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Illustration: Linda Wölfel

Ihr Name ist OLGA. Sie ist eine künstliche Intelligenz. Die Richter*innen am Oberlandesgericht Stuttgart sind heilfroh, dass es diese unermüdliche Hilfskollegin seit über einem Jahr gibt. Die Dieselgate-Affäre, bei der die Autoindustrie Abgaswerte manipuliert hat, schwemmte eine riesige Welle von Verfahren ins Haus. Jede der digitalen Akten enthält an die tausend Seiten, die durchzuarbeiten viel Zeit ­kostet.

Für die Urteilsfindung benötigen die ­Jurist*innen im Prinzip lediglich gut ein Dutzend Faktoren wie Fahrzeug- und Motor­typ, Kaufpreis, Abgasnorm oder ob das Fahrzeug von einem Rückruf betroffen war. Diese in den anwaltlichen Schriftsätzen versteckten Informationen gilt es zu finden und herauszuziehen. Genau das übernimmt jetzt das Software-Programm.

„OLGA bildet dann quasi Stapel inhaltlich identischer Fälle“, erläutert Richard Hu vom baden-württembergischen Justizministerium. Wonach sie suchen soll und wie sie das Material ordnet, haben die Richter*innen selbst entschieden. „Die Erfahrungen sind sehr gut: Schon nach sechs Wochen stand ein Prototyp von ­OLGA, mit dem bereits produktiv gearbeitet werden konnte“, sagt Hu. So können die Senate inzwischen an einem Verhandlungstag ein bis zwei Dutzend Prozesse verhandeln. Zur ­weiteren Unterstützung bei ausgewählten Beschlüssen haben die Richter*innen Lücken­texte entworfen, in die das Softwareprogramm die entscheidenden Daten einträgt. Zwar müssen die Richter*innen am Ende noch einmal kontrollieren, ob alles korrekt ist – doch die Arbeitserleichterung ist immens.

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Illustration: Linda Wölfel

Auf diesen Effekt hoffen auch die ­Kolleg*innen am Amtsgericht in Frankfurt/Main, die mit Bergen von Verfahren konfrontiert sind, bei denen Fluggäste Schadensersatz beantragen. Insbesondere seit Reisende die Möglichkeit haben, ihren Rechtsanspruch an spezialisierte Agenturen abzutreten, sind die Fall-­Zahlen hochgeschnellt. „Diese Klagen sind ein extremer Zeit- und auch Zufriedenheitsfresser. Hochqualifizierte Juristen müssen dauernd ­wenig komplexe Verfahren führen“, erklärt Christian Hermann, Referatsleiter im hessischen Justizministerium. Im größtem Gericht des Landes geht Arbeitszeit im Umfang von 38 Vollzeitstellen für diese Prozesse drauf. Gegenwärtig läuft die Ausschreibung für ein KI-System; Anfang kommenden Jahres soll die Entlastungs-Software einsatzfähig sein. Damit solche Werkzeuge für Massenverfahren nicht überall neu entwickelt werden müssen, wollen die Justiz-Ministerien von Bund und Ländern Einkauf, Vertrieb und Anwendungen miteinander abstimmen.

Eine Lösung für vieles

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) bezeichnet die KI-Entwicklungen seit Ende 2022 als „Quantensprung“ und prognostiziert tiefgreifende Veränderungen in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Die Erwartungen beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sind hoch. „Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um die Daseinsvorsorge zu verbessern“, ist Sprecher Alexander Hauk überzeugt. Es gehe darum, den Standort zu stärken, die Lebensqualität zu verbessern sowie Lösungen für Klimawandel und Demografie zu entwickeln. ­Eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Recherche des Städte- und Gemeindebunds ergab, dass zwar bisher nur 8 Prozent der Kommunen KI nutzen, doch die Mehrheit ihren Einsatz anstrebt.

Folglich werden sich über kurz oder lang viele Berufsbilder in der öffentlichen Verwaltung und bei kommunalen Unternehmen verändern. „Den Umschulungs- bzw. Weiterbildungsbedarf gilt es frühzeitig zu erkennen,“ mahnt das Difu. Das sieht ver.di genauso. „Darüber hinaus darf KI keine unkontrollierbare Blackbox sein, bei der oft nicht einmal die Programmierer erklären ­können, wie ein Ergebnis zustande kommt“, fordert Gewerkschaftssekretärin Nadine Müller. Auch der Datenschutz sei zu gewährleisten.

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Illustration: Linda Wölfel

Bisher lässt sich ein bunter Strauß von KI-Pionierprojekten beobachten. In einigen Verwaltungen gib es bereits ChatBots, die in der Lage sind, am Telefon ­Routinefragen zu beantworten. Dabei können nicht nur die Anrufenden in normaler Sprache reden, sondern sie be­kommen auch eine Antwort, die sich menschlich anhört. Dagegen haben die Kund*innen der Stadtwerke Kiel nach wie vor einen echten Menschen an der Strippe. Statt auf gut Glück Dienstleistungen, Rabattaktionen in der Region oder Grünen Strom anzubieten, schlägt die KI den Mitarbeitenden vor, worauf sie im aktuellen Gespräch den Fokus legen sollten. Den leitet das Softwareprogramm aus den Daten ähnlicher Kund*innen ab. So steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Vertragsabschlusses, sondern auch die Befriedigung für die Beschäftigten, glaubt Sönke Schuster von den Kieler Stadtwerken.

Ein ganz anderes Einsatzfeld von KI bezieht sich auf die optimale Nutzung, Wartung und Reinigung von Infrastrukturen. Bei den Stadtwerken in Iserlohn hat Dennis Betzinger zusammen mit einem IT-­Unternehmen ein System für die Fernwärmeversorgung entwickelt. Ziel ist es, möglichst wenig klimaschädliches CO₂ zu produzieren und Gas zu verbrauchen – und zugleich so viel Geld wie möglich am Strommarkt zu verdienen. Dafür kalkuliert die KI, wann das Müllkraftwerk wie viel Hitze liefert und wie das Blockheizkraftwerk gesteuert wird. „Das ­System lernt aus Vergangenheit und Gegenwart und verbessert sich wie ein Schachspieler ständig selbst“, sagt der 36-Jährige. Stolz vermeldet er, dass Iserlohns Stadtwerke seit Einführung der KI nur halb so viel Gas gebraucht hat wie vorher.

In Bad Homburg überwacht eine KI im Auftrag der Stadtwerke das Trinkwassernetz, um Leckagen aufzuspüren und Rohrbrüche zu verhindern. Bisher gingen immerhin 13 Prozent des Wassers durch undichte Stellen im Netz verloren, weil vor allem viele Hausanschlüsse marode sind. „Die Art vieler Leitungen war bisher schlecht dokumentiert,“ berichtet Bledion Vladi. Er hat in Bad Homburg studiert und zusammen mit Kommilitonen die KI entwickelt. Ihre neu gegründete Firma reicherte die Daten zum Leitungsnetz an und jetzt prognostiziert ihr Softwareprogramm mit Hilfe der Wasserverbräuche, in welchen Gebäuden es in den kommenden sechs bis zwölf Monaten sehr wahrscheinlich zum Desaster kommt, wenn vorher nichts passiert.

Wenn die KI alarmiert

In Potsdam hilft KI bei der Straßen­reinigung, in Spiegelau beim Einsatz von Schneeräumfahrzeugen, in Wuppertal bei einer möglichst effektiven Ampelschaltung, in Soest bei der Instandhaltung des Straßennetzes. Der Landkreis Fulda hat eine App entwickeln lassen, die bei Starkregen Alarm schlägt und Behörden, Rettungskräften und der Bevölkerung frühzeitig meldet, wo welche Gefahren drohen. „Der daraus resultierende zeit­liche Vorteil wird dazu genutzt, um ­Vorkehrungs- und Schutzmaßnahmen einzuleiten“, so die Sprecherin des Landkreises Leonie Rehnert. In diesem Fall kombiniert die KI Informationen über Bebauung, Böden und Topografie mit aktuellen Wetterdaten und den Meldungen von Wasser-Sensoren. Die sind an Stellen platziert, wo bei bisherigen Platzregen die Pegel stark angestiegen sind. Um aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen zu können, sind die Bürger*innen aufgerufen, ihre Beobachtungen auf ­einer Plattform einzutragen.

Um Gefahrenabwehr geht es auch in Essen. Dort fährt ein Spezialauto alle paar Monate das gesamte Stadtgebiet ab und spürt mit Hilfe eines Bodenradars Hohlräume auf. „Wir haben hier oft Bergbauschäden, die zuerst kaum zu erkennen sind“, begründet Peter Adelskamp, Leiter des Fachbereichs Digitale Verwaltung, die Anschaffung. In Kombination mit Bildern eines Satelliten entsteht im Computer ein „digitaler Zwilling“ der Realität, der kleine Veränderungen aufspüren kann, bevor riesige Löcher und große Folge­kosten entstehen.

Aber es gibt auch noch ganz andere Einsatzfelder von KI: In Mannheim läuft seit ­längerer Zeit ein Pilotprojekt, das die ­Sicherheit im öffentlichen Raum erhöhen soll. Zehn Kameras beobachten Plätze und reagieren auf bestimmte Bewegungen. Geht die Software davon aus, dass jemand tritt, schlägt oder am Boden liegt, wird bei der Polizei Alarm ausgelöst. Ein Mensch schaut sich die Szene an und entscheidet dann, ob ein Streifenwagen losfährt.

Im Umweltschutz kommt KI ebenfalls zum Einsatz. In Bad Hersfeld soll sie helfen, den Lärm zu mindern. In Bamberg beobachten Drohnen und Satelliten Wälder und Grünflächen; zugleich messen Sensoren die Bodenfeuchte. Ziel ist es, möglichst früh Baumkrankheiten zu erkennen. Die haben seit dem ersten Dürresommer 2018 massiv zugenommen – während der Pool der Fachkräfte in der zuständigen Behörde schrumpft.

Inwieweit die neue Kollegin KI wirklich Entlastung und Erleichterung bringt, wird sich wohl oft erst mit der Zeit herausstellen. Und bei alledem darf eines nicht vergessen werden: Computer, Rechenzentren und Installationen fressen sowohl bei der Herstellung als auch im Betrieb viel Energie und Ressourcen.