Ausgabe 03/2025
Zeit für einen Frauenstreik

Ruckzuck das Ziel der Gleichberechtigung über Bord geworfen: Lange hat der Softwarekonzern SAP mit Sitz in Walldorf damit geworben, Frauen zu fördern und Vielfalt zu stärken. Doch damit ist jetzt Schluss. "Wir sind tief erschüttert, wie schnell das Unternehmen eingeknickt ist", sagt Christian Althaus, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe bei SAP. Der DAX-Konzern gab im Mai bekannt, sich von der Frauenquote zu verabschieden und Programme für Geschlechtervielfalt zu streichen. Der Schritt sorgt für Empörung. "Viele Frauen sind sehr besorgt", betont die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, Bettina Kohlrausch. SAP folge einem generellen Trend, nicht nur in den USA. Auch in Deutschland sei zu beobachten, dass Gleichberechtigung keine Priorität mehr habe.
Es liegt auf der Hand, dass die Entscheidung von SAP eng mit dem Feldzug von US-Präsident Donald Trump zusammenhängt. Wer Geschäfte mit der US-Regierung machen will, muss Programme für Diversität, Gleichberechtigung und Teilhabe streichen. US-Firmen wie McDonald's, Disney, Ford, Walmart, Meta, Boeing und Amazon haben es vorgemacht. Zum ersten Mal schwenkt jetzt mit SAP ein deutscher Konzern auf den Kurs ein. "Die Gefahr ist groß, dass es zu einer Kettenreaktion kommt", meint Christian Althaus von der ver.di-Betriebsgruppe. Immerhin ist SAP nicht irgendein Konzern, sondern mit einem Marktwert von über 300 Milliarden Euro das wertvollste Börsenunternehmen in Europa.
SAP hat offiziell das Ziel aufgegeben, einen Frauenanteil von 40 Prozent in der Belegschaft zu erreichen. Dabei dokumentiere der Geschäftsbericht, wie groß die Lücke immer noch ist, sagt der Softwarespezialist. Auf eine Frau kommen im Unternehmen zwei Männer. Frauen verdienen weniger und sind weiter oben auf der Karriereleiter selten vertreten. An der Spitze des Konzerns stehen fünf Männer und eine einzige Frau. "Wenn in der Firma fast nur weiße Männer sitzen, schwächt es das Unternehmen", ist Christian Althaus überzeugt. Studien zeigten, dass divers besetzte Teams kreativer sind und bessere Ergebnisse erzielen.
Viele Beschäftigte haben Ängste
Auch bei SAP galt Vielfalt all die Jahre als Stärke. An den Eingängen prangt groß der Schriftzug: 'a diverse place to work'. Der Softwarekonzern stellte sich stets hinter die LGBT*Q-Bewegung, richtete dritte Toiletten ein und warb gezielt um Menschen mit Autismus. Jetzt wurde der Bereich Diversity & Inclusion aufgelöst, das Team muss sich neue Jobs im Unternehmen suchen. "Viele Beschäftigte haben Ängste, wie es weitergeht", sagt Christian Althaus. "Sie fürchten, bei SAP nicht mehr erwünscht zu sein oder in ihrer Karriere behindert zu werden." Offiziell werde zwar beschwichtigt und gesagt, dass die Werte trotzdem im Unternehmen bestehen blieben. "Darüber kann ich nur lachen."
Christoph Meister vom ver.di-Bundesvorstand verweist auf die Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz: "Dort sind die gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte als handfeste Rechte festgeschrieben." Zum Beispiel, dass der Betriebsrat die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern hat, unter anderem beim beruflichen Aufstieg. Und Betriebsrat und Arbeitgeber darüber zu wachen haben, dass niemand diskriminiert wird. "Davon kann sich ein Unternehmen nicht einfach verabschieden." Christian Althaus betont, dass sich die Mitglieder von ver.di und IG Metall im Betriebsrat weiterhin dafür stark machen. "Wir bleiben dran, auf jeden Fall. Aber uns fehlt ein wichtiger Hebel."
Die Entscheidung des Konzerns habe eine katastrophale Wirkung, findet Christine Muhr, bei ver.di in Baden-Württemberg für SAP zuständig. "Es bedeutet: zehn Schritte zurück!" Wenn sich so ein mächtiges Unternehmen leichtfertig von der Frauenförderung verabschiede, würden alle politischen Maßnahmen ad absurdum geführt. Gerade in der IT-Branche gebe es viele Initiativen, um Frauen und Mädchen zu gewinnen, unter anderem den Girls'Day. Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel gelte: "Frauen sind in diesem Bereich unverzichtbar."
Permanent ein harter Kampf
Doch um Mädchen für IT-Berufe zu begeistern, brauchten sie Vorbilder in den Unternehmen. Frauen müssten ausreichend auf allen Ebenen repräsentiert sein, sonst gebe es keine Geschlechtergerechtigkeit. "Das gelingt nur mit festen Vorgaben", sagt Christine Muhr. "Es war schon immer so, dass Männer bei der Karriere sonst Männer bevorzugen." Ob Mitbestimmungsrechte, Antidiskriminierungsgesetz, Entgelttransparenzrichtlinie oder Frauenquoten: "Es ist ein permanenter harter Kampf."
"Es war schon immer so, dass Männer bei der Karriere sonst Männer bevorzugen."
Christine Muhr, bei ver.di in Baden-Württemberg für SAP zuständig
"Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen", betont Christine Muhr. "Deshalb muss gelten: Kein Schritt zurück." Unternehmen seien in der Verantwortung, Position zu beziehen und Haltung zu zeigen. Auch für die Demokratie. SAP habe viel zu schnell Gehorsam gezeigt, kritisiert die Gewerkschafterin. "Natürlich geht es anders." Zum Beispiel habe ein globales IT-Unternehmen mit Wurzeln in den USA – ohne Namen zu nennen – seine Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion dort gekündigt, halte jedoch in Deutschland daran fest. Auf den Fördertöpfen stehe jetzt nur ein anderes Etikett.
Auch die Deutsche Telekom habe sich für ihre US-Tochter T-Mobile zwar verpflichtet, ihre Initiativen in den USA teilweise aufzugeben. Sonst hätte die US-Behörde die Übernahme eines Kabelnetzbetreibers vielleicht nicht genehmigt. "Aber hier setzen sie weiterhin auf demokratische Grundprinzipien." Das gelte auch für Automobilhersteller mit einem großen Absatzmarkt in den USA.
Christian Althaus ist ebenso überzeugt, dass der Schritt von SAP nicht notwendig gewesen wäre. Das Geschäft mit der Software sei sehr langwierig, die Verträge liefen über viele Jahre. Die Technik lasse sich nicht von heute auf morgen abschalten. "Vielleicht hätte sich bis dahin die Politik in den USA längst wieder geändert."
Geschäft hin oder her, findet Alexa Wolfstädter, bei ver.di für Frauenpolitik zuständig, Unternehmen hätten eine Verantwortung. Frauen in Führungspositionen und Diversität seien kein Nice-to-have. Die Entscheidung von SAP sei ein absoluter Rückschritt. "Wir dürfen nicht tatenlos zulassen, dass Frauenrechte und Errungenschaften unter die Räder kommen", betont die Gewerkschafterin. Deshalb gelte es jetzt, Druck über die Aufsichtsräte aufzubauen – und in Bündnissen dagegenzuhalten. "Das gelingt nur gemeinsam, mit vielen Frauen."
Dass sich generell der Wind dreht, bemerkt auch Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftung. Natürlich sei die Situation nicht mit den USA vergleichbar. Doch auch in Deutschland gebe es offen antifeministische Tendenzen und Gleichgültigkeit. Gleichberechtigung stehe nicht weit oben auf der Agenda. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) habe die zentralen Schaltstellen seiner Regierung fast nur mit Männern besetzt. "Das wird man in der Politik merken."
Das Beispiel von SAP zeige, dass sich solche wichtigen Fragen wie Gleichberechtigung nicht einfach von selbst regelten. "Dafür braucht es Verbindlichkeit." Und Gesetze. Zum Beispiel habe Frankreich jetzt das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert – mit Blick darauf, dass Rechtspopulisten an die Macht kommen könnten. "Wir müssen die Gleichstellung von Frauen rechtlich so stabil wie möglich sichern."
Die Nachricht von SAP sei von vielen Männern schulterzuckend hingenommen worden, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Aber in einem breiten Spektrum von Frauen, auch aus der Wirtschaft, sagten alle: "Es reicht!" Immer öfter höre sie, dass die Zeit reif sei für einen Frauenstreik. "Viele finden unerträglich, wie mit ihnen umgangen wird", sagt Kohlrausch. Dass als Zumutung dargestellt wird, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Wissenschaftlerin sieht Anzeichen, dass eine neue Frauenbewegung im Anmarsch ist. Zwar sei es an der Oberfläche noch still, "aber darunter brodelt es kräftig".