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Ronald Reng: 1974 – Eine deutsche Begegnung

Der beste Fußballautor hat ein Fußballbuch geschrieben, in dem der Fußball eher eine Nebenrolle spielt? Eine grandiose Idee! Ronald Reng, der sich mit Biografien über Lars Leese, Robert Enke und Miroslav Klose einen Namen gemacht hat, widmet sich diesmal einem Spiel.

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Im Juni 1974 trafen bei der WM in der Bundesrepublik zum ersten und einzigen Mal die A-Nationalteams der BRD und der DDR aufeinander (Endstand: 0:1). Reng stellt die Fußballkultur in beiden Staaten vor, doch geht es ihm noch mehr um eine Alltagsgeschichte der siebziger Jahre in Ost und West. Da wäre Jutta Wachowiak, die am Abend des Spiels im Deutschen Theater Berlin Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf spielte, oder aber die DKP-­Politikerin Doris Gercke, die den DDR-Spielern die Stadt Hamburg zeigte und später durch ihre Bella-Block-Krimis berühmt wurde. Es geht um den geläuterten RAF-Terroristen Klaus Jünschke und den Bürgerrechtler Roland Jahn. Um ­eine Zeit, als die Eisenbahn im Westen als veraltet galt und im Osten ein Kulturkampf um die Jeans ausbrach. Sprachlich wohltemperiert und szenisch brillant komponiert, schickt Reng sein Publikum auf eine wundersame Zeitreise. Christian Baron

Piper Verlag, 432 S., 24 €

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Sina Haghiri: Mit Nachsicht

Die meisten Menschen sind rücksichtslos und egoistisch – das wird zumindest oft behauptet. Der Psychotherapeut ­Sina Haghiri zeigt, dass diese Perspek­tive falsch ist und fatale Folgen hat. Er ermuntert und ermutigt uns, das Gute zu sehen. Denn Nachsicht, Rücksicht und Freundlichkeit im Alltag machen seiner Ansicht nach das Leben leichter. Außerdem seien sie ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche, wie oft gemutmaßt wird. Sina Haghiri führt langsam an sein Kernthema heran, erzählt auch aus seiner Praxis, etwa von der Übung, die er gerne mit Klient*innen macht, die von der Rücksichtslosigkeit ihrer Mitmenschen überzeugt sind: Der Psychotherapeut geht mit ihnen auf öffentliche Plätze und bittet sie, andere zu beobachten. Deren positives und negatives Verhalten wird notiert –tatsächlich passiert viel mehr Gutes, als die Teilnehmenden vorher glaubten. Für das Narrativ des grundsätzlich bösen Menschen gibt es laut Haghiri viele Gründe: Den evolutionären Überlebens- und Abwehr­instinkt bei negativen Nachrichten, aber auch aktuelle einseitige Darstellungen auf Social Media und in wissenschaftlichen Publikationen. Die beste Reaktion darauf sei Nachsicht, schreibt der Münchner, und er empfiehlt: Raus aus dem Teufelskreis von Neid, Konkurrenz und Vorurteilen! Günter Keil

Kösel Verlag, 272 S., 20 €

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Sofi Oksanen: Putins Krieg gegen die Frauen

Bei dem Ruf nach Friedensverhandlungen wird für die finnisch-estnische Schriftstellerin Oksanen ein Aspekt bislang ignoriert: Die Frauen und ihre Erfahrungen mit den russischen Kriegsverbrechen, wie sie sich seit 2022 in allen von der russischen Föderation angegriffenen ukrainischen Orten, schon seit 2014 aber in der gesamten Ostukraine abspielen: Systematische Massenvergewaltigungen von Frauen durch russische Soldaten, auf der Straße, in Kellern, in sogenannten Filtrationslagern. Die Reaktionen auf Oksanens Vortrag, den sie 2023 in der Schwedischen Akademie gehalten hat, haben sie veranlasst, daraus einen Essay zu schreiben. Sie zeigt, wie Putin Frauenfeindlichkeit als ein zentrales Werkzeug seiner Macht einsetzt, innen- wie auch außenpolitisch. Massenvergewaltigungen als Teil einer Außenpolitik mit dem Ziel des Völkermords: Die Opfer dieser spezifischen Geschlechtergewalt gebären meist keine Kinder mehr, die Geburtenrate in diesen Landstrichen geht gegen Null. Wie das mit ehemaligen KGB-Agenten, der rechtlich abge-sicherten Straffreiheit für Soldaten in Kriegszeiten und dem russischen Kolonialismus zusammenhängt, erklärt Oksanen mit einer Fülle von Quellen, die nicht mehr wegzudiskutieren sind. Ein enorm wichtiges Buch. Jenny Mansch

Kiwi Verlag, Übersetzung Angela Plöger und Maximilian Murmann, 336 S, 24 €