Ausgabe 03/2024
Weg vom Nasenprinzip
Auf Kampnagel ist die Theaterwelt international und das Programm äußerst vielfältig. Die ehemaligen Hallen des 1865 gegründeten Eisenwerkes Nagel & Kaemp gehören längst zu den ersten Kulturadressen der Stadt. Als Anfang der 80er des vergangenen Jahrhunderts die Produktionsanlagen endgültig stillstehen, beginnt der Kulturbetrieb 1982 mit der ersten Nutzung durch das Schauspielhaus während einer Sanierung des Stammhauses. Bald sind es vor allem freie Theatergruppen, die die großartigen Möglichkeiten des Geländes nutzen und Kampnagel zur exzellenten Hamburger Theateradresse machen. Doch wo die freie Kunst blüht, sind die Arbeits- und Tarifbedingungen oft schwierig, die Bezahlung mies und die Aussicht auf eine gute Altersversorgung in der Regel dürftig.
Das ändert sich bei Kampnagel nur sehr langsam, 2018 dann endgültig. Als die Barmbeker Kulturhallen sich längst eine treue Stammkundschaft erspielt haben und die Stadt kurz davorsteht, das Theater ganz in städtischen Besitz zu übernehmen, setzen die Beschäftigten bei Kampnagel ihren ersten Tarifvertrag durch – einen Haustarifvertrag, nach über drei Jahrzehnten ohne Tarifregeln.
„Heute ist alles besser geregelt als vor unserem Haustarif“, sagt Jonas Rüggeberg. Der Betriebsrat hatte selbst 13 Jahre selbständig für die Kulturfabrik gearbeitet. Seit 2015 ist er fest angestellt und hat sich dann bald für den Tarifvertrag stark gemacht. „Heute ist die Bezahlung einigermaßen gut, vor allem die Meister und Auszubildenden haben einen großen Sprung gemacht“, sagt der 44-Jährige.
Tarifverträge kosten viel Engagement und Durchhaltevermögen der Belegschaft. Und wenn sie erst mal da sind, ist der längste Weg noch nicht gegangen. „Mit der Unterschrift unter den Tarifvertrag ging der ganze Reigen erst richtig los“, erinnert sich Jonas Rüggeberg. „Jetzt ging es darum, die Altverträge durchzugehen und endlich Lohngerechtigkeit herzustellen.“
Bis dahin galt bei Kampnagel das sogenannte Nasenprinzip. Da es keinen transparenten, für alle gültigen kollektiven Tarifvertrag gab, verhandelte jeder sein Gehalt selbst. Und je nach dem, wie dem Chef oder der Chefin die Nase des Beschäftigten gefiel, gab es mehr oder eben auch mal weniger.
Heute profitieren nicht nur die Techniker*innen, sondern auch die Einlasskräfte, das Reinigungspersonal, Bühnenmeister und Bühneninspektoren von dem Haustarif und den vereinbarten prozentualen Entgelterhöhungen analog dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Die künstlerisch Beschäftigten haben eine andere Vergütung. „In der jetzt anstehenden Tarifrunde wollen wir bessere Zulagen und Nachtzuschläge verhandeln, die Altersvorsorge verbessern und mehr Entgelt durchsetzen“, sagt Betriebsrat Rüggeberg.
Kampnagel hat sich also nicht nur künstlerisch etabliert – in Sachen Arbeitsbedingungen und Fairness spielt das Theater inzwischen auch in einer anderen Liga. Für viele Privattheater gilt das indes nicht. „Für die Musicals der Stadt haben wir schon Anfang der Neunziger einen bundesweiten ver.di-Tarifvertrag durchsetzen können“, sagt die zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin Lara Drobig. „An vielen Privatbühnen in Hamburg verdienen die Kolleg*innen aber leider oft nur Mindestlohn. Das würden wir gern ändern und ver.di damit noch mehr zur Kulturgewerkschaft in Hamburg machen.“
Gleiche Arbeit, ungleiche Tarifierung
Ein anderes Beispiel. Für die Schulen südlich der Elbe sind die Hausmeister der Schulservice Hamburg GmbH (SSH) tätig – für die nördlich der Elbe der Landesbetrieb Schulbau Hamburg (SBH). Die einen machen Hausmeistertätigkeiten für Hamburger Schulen und die andern machen auch Hausmeistertätigkeiten für Hamburger Schulen. Aber bezahlt werden sie nach zwei unterschiedlichen Tarifverträgen.
Die einen (die im Süden) haben einen Haustarifvertrag und werden besser grundentlohnt, die anderen (nördlich der Elbe) bekommen den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TdL) und erhalten eine bessere Betriebsrente. Beide gehören aber irgendwie auch zum gleichen Laden: zum Bildungsbau Hamburg. Wo der Sinn dieses Wirrwarrs liegt? Wohl eher im betriebswirtschaftlichen – die im Süden gehören nämlich auch noch zur Gebäudemanagement Hamburg GmbH.
Das vor 30 Jahren mit 14 Mitarbeitern gegründete und heute 160 Beschäftigte zählende Unternehmen kann als ausgelagerte GmbH außerhalb des Hamburger Haushaltes eigenständig Kredite aufnehmen und dadurch wachsen. In Zeiten des Facharbeitermangels wie jetzt hat die ausgelagerte Struktur für die Beschäftigten durchaus ihren Vorteil – sie können außerhalb des TdL selbstbewusst eigene Forderungen stellen. „Wir wollen 10,5 Prozent mehr Geld und fordern die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich“, sagt Stefan Zamponi, Betriebsrat bei der SSH, selbstbewusst. Und Stefan Gostomczyk, Betriebsrat bei der Gebäudemanagement GmbH, ergänzt: „Wir wollen einen kräftigen Schluck aus der Pulle und genauso viele Gehaltsstufen wie beim Landesbetrieb Schulbau.“
Druck auf dem Kessel bei Lotto
Bei einem weiteren Betrieb der Hansestadt, der LOTTO Hamburg, freut sich der Finanzsenator jedes Jahr über sprudelnde Gewinne. „LOTTO Hamburg liefert jährlich 60 Millionen Euro an die Stadt ab. Das sind pro Mitarbeiter über 600.000 Euro“, sagt Betriebsrat Detlef Uhl, der seit 23 Jahren als Revisor bei
LOTTO Hamburg arbeitet. Dennoch: Bei LOTTO wird sich die Stadt mit ihren Beschäftigten nicht über einen transparenten Tarifvertrag einig.
Die Nasenpolitik lässt grüßen: „Wir haben bei einem Drittel der Beschäftigten individuelle Zulagen, das macht bis zu 1.000 Euro Unterschied im Monat“, sagt Detlef Uhl. Der Grund ist die freihändige Auslegung des Tarifvertrages öffentliche Banken, der nur angelehnt, aber eben kein echter Branchentarifvertrag ist. „Und neue Beschäftigte ködert die Stadt wegen des Fachkräftemangels mit besserer Entlohnung. Das macht die Stammbelegschaft natürlich sauer, weil sie das als ungerecht empfindet“, sagt Detlef Uhl. Inzwischen sei ordentlich Druck auf dem Kessel bei LOTTO.
Seit 2013 versucht die Stadt zudem, die LOTTO-Beschäftigten in den Tarifvertrag öffentlicher Dienst zu locken. Da der aber deutlich schlechter wäre als der Tarifvertrag öffentliche Banken, wehren sich die Beschäftigten schon genauso lange dagegen.
Es ist also, zumindest in Teilen, ein Wirrwarr in den Tarifverträgen der Stadt. Gefallen lassen wollen sich die Beschäftigten das nicht mehr. Daher ist in einigen der genannten Unternehmen der ver.di-Mitgliedsantrag bei vorherigen Nicht-Mitgliedern derzeit sehr beliebt.