Die Zahl ist alarmierend: Rund drei Viertel (77,4 Prozent) aller Studierenden in Deutschland sind von Armut betroffen. Veröffentlicht hatte die Zahl am 28. August 2024 das Statistische Bundesamt mit Bezug auf die Einkommens- und Wohnsituation von Studierenden. Vor allem die Belastung durch Wohnkosten ist seit 2021 enorm angestiegen. Der Anteil der Studierenden, die zuletzt von Wohnkosten überbelastet waren, stieg von 56,6 Prozent auf 60,5 Prozent. Knapp die Hälfte ihres verfügbaren Haushaltseinkommens geht inzwischen für die Miete drauf. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eine Mehrheit der BAföG-Empfänger*innen den maximalen Berufsausbildungsförderbetrag erhält. Er reicht längst nicht aus, um alle Kosten decken zu können. 

Viele junge Menschen in Ausbildung und Studium sind auf BAföG angewiesen. So erhielten im vergangenen Jahr in Berlin rund 64 Prozent der BAföG-­Empfänger*innen eine Vollförderung, in Brandenburg rund 60 Prozent, so die Zahlen des Statistikamts Berlin-Brandenburg. Der BAföG-Höchstsatz liegt aktuell bei 992 Euro. Die ­Höhe der jeweiligen Förderung ist dabei abhängig von der Bildungseinrichtung und davon, ob der Empfänger oder die Empfängerin noch bei den Eltern wohnt oder nicht. 

Die neuen Zahlen zeigen auch, dass die Hälfte der Studierenden mit eigener Haushaltsführung (allein oder in einer WG lebend) weniger als 867 Euro im Monat zur Verfügung haben. Für einen Einpersonenhaushalt liegt das Einkommen damit bereits unter der Armutsgrenze. Das heißt auch: Die Armutsgefährdung von Studierenden ist um ein Vielfaches höher als die der Gesamtbevölkerung, von der derzeit insgesamt 14 Prozent ­armutsgefährdet sind. 

Arbeiten, um durchzukommen 

Für die Studierenden bedeutet das, dass sie immer öfter arbeiten gehen müssen, um durchzukommen. Der größte Teil ­ihrer Einkünfte stammt heute im Schnitt aus Erwerbseinkommen, wie ebenfalls das Statistische Bundesamt ermittelt hat. Über die Hälfte ihres Einkommens beziehen Studierende aus einem Job, private Unterstützung machen 32 Prozent aus, BAföG oder Stipendium 15 Prozent. 

„Ein Vollzeitstudium ist ein Vollzeitjob“, deshalb sollte das BAföG die „einzig notwendige Einkommensquelle“ von Studierenden sein, erklärte Niklas Röpke vom „freien Zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs), dem auch die ver.di-Studierenden angehören, nach Bekanntwerden der neuen Zahlen auf der fzs-Webseite. Eine umfassende Reform sollte für alle Parteien ein zentrales Anliegen ihrer Bildungspolitik in den Wahlprogrammen zur nächsten Bundestagswahl sein. 

„Die soziale Herkunft, Einkommen und Vermögen der Eltern dürfen nicht über Bildungschancen entscheiden. Es ist deshalb höchste Zeit, das BAföG grund­legend zu reformieren, damit sich wieder deutlich mehr junge Menschen ein Studium leisten können und Chancengerechtigkeit entsteht“, sagte Isabella ­Rogner, ver.di-Gewerkschaftssekretärin und zuständig für die Studierendenarbeit bereits nach der letzten Bundestagswahl 2021. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag tatsächlich eine weitreichen- de BAföG-Reform angekündigt. Drei Jahre später wurde zumindest ein Teil davon umgesetzt: die Anpassung der BAföG-Sätze, die Erhöhung der Freibeträge und der Bedarfssätze im Hinblick auf die Wohnkosten, die Erleichterung eines Fachrichtungswechsels sowie die Verlängerung der Förderungshöchstdauer in besonderen Fällen, beispielsweise kurz vor dem Abschluss. 

Grundgedanken des BAföG wieder einlösen 

ver.di fordert dennoch mit vielen Bündnispartnern aus Studierendenorganisationen wie dem fzs, Gewerkschaften und Verbänden eine deutliche Ausweitung und Erhöhung des BAföG. „Die Explosion bei Preisen und Mieten ruft förmlich nach einem grundlegend reformierten BAföG“, sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler und betont: „Das BAföG muss wieder einlösen, was sein Grundgedanke war: dass auch Kinder studieren können, deren Eltern wenig Geld haben.“ Seit Jahrzehnten sei eine schleichende Entwertung des BAföG die Realität. Nur noch 11,5 Prozent der Studierenden würden überhaupt gefördert. „Damit die Zielgruppe tatsächlich wieder erreicht wird, müssen die Bedarfssätze und Freibeträge künftig entsprechend der Reallohnentwicklung automatisch angehoben werden“, fordert die Gewerkschafterin. 

Bühler begrüßt zumindest das von der Bundesregierung eingeführte „Flexibilitätssemester“ und die Starthilfe von 1.000 Euro. Das seien richtige Schritte, doch entscheidend sei, die Sätze dauerhaft an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen und den Kreis der Anspruchsberechtigten auszuweiten. Bühler sagt: „Dass junge Menschen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern studieren können, ist für unsere Gesellschaft als Ganzes wichtig.“  

Bis dahin müsse der Mindestlohn „schon jetzt drastisch angehoben werden, um die notwendige Arbeitszeit neben dem Studium zu senken“, fordert Niklas Röpke vom fzs.