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Doppelgänger – Was ist bloß mit den Menschen los? Dieser Frage, die sich derzeit viele stellen, geht die als Globalisierungskritikerin bekannt gewordene Autorin Naomi Klein in ihrem Buch „Doppelgänger“ nach. „Fast jeder, mit dem ich spreche, erzählt mir von Menschen, die wie Alice auf ihrem Weg ins Wunderland „im Kaninchenloch“ verschwunden sind – Eltern, Geschwister, beste Freunde, aber auch Intellektuelle und Kommentatoren, auf die man sich einmal verlassen konnte“, schreibt sie. Wie kommt es, dass einstmals Progressive plötzlich Verschwörungsmythen anhängen, vermeintlich Linksalternative mit Neonazis ­spazieren gehen? Naomi Klein begibt sich auf eine sehr persönliche, zugleich politisch-analytische Suche nach den Ursachen, und taucht dabei ein in eine „Spiegelwelt“, die alles überzeichnet, karikiert und die wirklichen Verschwörungen so übertüncht.

Anlass und Ausgangspunkt ist Naomi Kleins „Doppelgängerin“, die einstige ­Feministin Naomi Wolf, die zur Corona-Leugnerin mutierte und heute in Steve Bannons „War Room“ und anderen rechten Shows ein- und ausgeht. Naomi Klein folgt den Aktivitäten der „Anderen Naomi“, mit der sie regelmäßig verwechselt wird, und zeichnet so das Denken in dieser Szene nach – ihre irren Narrative ebenso wie die durchdachten Strategien rechtsradikaler Hintermänner wie Bannon.

Und sie fragt, „wie es dazu kommen konnte, dass so viele scheinbar unpolitische Leute von beängstigenden Covid-Verschwörungstheorien geradezu besessen sind“. Einen Grund sieht sie in der neoliberalen Politik der Individualisierung, des Sozialstaatsabbaus, der Privatisierung: „Jetzt fahren wir die verdorbene Ernte ­eines jahrzehntelang gesäten Misstrauens ein – Misstrauen gegenüber der Vorstellung, dass wir Mitglieder von Gemeinschaften und Gesellschaften sind, Misstrauen gegenüber jeglicher Erwartung, dass der Staat etwas Positives für uns tun kann und tun ­sollte.“

Naomi Klein interpretiert die Corona-Proteste vor diesem Hintergrund als „Revolte gegen das Miteinander“, die sich nicht zufällig auch „gegen Symbole kollektiven Handelns richteten – in Italien und Australien gegen Gewerkschaftszentralen, die von Querdenker-Demonstranten angegriffen und geplündert wurden“. Noch gefährlicher ist indes, dass sie Begriffe wie „Genozid“, „Apartheid“ und „Holocaust“ missbrauchen und so zur Farce machen. Naomi Klein: „Es wäre alles so lächerlich – wenn es nicht so ernst wäre.“

Daniel Behruzi

Naomi Klein: Doppelgänger. Eine Analyse unserer gestörten Gegenwart, 496 Seiten, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 29 €, ISBN: 978-3103976441