Ausgabe 01/2025
Stark mit viel Gewicht
Die gute Nachricht zuerst: Mehr Menschen kamen zur Betriebsversammlung als erwartet. "Das Bild ist viel toller als wir uns das erträumt hatten", begrüßt der Betriebsratsvorsitzende seine Kolleginnen und Kollegen. Der Saal im riesigen Veranstaltungszentrum in Ibbenbüren ist bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar die Empore, die nicht eingeplant war. Weit über 1.000 Beschäftigte sind anwesend. Besonders viele Zusteller*innen sind da. Mit 12 Bussen oder in Fahrgemeinschaften sind sie aus dem Gebiet der Niederlassung Münster angereist, das sich von Greven im Süden bis Vechta im Norden erstreckt – 160 Kilometer. Früher tanzte man hier in der Kultdisco "Aura".
Den ersten inhaltlichen Beitrag liefert souverän der Betriebsratsvorsitzende Jan Krause-Junk. Er spricht nicht nur über die betriebliche Lage, sondern wirbt für die Demokratie, denn die Bundestagswahl steht bevor. Aber natürlich geht es auch um die Tarifrunde. Krause-Junk kennt die Argumente der Arbeitgeber und entkräftet sie. "Ihr sprecht oft von den 'Anderen', den Beschäftigten bei UPS, Hermes, DPD und GLS, die mit Subunternehmern arbeiten. Aber wir sind nicht die 'Anderen'. Wir haben eine starke Gewerkschaft und starke Betriebsräte im Haus."
„Du gehst immer mit dem Gefühl zur Arbeit, nicht fertig zu werden.“
Eine Zustellerin
Die Probleme, die Jan Krause-Junk anspricht, ziehen sich wie ein roter Faden durch die vierstündige Betriebsversammlung: hohe Fluktuation, hohe Arbeitsbelastung durch zu große Stückmengen, die an einem Tag verteilt werden sollen. Die Folge: ein Krankenstand von über 11 Prozent, und damit höher als im Baugewerbe. "Du gehst immer mit dem Gefühl zur Arbeit, nicht fertig zu werden" erzählt eine Zustellerin. "Das macht dich krank". Dazu kommen mangelhafte Einarbeitung, rauer Umgangston, verspätete Urlaubsbewilligungen und das Gewicht der Pakete – derzeit noch bis 31,5 Kilogramm.
Gewerkschaft und Betriebsräte haben bislang vergeblich versucht, eine 20-Kilogramm-Grenze in eine zu erlassende Verordnung einzubringen, (Noch-)Arbeitsminister Hubertus Heil steht dabei im Wort. Die zum Jahreswechsel in Kraft getretene Novelle des Postgesetzes sieht zwar vor, dass Pakete über 20 Kilogramm von zwei Personen zugestellt werden müssen, doch zugleich schränkt sie ein, "es sei denn, einer einzelnen Person steht für die Zustellung ein geeignetes technisches Hilfsmittel zur Verfügung". Welches aber dieses Hilfsmittel sein soll, ist bislang ungeklärt. Und so bleibt das Zustellen der Pakete weiterhin Schwerstarbeit, bis es eine echte Gewichtsgrenze ohne Ausnahmen gibt.
Fast der gesamte Führungskreis der Niederlassung ist bei der Versammlung anwesend. Die Aufgabe für den Niederlassungsleiter Michael Müller ist an diesem Tag offenkundig: Respekt und Wertschätzung zeigen. Er dankt den 6.000 Beschäftigten für ihre Leistungen im Weihnachtsgeschäft und am Black Friday. Die Niederlassung Münster brauche keinen Vergleich zu scheuen. "Sie können stolz sein auf das, was Sie geleistet haben". Die Post habe sogar selbst eine Mitarbeiterbefragung gestartet, um als Arbeitgeber besser zu werden, berichtet Müller. Inzwischen stünden Abrufkräfte bereit, um für einen stressfreieren Betriebsablauf zu sorgen.
Betriebsrätin Mareike aus Spelle und die anderen ver.di-Mitglieder hoffen, dass der im Tarifvertrag geforderte zusätzliche Urlaubstag für Gewerkschaftsmitglieder noch mehr Kolleg*innen dazu motiviert, sich in ver.di zu organisieren. Denn je mehr sie sind, um so mehr können sie erreichen.
Für kämpferische Stimmung sorgt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Sie trifft den richtigen Ton und bekommt dafür großen Applaus: "Ihr habt allen Grund, selbstbewusst aufzutreten." Was für Erzieherinnen und Pflegepersonal gilt, gelte auch für Zusteller*innen: "Euer Job ist wichtig." Und: "Lasst euch nicht entmutigen, nur weil das Briefgeschäft schrumpft. Das wird durch Paketwachstum ausgeglichen. Eure Arbeitsplätze sind sicher." Ganz sicher sei: Diese "harte Arbeit verdient eine bessere Bezahlung."
Kocsis richtet auch klare Worte an die Arbeitgeber: "Die Post muss sich mit den Fakten auseinandersetzen und die Frage beantworten, wie sie sicherstellt, dass die harte Arbeit bei der DP AG gerecht entlohnt wird." Der Vorstand müsse zudem darlegen, wie die Arbeit der Beschäftigten aufgewertet und das Einkommen mindestens auf das mittlere Durchschnittseinkommen angehoben werden könne. Kocsis wörtlich: "Wir können es nicht hinnehmen, wenn über Dreiviertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im DAX-Unternehmen Deutsche Post AG ein Einkommen haben, was unterhalb des Durchschnittseinkommens in Deutschland liegt." Damit seien die Beschäftigten bedroht, gesellschaftlich vom Leben abgekoppelt zu werden.
Nach einer konstruktiven Aussprache, bei der Beschäftigte Fragen stellen und Antworten vom Niederlassungsleiter erhalten, endet die top organisierte Betriebsversammlung. Die Postler*innen verlassen die Betriebsversammlung mit dem schnellen Rock-Song, der sie schon begrüßte: "Die Zeiten sind hart, wir sind laut. Uns übersehen kann man nicht, gemeinsam sind wir stark mit viel Gewicht."
Eine Zustellerin