Ausgabe 02/2025
Den Rücken stärken

"Rücken" haben viele. Oftmals sind die Schmerzen auch berufsbedingt, etwa in der Pflege. Daher zählt zu den Angeboten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ein Rückenkolleg. Es richtet sichvor allem an Beschäftigte aus der Pflege, gleich ob Krankenhaus, Altenpflege oder ambulanter Pflegedienst.
Voraussetzung ist, dass es eine erste Diagnose für eine arbeitsbedingte Schädigung der Lendenwirbelsäule gibt. Ausstellen kann sie ein Hausarzt oder eine Orthopädin. In einer Rückensprechstunde der BGW wird dann geklärt, ob die Teilnahme am Rückenkolleg sinnvoll ist.
Das war es bei Claudia Zirk. Die Krankenschwester verbrachte drei Wochen in Halle an der Saale. Hier in einer umgebauten ehemaligen Großraumdisko in der Stadtmitte befindet sich das Rückenkolleg seit 2021. Am ersten Tag wurden Claudia Zirk und die insgesamt zwölfköpfige Gruppe erst mal genau vermessen. Vor Scannern mussten die elf Frauen und ein Mann bestimmte Bewegungen ausführen, damit die Geräte erkennen, wie die Bewegungsfähigkeit einzelner Gelenke und die Beweglichkeit insgesamt ist. Der individuelle Übungsplan wird auf einem RFiD-Chip gespeichert, den die Teilnehmenden bei allen Übungen tragen. Damit melden sie sich am Laufband und anderen Übungsgeräten an, die sich dann automatisch auf die richtigen Höhen, Geschwindigkeiten oder Gewichte einstellen. Während der Übungen sind immer Therapeut*innen anwesend, die sofort korrigieren können, wenn eine Übung nicht optimal ausgeführt wird.
Zu dem straffen Stundenplan, den die Teilnehmenden für ihre drei Wochen bekommen haben, zählen auch Massagen, psychologische Beratung, Ernährungstipps bis hin zum gemeinsamen Kochen . Unterbrochen wird das tägliche Programm nur von einer einstündigen Mittagspause. Die Mahlzeiten bekommen die Teilnehmenden am Tisch in der Kantine serviert. Für die Teilnehmenden ist es ein weiteres Zeichen dafür, dass sie es sind, die hier im Mittelpunkt stehen. "An der Selbstfürsorge fehlt es oft", berichtet eine der Therapeut*innen. Im Beruf müssten die Pflegenden funktionieren. Sie hätten den höchsten Anspruch, ihre Patient*innen bestens zu versorgen. "Bis sie zur Entschleunigung kommen, dauert es meistens", hat sie beobachtet.
Das bestätigt auch Claudia Zirk. Zwar sei auch das Rückenkolleg mit dem durchgeplanten Tagesablauf anstrengend, aber im Berufsalltag sorgen unterschiedliche Stressfaktoren wie Anrufe, kurzfristige Ausfälle von Kolleg*innen und immer wechselnde Aufgaben, die möglichst sofort erledigt werden sollen, für zusätzlichen Druck. Deswegen lernen die Teilnehmenden in den psychologischen Einheiten auch, Nein zu sagen und stärker auf sich selbst zu achten.
Durchaus alltagstauglich

Claudia Zirk hat im vergangenen Jahr ihr 40-jähriges Betriebsjubiläum gefeiert. In zweieinhalb Jahren wird sie in Rente gehen und wünscht sich, sie hätte eher von dem Rückenkolleg erfahren. Ihr hatten Kolleg*innen, die auch schon daran teilgenommen haben, davon berichtet. Rückenschonender zu arbeiten, das hat sie sich für die Zukunft vorgenommen. "Das, was wir hier lernen, ist durchaus alltagstauglich", sagt sie. Oft seien es schon Kleinigkeiten, etwa das Bett in die richtige Höhe zu bringen, bevor man die Patient*innen in einen Rollstuhl setzt oder Unterlagen wechselt. Das wird in der Gruppe geübt – unter der Beobachtung von erfahrenen Therapeut*innen, die immer wieder Tipps geben. Außerdem lernt sie Hilfsmittel kennen, zum Beispiel Gurte, mit denen es einfacher wird, die Personen aus dem Bett in einen Rollstuhl umzusetzen.
Damit das Wissen auf dem dreiwöchigen Rückenkolleg nicht verpufft, schließt sich einige Wochen danach ein Betriebsbesuch durch Arbeitsplatzbegleiter*innen an. Dann wird geschaut, was speziell im Alltag der Kolleg*innen noch verbessert werden kann. An dem Gespräch sind dann auch Vorgesetzte beteiligt. Zudem sorgen zwei sogenannte einwöchige Refresher-Kurse in den folgenden Jahren dafür, dass das neu erworbene Wissen erhalten bleibt.
"Unser Rückenkolleg ist durchaus im Sinne der Arbeitgeber", sagt Sven Hinrichs, der das Rückenkolleg in Halle leitet. Die Arbeitgeber finanzieren die gesetzliche Unfallversicherung durch ihre Beiträge. Während einer solchen Maßnahme wie dem Rückenkolleg, das von der BGW finanziert wird, sorgt die Berufsgenossenschaft für die Weiterzahlung des Gehalts und bezahlt bei Bedarf eine Ersatzkraft.
Dennoch vermutet Hinrichs, dass viele Arbeitgeber die Informationen über das Kolleg nicht an die Beschäftigten weitergeben, sodass viele Beschäftigte wahrscheinlich gar nicht von dem Angebot, das ihnen offensteht, wüssten. 680.000 Mitgliedsbetriebe hat die BGW, mit rund 9,3 Millionen Beschäftigten. ver.di-Kollege Dietmar Erdmeier, alternierender Vorsitzender der BGW, sorgt dafür, dass sich die BGW auch bei vielen ver.di-Veranstaltungen für den Pflegebereich mit ihrem Angebot präsentiert. Denn auch Betriebs- und Personalräte sowie die Mitglieder von Mitarbeitervertretungen sind wichtige Multiplikator*innen, um das Angebot bekannt zu machen.
In den Gremien der ehrenamtlichen, paritätisch besetzten Selbstverwaltung, spielt das Wohl der Beschäftigten der in der BGW vertretenen Branchen eine große Rolle. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass in jüngster Zeit zusätzliches Personal eingestellt wurde, um die Betriebe häufiger besuchen, beraten und überprüfen zu können und dazu sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen beizutragen. Die Gremien der Selbstverwaltung können Forschungsaufträge initiiren, die dazu beitragen, dass immer wieder neue Erkenntnisse in die Arbeit der BGW einfließen. Das alles trägt dazu bei, dass Arbeit nicht krank macht
BGW
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie versichert Wohlfahrtsverbände, Krankenhäuser sowie ärztliche, tierärztliche, zahnärztliche und therapeutische Praxen, Altenheime, Apotheken, ambulante Pflegedienste, Hebammen, Berufsschulen, Schädlingsbekämpfung, Tattoo- und Piercingstudios, Friseursalons, Kosmetikbetriebe und Kitas. Mitglied sind die Arbeitgeber, die auch die Beiträge zahlen. Aufgabenschwerpunkt ist der Arbeitsschutz. Es geht um eine gesunde Gestaltung der Arbeit, die Verhinderung von Unfällen und die Vorbeugung von Berufskrankheiten. Kommt es zu Unfällen oder werden Berufskrankheiten anerkannt, sorgt sie für eine umfassende medinische Behandlung, sowie Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Teilhabe, damit die Betroffenen möglichst im Arbeitsleben bleiben können.
Gesteuert wird die BGW von einer ehrenamtlichen Selbstverwaltung, bestehend aus Vertreter*innen von Arbeitgebern und Versicherten. Im Rahmen der Sozialwahlen wird über die Besetzung der Gremien entschieden. Dietmar Erdmeier, der beim ver.di-Bundesvorstand im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienst, Bildung und Wissenschaft arbeitet, ist alternierender Vorsitzender der BGW. Weitere, vor allem ehrenamtliche ver.di-Kolleg*innen, gehören dem Vorstand und der Vertreterversammlung an.