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Lucero, angeworbene Pflegekraft aus Mexiko und ver.di-MitgliedFoto: Christian Jungeblodt

In Thüringen und Sachsen wurden am 1. September neue Landtage gewählt. Die AfD kam in beiden Ländern auf zirka ein Drittel der Stimmen, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bekam ein zweistelliges Ergebnis und wurde in beiden Ländern drittstärkste Kraft. Erste Analysen auch dieser Wahlergebnisse zeigen, dass der Anteil der AfD-Wählenden unter den Gewerkschaftsmitgliedern höher ist als beim Durchschnitt der Wahlberechtigten – und das schon seit Jahren.

Zudem wurde auch in Brandenburg am 22. September ein neuer Landtag gewählt, nach Andruck dieser Ausgabe der ver.di publik. Die Wahlprognosen ließen bereits auf ein ähnliches Ergebnis schließen wie in den anderen beiden Bundesländern. Zwar lag die AfD in Brandenburg den Prognosen nach unter 30 Prozent, aber laut Umfragen in der Gunst der Wählenden vorn.

Als einen Grund dafür sieht Romin Khan, zuständig für die Gruppe der Migrant*innen in ver.di, die Tatsache, dass viele Menschen mit Migrationsbiografie hierzulande kein Wahlrecht haben – auch wenn sie berufstätig sind und Steuern zahlen. Sie haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, dürfen also politisch nicht mitbestimmen. Daher macht sich ver.di auch seit Jahren für das Wahlrecht für hier lebende Zugewanderte stark.

In einer Videokonferenz des Kumpelvereins "Gelbe Hand", der sich seit Jahrzehnten für die Gleichbehandlung von Migrant*innen und gegen Rassismus stark macht, wies Klaudia Tietze, Geschäftsführerin des Vereins, darauf hin, dass häufig nur negativ über Zugewanderte geredet werde. Da gehe es um Messerstechereien und wie viele von ihnen beim Jobcenter gemeldet sind. Aber nur selten werde gezeigt, dass viel mehr hier arbeiten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und ihren Lebensunterhalt von ihrem Einkommen bestreiten.

Abdulaziz Bachouri von der "Fairen Integration/Arbeit und Leben" berichtete, dass es oft durch den Aufenthaltsstatus nicht möglich sei, zu arbeiten und am sozialen Leben in Deutschland teilzuhaben. Er erinnerte insbesondere an den gewerkschaftlichen Gedanken der Solidarität – und forderte alle Gewerkschafter*innen auf, den Mund aufzumachen, wenn ihnen in ihrem Umfeld Diskriminierung und Rassismus begegnen.

Zwei Drittel stimmen gegen rechts

"Der Rechtsruck in Thüringen und Sachsen ist bedrohlich, und die Regierungsbildung wird eine Herausforderung. Aus meiner Sicht gibt es da, insbesondere in Thüringen, nur einen Weg: Alle demokratischen Kräfte müssen zusammenarbeiten, und die CDU muss ihre Aversion gegen Bodo Ramelow und seine Linkspartei aufgeben, um zu einer stabilen Regierung zu kommen", sagt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

Positiv gewendet könnte man sagen, dass bei allen drei Landtagswahlen immer noch mindestens zwei Drittel der Wählenden nicht für die Rechts-Außen-Partei gestimmt haben. Dennoch: Die AfD verfügt jetzt in Thüringen über eine Sperrminorität. Das heißt, wer mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament hat, kann etwa die Benennung von Richter*innen am Landesverfassungsgericht oder beim Landesrechnungshof blockieren. Auch für die Selbstauflösung des Landtags ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig.

Dramatisch findet Werneke die Banalisierung der AfD, insbesondere durch das BSW. Der ver.di-Vorsitzende fordert zudem wirksame Maßnahmen gegen die Radikalisierung im Netz, die auch die Provider stärker in die Verantwortung nehmen. Über die Sozialen Medien – sei es TikTok, Facebook, X oder Telegram – werden häufig völlig falsche Informationen weitergegeben, die sich dann verselbstständigen und für immer mehr Menschen zur vermeintlichen Wahrheit werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hingegen wird von der AfD in Aussagen und auf Wahlplakaten zum Instrument für Indoktrination und Propaganda herabgewürdigt. Zudem müsse die Regierung mehr für die Integration von Geflüchteten tun, sagt Werneke. Die Kommunen seien hier absolut am Limit.

Ein großes Problem macht Werneke auch im "ewigen Streit" und dem "Bild, das die Ampel dadurch abgibt" aus. SPD, Grüne und FDP dürften sich über den Vertrauensverlust in der Bevölkerung nicht wundern. "Bei uns wichtigen Themen blockiert sich die Ampel, sei es beim Rentenpaket oder beim Tariftreuegesetz." Weitere Gründe für die verbreitete Unsicherheit: die Krankenhausversorgung. "Drei Viertel der Häuser schreiben rote Zahlen. Das schürt Ängste, dass ländliche Regionen weiter abgehängt werden. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik ist erschüttert", so Werneke.

ver.dis Haltung zur AfD ob der hohen Zustimmung für sie zu überdenken, dafür sieht Werneke keinen Grund. Trotz ver.dis klarer Positionierung gegen rechts sei es nicht zu spürbaren Austritten gekommen. Im Gegenteil, gerade der Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen habe eine sehr gute Mitgliederentwicklung. Dabei verschweigt Werneke nicht, dass es durchaus ver.di-Mitglieder gibt, die vom Streik zur AfD-Demo gehen. "Aber an unseren Grundsätzen ändert sich nichts. Wir arbeiten nicht mit Faschisten zusammen, wir bekämpfen sie."

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