12_wilders_presse_journalisten_ruecken.jpg
Rechtspopulist Geert Wilders vor der PresseFoto: ANP/IMAGO

ver.di publik: Bart Plaatje, im November 2023 hat die Mehrheit der Niederländer die rechtsextreme und islamfeindliche Freiheitspartei PVV gewählt. Nach mehreren Monaten der Koalitionsverhandlungen haben die Niederlande nun die am stärksten nach rechts gelehnte Regierung aller Zeiten. War das eine Überraschung für die FNV?

Bart Plaatje: Meine erste Reaktion war: Jetzt ist genau das passiert, was ich befürchtet habe. Auch wenn wir nicht überrascht waren, dass Menschen rechtsextrem gewählt haben, so waren wir doch geschockt zu sehen, wie viele Stimmen es waren. Mitglieder von uns, die in Berufen arbeiten, wo sie viel mit Menschen in Kontakt und ins Gespräch kommen, zum Beispiel Verkäufer oder Physiotherapeuten, haben es viel besser vorhersehen können als wir.

Bart-Plaatje.jpg
art Plaatje, Generalsekretär niederländischen Gewerkschaft FNVFoto: FNV

Was sind die Reaktionen von FNV-Mitgliedern?

Menschen, die politisch bewandert und links sind, machen sich große Sorgen. Aber ich glaube, dass der Durchschnittsbürger nicht abschätzen kann, was da wirklich auf uns zukommt. Sie denken wahrscheinlich, dass wir es jetzt eben einfach mal mit einem anderen Ansatz versuchen, denn die Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik ist groß.

Mehr als zehn Jahre lang war Mark Rutte Ministerpräsident der Niederlande. Wie hat sich das auf das ­Arbeitsrecht und die Arbeitsbedingungen im Land ausgewirkt?

Wir haben in allen Sektoren einen Impact gesehen, auch im Bereich Dienstleistungen. Rutte war sehr gut darin, sich als ­liberal zu präsentieren, aber eigentlich war er knallhart rechts. Wir haben mal eine Aktion von Bankangestellten organisiert, der erste Bankenstreik in der Geschichte des Landes, und dann kam prompt ein persönlicher Anruf vom ­Ministerpräsidenten, dass das ja wohl gar nicht gehe.

In den Niederlanden gibt es außerdem eine Reihe von Subventionen für Arbeitgeber, die die Löhne niedrig halten sollen. Sie bekommen Subventionen, wenn sie auch Menschen mit einem geringeren Einkommen einen Job mit einem unbefristeten Vertrag geben. Nur bedeutet das in der Regel, vor allem in den Geschäften, dass diese Leute deshalb auch die Löhne niedrig halten müssen, um die Subvention am Leben zu erhalten. Die Arbeitgeber kassieren alles und die ­Arbeitnehmer werden an der kurzen Leine gehalten, vor allem in den Dienstleistungssektoren.

Wie wird sich die Situation unter dem rechten Wilders entwickeln?

Wir sind auf der Hut. Aktuell werden die schönsten Dinge versprochen, aber wir nehmen an, dass es vor allem im Bereich Sozialleistungen Kürzungen geben wird. Außerdem hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass Wilders noch viel radikaler gegen Gewerkschaften ist, als es Rutte war. Er hat schon in jungen Jahren dazu ­publiziert. Wir werden sehen, wie er sich bei den nächsten Streiks von Bahn-­Angestellten oder Hafen-Arbeitern verhält. Aktuell wollen wir durch­setzen, dass Menschen, die schwere körperliche Arbeit leisten, früher in Rente gehen können. Da wird er möglicher­weise einen Riegel vorschieben. Ich würde es ihm auch zutrauen, dass er versucht, Gewerkschaften zu verbieten, und dass er probiert, das Streikrecht auszuhebeln.

Seit Jahrzehnten profitiert der niederländische Arbeitsmarkt von Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Niedriglohnländern (innerhalb der EU), zum Beispiel als Erntearbeiter oder in Verteilerzentren. Wie wird sich das entwickeln?

Ich sehe zwei desaströse Möglichkeiten. Entweder Geert Wilders folgt dem Prinzip Großbritannien unter den Torys und dreht den Hahn komplett zu, oder die jetzigen Umstände werden beibehalten und vielleicht sogar noch verschlimmert. Aktuell hängt die Wohnung der Arbeitsmigranten oft vom Arbeitsvertrag ab und sie werden bei Entlassung sozusagen über Nacht obdachlos. Das sollte eigentlich verboten werden. Aber ich traue es Wilders auch zu, dass er Menschen von beispielsweise den Philippinen kommen lässt, die dann im Krankheitsfall einfach auf die Straße gesetzt werden.

Verzeichnet die FNV seit den Wahlen Änderungen in den Mitgliederzahlen? Und was ist jetzt der Plan für die Zukunft?

Wir hatten im letzten Jahr eine Rekordzahl von Streiks in der niederländischen Geschichte und einen Rekordzuwachs an jungen Leuten als neue Mitglieder. Gerade die Altersgruppe zwischen 25 und 45 ist noch nie so stark gewachsen wie in den letzten zwei Jahren. Die Menschen erkennen jetzt, dass eine Gewerkschaft wie die FNV eine echte Alternative sein kann bei Politikverdrossenheit. Wir wollen, dass die Leute verstehen, dass sie selbst die Macht haben, Dinge zu verändern. Das sehen wir sicher als Chance. Wir wollen mehr Kraft und Macht entwickeln. Nicht nur digital, sondern auch direkt vor den Toren der Betriebe.

Interview: Sarah Tekath

Die Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV) ist mit knapp einer Million Mitgliedern die größte Gewerkschaft in den Niederlanden. Bart Plaatje ist seit 2008 bei der FNV, zuerst als leitender Organisator, Gewerkschaftsvorstand, Projektleiter, Teamleiter und jetzt als General­sekretär.