Heaven Shall Burn: Heimat

Man muss nicht alles verstehen, was Marcus Bischoff, der Sänger von Heaven Shall Burn so singt. Tatsache ist: Man kann es gar nicht verstehen, denn Bischoff schreit, brüllt, grunzt und grollt, bis die Stimmbänder knarzen.

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Denn Heaven Shall Burn spielen extremen Heavy Metal, auch Metalcore genannt. Bösartige Gitarren, donnerndes Schlagzeug und Gesang aus der Hölle – das ist das Rezept ihres Erfolgs. Denn die Band aus Thüringen hat es mit diesem wenig eingängigen Stil zum Headliner des Metal-Festivals in Wacken gebracht, ihr letztes Album Of Truth And Sacrifice erreichte 2020 sogar Platz Eins der deutschen Charts. Ihr neues Werk heißt Heimat, obwohl alle Songs in englischer Sprache geschrien werden.

Für die Texte ist der Gitarrist Maik Weichert verantwortlich, das Sprachrohr der Band. Im Gespräch erklärt er den Titel des Albums: "Uns war die Spannung wichtig, die in dem Begriff 'Heimat' steckt. Auch weil das Wort heimelige Gefühle auslöst bei Leuten, die uns eher nicht wohl gesonnen sind."

Denn im Gegensatz zu anderen Metal-Kollegen ist das 1995 gegründete Quintett explizit politisch. Alle fünf leben vegan oder vegetarisch, sie trinken keinen Alkohol, nehmen keine Drogen und engagieren sich gegen die extreme Rechte in ihrer Region. Ein Teil ihrer Einnahmen aus dem Merchandising geht an zivilgesellschaftliche Initiativen, auf einem besonders beliebten T-Shirt, das sie vertreiben, steht: "Keine Böcke auf Höcke".

In der konservativen Metal-Szene war es lange nicht gern gesehen, sagt Weichert, dass "wir nicht wie andere um jede politische Frage helenefischermäßig herumeiern aus Angst, Fans zu verlieren". Diese Angst mussten die fünf Musiker nie haben. Sie haben ihre Berufe als Krankenpfleger, Ergotherapeut oder Musiklehrer behalten. "Ich mache das aus Passion, weil ich was verändern will. Ich muss aber nicht, ich hab' immer noch mein anderes Standbein", sagt Weichert, er arbeitet als Jurist im thüringischen Umweltministerium.

Seine Texte drehen sich deshalb immer wieder um die Natur und wie sie bedroht ist. Auf Heimat beschäftigt er sich außerdem mit Krieg oder dem Werteverfall. Der Song "A Whisper From Above" handelt von der polnischen Krankenschwester Irene Gut Opdyke, die in Polen Jüd*innen vor dem Holocaust rettete. "In 30, 40 Jahren werden sich eine Menge Menschen fragen lassen müssen, was sie gemacht haben, als das große Insekten- und Artensterben einsetzte, die Biodiversität den Bach runterging und die Klimakrise unumkehrbar wurde", sagt Weichert. "Die werden dann in den Spiegel gucken müssen und zugeben müssen, dass sie sich übers Gendern aufgeregt haben." Thomas Winkler

Century Media/Sony

Drangsal: Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen

Mit Regeln hat es Drangsal nicht so sehr. Das gilt nicht nur für die Kommasetzung im Titel seines vierten Albums.

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Das gilt erst recht für musikalische Glaubenssätze, die der Wahlberliner seit dem Beginn seiner Karriere ad absurdum führt. Sein Indie-Pop war immer eine Spur zu theatralisch, sein Pathos aber dann doch zu hintertrieben. Auch auf dem neuen Album transportiert er wieder den raumgreifenden Gestus des deutschen Schlagers in ein Liedermacher-Setting, ersetzt Coolness durch Verletzlichkeit und taucht tief ein ins Gefühlsleben der Generation Y, deren Orientierungslosigkeit gerade allseits kritisch diskutiert wird. Der 31-Jährige aber nimmt die Seelennöte seiner Alterskohorte dermaßen ernst, dass man nicht entscheiden mag, ob man es mit Ironie oder Kitsch zu tun hat. "Du bist dein eigenes Gefängnis, denn dir selbst entkommst du nicht", singt er, die Stimme ergriffen von sich selbst, während die Band sich in effektvollen Laut-leise-Kontrasten übt. Die Botschaft soll wohl sein: Das Drama lauert im banalsten Alltag. Thomas Winkler

VIRGIN/UNIVERSAL

Adrian Raso & Fanfarae Ciocărlia: The Devil Rides Again

Nach mehr als zehn Jahren ein erneutes Treffen: Der kanadische Gitarrist Adrian Raso, der die Jazzgitarren-Tradition bis zurück zum legendären Sinti-Musiker Django Reinhardt intus hat, reitet den Teufel wieder mit der rumänischen Roma-Brass-Band Fanfare Ciocărlia. Die hat ihrerseits wegen ihrer aufgekratzten Balkan-Grooves und ihren eigenwilligen Adaptionen von Pop-Klassikern wie "Caravan" und "Born To Be Wild" längst Kultstatus erlangt. Begonnen hat der märchenhafte Aufstieg der einstigen Dorfkapelle Mitte der Neunziger mit dem Besuch des Leipziger Toningenieurs und Musik-Freaks Henry Ernst im rumänischen 400-Seelen-Dorf Zece Prăjini. Ernst ist von der Energie und der schieren Geschwindigkeit der Kapelle so angetan, dass er den Musikern Auftritte im westlichen Europa in Aussicht stellt. Ab 1997 klettert das wilde Dutzend innerhalb weniger Jahre an die Spitze der internationalen Brass-Band-Szene. Heute sind die Musiker der Fanfare Ciocărlia mit ihrem authentischen Balkan-Sound eine weltweite Berühmtheit – von Tokyo bis Los Angeles. Ein unwiderstehliches Vergnügen, tanzbar und einfach teuflisch gut. Peter Rixen

ASPHALT TANGO RECORDS