Vor kurzem wurde in der Ukraine der Tag des Arztes gefeiert. Inmitten eines umfassenden Krieges (und auch schon davor) ist es den Medizinern zu verdanken, dass wir unsere Gesundheit bewahren können und dass diejenigen, die durch russische Angriffe verletzt wurden, wieder ein normales Leben führen können. Gleichzeitig wird es für die Ärzte immer schwieriger, zu arbeiten.

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Olha VorozhbytFoto: privat

Zunächst einmal ist es wegen des russischen Beschusses schwierig. Am 8. Juli griff Russland das größte Kinderkrankenhaus des Landes, Okhmatdyt, an. Am ­selben Tag geriet auch eine private Entbindungsklinik in Kyjiw unter russischen Beschuss. In beiden Krankenhäusern ­wurden medizinisches Personal und ­Patienten getötet. Ich las diese Nachricht im Schutzraum einer Entbindungsklinik in Lwiw, während ich meinem neugeborenen Sohn beim Schlafen zusah. Am zweiten Tag seines Lebens hatte er bereits mehrere Stunden damit verbracht, sich vor russischen Raketen zu verstecken. Am 22. Juli veröffentlichte das Gesundheitsministerium eine erschreckende ­Statistik: Während des russischen Krieges in der Ukraine wurden bisher 1.642 Gesundheitseinrichtungen beschädigt, 214 davon wurden vollständig zerstört.

Die Entbindungsklinik, auf der ich unseren jüngsten Sohn zur Welt brachte, war mir sehr vertraut. Vor neun Jahren wurde dort auch unsere Tochter geboren. In diesen neun Jahren wurde das alte Gebäude (an der Stelle der Entbindungsklinik befand sich seit dem 19. Jahrhundert ein ­jüdisches Krankenhaus) renoviert und modernisiert. Doch war die Atmosphäre damals eine andere. 2015 war die Einrichtung überfüllt. Doch in diesem Jahr, an den Tagen, an denen mein Sohn und ich dort waren, gab es in der gesamten Geburtsklinik nur ein Dutzend Frauen, die gerade entbunden hatten. Und obwohl die Krankenschwestern auf uns eingingen und aufmerksam waren, sprachen sie ständig über Kürzungen, waren angespannt. Vor neun Jahren waren sie überlastet, weil eine andere Geburtsklinik der Stadt wegen Renovierung geschlossen war. Als sie 2018 wieder eröffnet wurde, hatte sich ihre Situation gebessert.

Menschen verlassen den Beruf

In der Ukraine wird das Gesundheits­wesens seit langem reformiert. Unter ­anderem wird versucht, das Netz der ­Gesundheitseinrichtungen zu optimieren, damit diese besser und effizienter finanziert werden. Doch das entwickelt sich nicht immer zum Besseren. Oft wird im Rahmen des Prozesses als erstes medizinisches Nachwuchspersonal entlassen. Diejenigen, die übrig bleiben, sind dementsprechend sehr stark belastet. Oksana Slobodjana, Leiterin der „Sei wie Nina“-Bewegung der Pflegekräfte und die zusammen mit anderen Aktivisten am 24. Juli eine Pressekonferenz in Kyjiw abhielt, sagt, dass dies auch für Patienten gefährlich ist, da ein überlasteter Mit­arbeiter nicht effektiv arbeiten kann. Und die Kosten für einen medizinischen Fehler seien extrem hoch. Hinzu komme, dass die Gehälter vor allem des medizi-

nischen Nachwuchses nach wie vor sehr niedrig seien und sie mehrere Jobs annehmen müssten, um ihre Familien zu ernähren. All dies führe dazu, dass Menschen den Beruf verlassen, inzwischen gebe es ­einen Mangel an Krankenschwestern, selbst in Regionen, in denen es früher ­genügend von ihnen gab.

Ich weiß noch nicht, wie die Geschichte der Krankenschwestern in der Entbindungsklinik in Lwiw, in der ich entbunden habe, weitergeht. Aber ich werde sie auf jeden Fall verfolgen. Ich hoffe, dass wir trotz der Schwierigkeiten, die das Leben während des Krieges mit sich bringt, in der Lage sein werden, den Gesundheitssektor wirksam zu reformieren und den Beschäftigten angemessene Arbeitsbedingungen zu bieten.

Olha Vorozhbyt ist stellvertretende Chef-Redakteurin des ukrainischen Nachrichtenmagazins Ukrajinskyi Tyschden. Seit der Ausgabe 03_2022 schreibt sie regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeits- welt in der Ukraine.