Ausgabe 08/2024
Gesellschaftlicher Sprengstoff
Die Ampelregierung ist Anfang November gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, will noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage stellen, am 23. Februar 2025 soll ein neuer Bundestag gewählt werden. Anlässlich eines Pressegesprächs zur anstehenden Tarifrunde für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen sprach der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke kurz nach dem Ampel-Aus vier ver.di-Positionen zum Bundeshaushalt an. Dessen zeitnahe Verabschiedung ist vor dem Hintergrund der anstehenden Neuwahlen eher fraglich.
Zuvor hatte Werneke bereits die Unionsparteien aufgefordert, auch jetzt schon ihrer politischen Verantwortung den Menschen im Land gegenüber gerecht zu werden. „Aus Sicht von ver.di darf es jetzt keine Last-Minute-Entscheidungen geben, die die Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen weiter verschlechtern oder nur einzelne Gruppen bedienen. Stattdessen braucht es ein finanzielles Sofortprogramm für die Bereiche Pflege, Gesundheit und Bildung, davon sind alle Menschen in unserem Land betroffen“, so der ver.di-Vorsitzende.
Einheitliche Mehrwertsteuer
Werneke sagte vor den Pressevertreter*innen, dass die Krankenkassenbeiträge für Bürgergeldempfänger*innen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssten. Dafür nannte er die Summe von 10 Milliarden Euro. Zur Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen sollte die Mehrwertsteuer auf Arzneien und Hilfsmittel auf einheitliche 7 Prozent gesenkt werden. Die Mindereinnahmen veranschlagte er in Höhe von 5 Milliarden Euro. Dringlich sei auch die Lösung der finanziellen Probleme der Pflegeversicherung.
Für das beschlossene Kita-Qualitätsgesetz stellt der Bund in den Jahren 2025 und 2026 jeweils 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Nach übereinstimmender Auffassung von Fachleuten, der Fachministerien der Länder sowie der kommunalen Spitzenverbände müsste die Förderung pro Jahr sogar auf 6,08 Milliarden Euro verdreifacht werden, um die erforderlichen Qualitätsstandards einzuhalten. Daten aus dem aktuellen „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung belegen etwa den Rückgang pädagogischer Fachkräfte. 2023 hatten in nur noch 32 Prozent aller Kita-Teams mehr als acht von zehn pädagogisch Tätigen mindestens einen einschlägigen Fachschulabschluss.
„Wir haben einen massiven Investitionsstau in Deutschland, allein im kommunalen Bereich von über 180 Milliarden Euro.“ Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender
ver.di fordert zudem, die finanzielle Ausstattung der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter ebenso kurzfristig wie nachhaltig zu verbessern. Angesichts der Transformation und der wirtschaftlichen Lage sind stabile und langfristige Finanzierungen dringend erforderlich.
Zwar zeichnet sich für 2025 eine Weiterfinanzierung des Deutschlandtickets ab. Die Unionsparteien haben angekündigt, dass sie nach dem Misstrauensvotum von Bundeskanzler Olaf Scholz diesem zustimmen können. Ob das angekündigte Geld reicht, ist unklar, ebenso wie es 2026 weitergeht.
Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, hatte sich im November für Änderungen an der Schuldenbremse offen gezeigt hat. „Das ist die Einsicht in das Notwendige“, kommentierte Werneke gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters diesen Meinungsumschwung. Einige CDU-Ministerpräsiden- ten seien schon länger für eine Anpassung der im Grundgesetz verankerten Regelungen zur Begrenzung der öffentlichen Verschuldung. Noch ist aber nicht klar, ob Merz das Thema vor oder nach der Neuwahl auf den Tisch bringen will.
Der ver.di-Vorsitzende geht davon aus, dass die Investitionsfähigkeit ein großes Thema im Wahlkampf wird: „Wir haben einen massiven Investitionsstau in Deutschland, allein im kommunalen Bereich von über 180 Milliarden Euro.“ Sollte die nächste Regierung auch die Modernisierung der Bundeswehr fortführen und an der Ukraine-Unterstützung festhalten, werde dies ohne neue Schulden nicht gehen: „Ansonsten ist der gesellschaftliche Sprengstoff an der Stelle riesengroß.“
Werneke sagte zudem, dass sich die Neuwahl des Bundestags auf den Zeitplan für die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen auswirken werde. Es sei nicht das erste Mal, dass Verhandlungen im Wahlkampf oder zu Zeiten der Regierungsbildung stattfänden. Er geht davon aus, dass die noch amtierende Innenministerin Nancy Faeser, SPD, voll handlungsfähig sein werde. Der erste Verhandlungstermin ist für den 24. Januar 2025 vorgesehen.