitgeberseite, während ver.di mehrere Einigungsvorschläge unterbreitete. „Es ist schlimm, dass die Arbeitgeber öffentlich behaupten, wir wären nicht kompromissbereit. Das Gegenteil ist der Fall“, zeigt sich ver.di-Verhandlungsführer Bert Stach erschüttert. Die Beschäftigten im Norden sind weiter bereit, mit unglaublicher Ausdauer für einen angemessenen Tarifabschluss zu streiken.

Die Gewerkschaft ver.di fordert für die Beschäftigten in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 13 Prozent; die Entgelterhöhung soll für alle Beschäftigten mindestens 400 Euro betragen. Für die Auszubildenden fordert ver.di eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 250 Euro. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll 12 Monate betragen.

Über 70.000 Beschäftigte arbeiten in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im Groß- und Außenhandel. Das häufigste Entgelt liegt bei 2.251 Euro für Mecklenburg-Vorpommern und 2.303 Euro für Schleswig-Holstein. Die letzte tarifliche Lohn- und Gehaltserhöhung im April 2022 betrug 1,7 Prozent.