Ausgabe 04/2024
„Die Mitarbeitenden wissen am besten, was für sie sinnvoll ist“
Wird künstliche Intelligenz (KI) die Arbeitswelt revolutionieren?
Ja. Eine häufig zitierte Studie geht davon aus, dass KI weltweit 300 Millionen Jobäquivalente bewältigen kann. Das heißt nicht, dass Maschinen so viele Arbeitsplätze ersetzen, sondern Berufsbilder werden sich verändern. In Behörden haben Beschäftigte mehr Zeit für die eigentliche Arbeit, weil sie nicht mehr jeden Routineanruf selbst entgegen-nehmen müssen. Trotzdem können Anrufende ihre Frage so stellen, wie sie auch mit einem echten Menschen reden würden, und erhalten kompetente Antworten.
Wie funktioniert das?
Vor etwa sieben Jahren haben Forscher*innen das sogenannte Transformer-Modell entwickelt. Das nutzt elaborierte Algorithmen, um Muster in Internet-Texten und Zusammenhänge zwischen Wörtern zu erfassen. Das Resultat ist die Imitation menschlicher Sprache. Dahinter steckt keine Denkleistung, aber wir nehmen das Ergebnis als sinnhaft wahr und so kann beispielsweise die automatisierte Beratung auf ein neues Niveau gehoben werden. Popularisiert wurden solche Systeme durch Open AI und ChatGPT, die im Herbst 2022 auf den Markt kamen, aber die technische Entwicklung selbst hat eine etwa 50-jährige Geschichte.
Wie weit ist KI im öffentlichen Dienst schon verbreitet und wo stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern?
Grundsätzlich: Verwaltungsprozesse sind oft hochstrukturiert und in den Ausführungsschritten oft eindeutig. In der Hinsicht sind solche Prozesse ein optimales Einsatzfeld für KI. Außerdem gibt es einen hohen Bedarf an schneller und effizienter Verwaltung. Gleichzeitig haben wir es mit Sicherheits- und Datenschutzherausforderungen zu tun, weswegen KI in Deutschland in der Breite noch nicht angekommen ist. In Skandinavien ist man da weiter, weil grundsätzlich eine größere Datenoffenheit vorherrscht. Das muss aber nicht heißen, dass das auch fortschrittlicher ist. Es kommt immer darauf an, dass solche Techniken sinnvoll und sicher sind und auch jedem Einzelfall genügen – also Ausnahmen und Sonderfälle nicht hinten runterfallen. Ganz wichtig ist die Letztentscheidung durch einen Menschen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung aus Sicht der Beschäftigten?
Eine Umfrage unter deutschen Verwaltungsmitarbeiter*innen hat gezeigt, dass sie tendenziell offen sind für KI-Einsatz. Zugleich haben viele relativ klare Vorstellungen, wie KI-Systeme in ihrem Arbeitskontext ausgestaltet werden sollten. Wir aus der soziotechnischen Arbeitswissenschaft sehen das als sehr gutes Zeichen. Früher wurden Techniken häufig von oben top-down eingeführt und die konkreten Arbeitszusammenhänge kaum beachtet. Doch die Mitarbeitenden wissen am besten, was für sie sinnvoll ist und sollten deshalb unbedingt am Prozess beteiligt sein. Ansonsten wird KI-Einsatz nicht gut funktionieren, weil die Beschäftigten sie nicht effektiv anwenden, sie als Konkurrenz oder Überforderung ansehen oder einfach nur als lästig. Im besten Fall wird KI zu einem Werkzeug, das sich die Beschäftigten nach eigenem Bedarf selber bauen können. Hier sehe ich ein großes Potenzial in einem Umfeld von steigenden Anforderungen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel.
Wofür sollten sich Gewerkschaften einsetzen?
Wir brauchen KI-Entwicklungen nach europäischen Standards mit dem Ziel, dass Menschen lange gesund arbeiten können. Aus Gewerkschaftsperspektive ist es positiv, wenn die Beschäftigten mehr
Freiräume bekommen, weil die KI Routinearbeiten übernimmt. So kann die Produktivität steigen, ohne dass die Arbeitsbelastung immer weiter zunimmt. Wir dürfen aber nicht versäumen, niedrig Qualifizierte zu befähigen, auch solche Instrumente zu nutzen und sich an ihrer Weiterentwicklung zu beteiligen. Sonst werden sie zu Verlierern der Entwicklung.
INTERVIEW: Annette Jensen