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Foto: Christian Jungeblodt

Beatrice Salvioni: Malnata

Norditalien im Sommer 1935. In der Lombardei ist der Faschismus unter Mussolini besonders stark verankert, und zum Kriegsbeginn finden noch mehr Paraden und Aufmärsche statt, hängen noch mehr Plakate des Diktators. In einem namenlosen Ort weigert sich jedoch ein Mädchen namens Maddalena, im Unterricht aufzustehen, um das Porträt von Mussolini zu ehren. Prompt wird sie von der Schule geworfen, und ihr Ruf als Außenseiterin festigt sich. „Malnata“ wird sie von den meisten Bewohner*innen genannt, was so viel heißt wie „Die Unheilbringende“. Manche beschimpfen sie sogar als Hexe. Soziale Ausgrenzung ist für Maddalena nichts Neues; von klein auf wurde sie gemobbt und gemieden. Denn Maddalena tut grundsätzlich, was sie will, läuft herum wie sie mag und verstößt gegen alle Konventionen. Das fasziniert Francesca, ein anderes, eigentlich braves Mädchen aus bürgerlichem Hause, und ganz langsam freunden sich die beiden an.

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Für ihre Geschichte über Widerstand, Selbstbestimmung, Freundschaft und das Erwachsenwerden hat sich Beatrice Salvioni für Francesca als Ich-Erzählerin entschieden. Auf diese Weise wird schnell klar, wie unerhört und anziehend Maddalenas Verhalten auf die Gleichaltrige wirkt. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man sich auflehnen kann“, sagt Francesca einmal zu ihrer neuen Freundin, und Schritt für Schritt wird auch sie mutiger. Wenn die beiden zusammen sind, fühlt sich alles frei und wild an, und tatsächlich ist es höchst gefährlich, sich in Mussolinis Italien als Mädchen oder Frau gegen Traditionen aufzulehnen. Doch Maddalenas Wut, Energie und Freiheitsdenken reißen schließlich auch Francesca mit – und bringt sie in Lebensgefahr.

Beatrice Salvioni hat einen lebendigen, lebensnahen und geradlinigen Roman über die Kraft der Freundschaft geschrieben. Eine Geschichte einer Wandlung und ein Plädoyer für Mut und weibliche Selbstbestimmung. Auf nur 270 Seiten und in einer klaren Sprache erzählt Salvioni vom Sommer 1935, in dem sich Francesca der faschistischen Ideologie und den mächtigen Männern im Dorf entgegenstellt. Dass die Figuren von der Autorin klar in ein Gut- und Böse-Schema gepresst werden und kaum Raum für Ambivalenzen entsteht, sei Salvioni verziehen. Schließlich hatten die meisten Menschen damals auch nur die Wahl zwischen Anpassung und Widerstand. Günter Keil

Penguin Verlag Random House, übersetzt von Anja Nattefort, 272 S., 24€

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Franz Dobler: Sohn zweier Mütter

Franz Dobler ist adoptiert. Der Schriftsteller und Musikexperte wollte darüber nie ein Buch schreiben. Glücklicherweise hat er es doch getan, auch wenn das Buch so tut, als sei es ein Roman. Der Protagonist ohne Namen ist Mitte 50, als er nach New York fliegt, um seine leibliche Mutter zu treffen. Sein Vater stammt aus Persien und „er“ weiß von ihm nur, dass „er“ ihm ähnlich sieht. Mehr will er auch nicht wissen. Die Mutter, jung und ohne festen Boden unter den Füßen, gab das Kind zur Adoption frei. Also wächst „er“ behütet und umsorgt bei einem Ehepaar aus Oberbayern auf. Später folgen heftige Auseinandersetzungen mit dem konservativen Vater, aber das Stigma des Kuckucks-kindes wird ihm nie angeheftet. Er hat Glück gehabt und weiß das auch; es ist kein Jammerbuch, das Dobler geschrieben hat. Sondern eines, das das Wunder der eigenen Existenz immer wieder in den Fingern dreht und Fragen stellt: warum sind so viele Adoptivkinder Serienmörder geworden? Warum spricht seine Mutter von ihrer Kindheit erst auf dem Sterbebett? Warum ist „er“ Schriftsteller geworden und wie? Dabei schreibt Dobler lakonisch, elegant, souverän und lustig über ein Leben, das kein Schicksal ist, über die Suche nach dem Eigenen im Leben. Frédéric Valin

Tropen Verlag, 224 Seiten, 22€

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Don Winslow: City in Ruins

Las Vegas vor rund 25 Jahren. Der ehemalige Mafiosi-Gangster Danny Ryan hat Millionen mit Casinos und Hotels verdient, ganz legal, wie er behauptet, und er könnte sich eigentlich zurücklehnen, das Leben im Luxus genießen. Doch er will mehr. Zudem stört ihn, dass sein härtester Konkurrent ebenfalls mehr will. Das darf er auf keinen Fall zulassen. Don Winslows lakonische, schonungslose Einblicke in die Macho- und Mafiawelt rücken das Ego eines erfolgreichen Geschäftsmannes in den Fokus. Danny Ryan schafft es einfach nicht, anständig zu sein in einer unanständigen Welt. Die Gier treibt ihn an, und mit der Gier kommt seine alte loyale Mafiosi-Crew zurück ins Spiel, es wird wieder geschossen und gemordet, und aus dem trügerischen Frieden wird ein brutaler Krieg um die Macht in Las Vegas. Mit seinem gewohnt trockenen, knappen Stil reißt der US-Schriftsteller erneut mit. Er fängt den Zynismus seiner Protagonisten ein, aber auch ihre Verzweiflung und ihre Unfähigkeit, empathisch zu sein. Genau deswegen liegt die Stadt zum Schluss in Trümmern, und die Moral hat ohnehin keine Chance. Eine erschreckend treffende, zeitlose Beschreibung der USA und ihrer Abgründe. Und ein grandioser Thriller. Günter Keil

HarperCollins, Ü: Conny Lösch. 448 S., 24€